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Liebe Gemeinde !
dass der Dollar,
die amerikanische Währung, seinen Namen vom alten deutschen Taler hat,
das wissen wohl einige noch. Aber warum heißt der Taler eigentlich Taler?
Die Antwort auf diese Frage führt uns fast 450 Jahre zurück in die
Vergangenheit.
Damals lag in Böhmen eines der Hauptabbaugebiete für Silber. Die Stadt
Joachimsthal war berühmt für sein Silberbergwerk. Taler, Joachimsthaler
- hießen die Münzen, die dort geprägt wurden.
Ein Begriff ähnlich wie heute der Burgunder oder das Kölsch.
Joachimsthal ist aber nicht nur durch die Taler bekannt geworden. Dort lebte
und wirkte auch ein frommer Lehrer und Dichter, dessen Lieder zum Teil noch
heute gesungen werden.
Sein Name ist Nikolaus Hermann. Er war Lateinlehrer und zugleich Organist und
Kantor an der Stadtkirche. Seine Schüler waren zugleich sein Chor, mit
denen er seine Lieder einstudierte und vortrug. Besonders die Weihnachtszeit
war damals in Joachimsthal nicht ohne diesen Kurrendechor zu denken. Singend
gingen sie durch die Straßen des verschneiten Städtchens und brachten
so die Weihnachtsfreude bis in die Häuser.
Einer der besten Sänger im Chor war der jüngste Sohn des Kantors selbst:
Christoph. Musikalisch und auch von den Schulleistungen her war er die Freude
und der Stolz seiner Eltern. Aber je weiter er in der Schule voranschritt, desto
deutlicher wurden auch die unterschiedlichen Vorstellungen, die Vater und Sohn
von dessen Zukunft hatten:
Der Vater wünschte sich eine musikalische - am besten auch kirchliche Laufbahn.
Aber Christoph hatte nur den einen Wunsch: auch Bergmann zu werden. Ihn beeindruckten
die Bergknappen, denn sie hatten Geld in den Taschen. Feine Kleidung, durchzechte
Abende im Wirtshaus - so sah die Lichtseite ihres Lebens aus, denn der Lohn
für ihre schwere Arbeit unter Tage wurde in Silber bezahlt.
Christopf drängelte und bohrte und schließlich willigen die Eltern
schweren Herzens ein. Der Sohn verlässt die Schule und wird Bergknappe.
Fortan begleitete Nikolaus Hermann seinen Sohn jeden Montagmorgen zum Bergwerk.
Denn zu seiner Aufgabe als Kantor gehörte es auch, in der kleinen Grubenkapelle
die Orgel zu spielen. Es war ein schlichter niedriger Saal, dessen einziger
Schmuck neben der Orgel der Spruch an der Wand war, der so lautet:
Mein Grubenlicht soll Jesus sein-
So fahr ich fröhlich aus und ein.
Die Bergleute sangen ihr Lied, bevor sie am Montagmorgen in den Schacht einstiegen.
Der Obersteiger sprach ein Gebet und bat um den Schutz Gottes.
Bis zum Samstagabend blieben die Bergleute dann im Berg und wenn sie wieder
glücklich oben waren, gab es wieder eine kurze Dank-Andacht.
Was für eine Erleichterung für den Vater, wenn er seinen Sohn wohlbehalten
wieder in die Arme schließen konnte. Anfangs kam dieser auch gerne für
den Sonntag nach Hause, aber schon bald machte sich der Einfluss der anderen
jungen Bergleute bemerkbar. Christoph schließt sich einer Gruppe an, die
ihren Lohn leichtfertig verjubeln. Zu Hause kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen
zwischen Vater und Sohn. Nikolaus Hermann leidet an der zunehmenden Entfremdung
und daran, dass sein Sohn die gut gemeinten Ratschläge in den Wind schlägt.
So vergehen zwei Jahre, Christoph wird zwanzig und die Streitereien im Elternhaus
nehmen eher zu als ab. Eines Abends schließlich knallt der Sohn die Tür
hinter sich zu. In der folgenden Nacht sucht er sein Geld zusammen und schleicht
sich aus dem Haus.
Am nächsten Tag kommt Christoph nicht nach Hause. Statt dessen kommt der
Obersteiger und fragt nach seinem Verbleib. Auch zur Grube ist er nicht gekommen.
Schon in den letzten Monaten war es mit Christoph schwierig gewesen. Er war
störrisch und frech.
Und nun war er weg. Wochen, Monate des Wartens und Bangens. Das erste Jahr ging
ins Land ohne ein Lebenszeichen. Für den Vater ist dies so ein schwerer
Schlag, dass er von da ab keine fröhlichen Glaubenslieder mehr dichtet,
die schon so viele erfreut hatten. Wenn er sich selber auch noch von Glaube,
Hoffnung und Gebet getragen weiß, anderen Freude ins Herz zu singen, dazu
reicht die Kraft nicht aus.
Allerdings blieb die Heimat dem verlorenen Sohn doch im Herzen und wurde sogar
von Jahr zu Jahr lauter und stärker in seinem Inneren. Die alte vertrauten
Lieder, die er wohl hundertmal gesungen hat, drängen sich in seinem Gedächtnis
nach vorne. Selbst die Sauflieder können sie nicht zum Schweigen bringen.
Schließlich, im achten Jahr nach seinem Verschwinden, macht er sich auf
den Weg nach Hause. Gerade am Heiligen Abend kehrt er zurück nach Joachimsthal.
Aber wie! Krank, arm, sogar in zerrissenen Kleidern. Was hat ihn heim getrieben?
Klar, die Not. Aber auch die Kraft der Lieder. Eins davon lautete:
"Wenn mein Stündlein vorhanden ist, geleit du mich, Herr Jesus Christ,
zu fahren meine Straße, mit Hilf´ mich nicht verlasse."
Christoph wusste, er war nicht auf dem von Gott gewollten Weg - Wie konnte er
da auf die Hilfe Christi hoffen?
An manchem Abend war ihm durch den Kopf gegangen:
"Hinunter ist der Sonnen Schein, die finstre Nacht bricht stark herein...
Leucht uns, Herr Christ, du wahres Licht Lass uns im Finstern tappen nicht."
Doch, ob Tag, ob Nacht, sein Weg war zu einem finsteren Weg geworden.
Diese Lieder waren es, die ihn heim getrieben haben. Und nun steht er da - und
traut sich doch nicht, an die Tür der Eltern zu klopfen. Für den alten
Vater gab es Weihnachten besonders viel zu tun: morgens um 5 Uhr die Christmette,
dann um zehn der Festgottesdienst und anschließend mit dem Chor das Kurrende-Singen
in den Straßen. Da wollte er, der Sohn, zu Hause nicht alles durcheinander
bringen mit seiner unangemeldeten Rückkehr.
Aber wo sollte er bleiben in dieser kalten Winternacht? Dem Verzweifelten kommt
ein rettender Gedanke: Im Bergwerk .Da ist es warm und da ist jetzt bestimmt
niemand sonst! Dort konnte er die Festtage abwarten und dann nach Hause schleichen.
Schon war er auf dem Grubengelände. Fast wäre er dort noch einem verspäteten
Bergmann in die Arme gelaufen, aber schnell huschte er hinter einer Hausecke.
Dann hinunter in den Schacht. Leiter um Leiter. Sie sind nach den Jahren stark
abgenutzt und Christoph merkt schnell, dass hier nicht mehr abgebaut wird. Geschickt
umgeht er die morschen Sprossen. Es ist ihm, als wäre er erst gestern hier
gewesen. Bald ist er unten auf der Sohle. Da muss doch der alte Stollen sein!
Doch was ist das? Sie haben ein Tür davor gesetzt. So ist es bei stillgelegten
Stollen üblich. Christoph tastet nach der Klinke. Da ist sie. Die Tür
lässt sich öffnen. Er geht ein paar Schritte hinein. Es ist trocken.
Dort will er sich hinlegen. Doch halt! Ein lauter Schlag hinter ihm. Christoph
weiß sofort, was dieses Geräusch bedeutet: Die Tür ist ins Schloss
gefallen. Rasch eilt er zurück. Er tastet mit den Händen über
die Türwand. Es ist, wie er geahnt hat: Die Tür ist zu. Und solche
Wettertüren haben auf der Innenseite keinen Griff. So hat er sich selber
eingeschlossen!
Dieser alte Stollen wird sein Grab sein.
Er tastet noch einmal die ganze Tür ab, er wirft sich mit aller Gewalt
dagegen, aber vergeblich. Nur zu gut weiß er: hier unten nützt auch
kein Rufen und Schreien. Es ist ja Festtagsschicht: vier Tage lang wird niemand
das Grubengelände betreten.
Wieder bringt ihm die Erinnerung ein Lied in den Sinn. Sie haben es zu jeder
Festtagsschicht gesungen: "Lischt unsres Lebens Grubenlicht und wird das
Antlitz bleich, so gib uns eine Festtagsschicht in deinem Himmelreich!"
Sollte das sonst froh und ein bisschen gedankenlos gesungene Lied jetzt bitterer
Ernst werden? Christoph hat keine Hoffnung mehr. Er legt sich auf den Boden
zum Schlafen und denkt noch einmal: "Lass uns im Finstern tappen nicht."
Nein, er tappt nicht mehr. Er bleibt jetzt hier liegen. Da kommt ihm noch ein
anderes, ein tröstliches Lied in den Sinn:
"Nun schlaf ich ein und ruhe fein, denn Jesus Christus, Gottes Sohn, der
wird die Himmelstür auftun, dich führ'n zum ewigen Leben." Zwar
wird es wohl bei seiner Beerdigung nicht gesungen, aber er glaubt und weiß
es jetzt wieder für sich: Die Himmelstür wird für ihn aufgehen,
so viele Türen dieser Welt auch durch unsere Schuld zugeschlagen wurden.
Jesus wird die Himmelstür auftun. Mit diesen Zeilen im Herzen schläft
Christoph ein.
Oben in Joachimsthal wird Weihnachten gefeiert. Als morgens um sechs die Christmette
zu Ende ist und der Kantor gerade die Kirchentür zugeschlossen hat, sieht
er am Eingang noch einen Mann mit Grubenlicht stehen; Es ist der alte Obersteiger.
Der fragt ihn:
"Wisst ihr etwas von eurem Christoph?" "Warum?" "Gestern
Abend sah ich beim alten Silberschacht eine Gestalt, die sich schnell versteckte,
als sie mich sah. Ich hab's nicht weiter beachtet, aber als ihr eben auf der
Orgelbank saßet, fiel mir der Christoph ein. Aber es kann ja nicht sein.
Entschuldigt, dass ich euch gefragt habe."
Der Kantor ist tief erschüttert: "Wie bitte? Könnte das wahr
sein?" Zitternd bittet er den Steiger: "Bitte, kommt mit mir zur Grube
und helft mir, meinen Sohn zu suchen!"
Bald sind die beiden auf dem Grubenhof. Nikolaus Herrmann bleibt nichts als
in der Grubenkirche zu warten, während der Bergmann er zum Schacht geht.
Der Kantor fällt auf die Bank und sein Blick auf den Spruch an der Wand:
"Mein Grubenlicht soll Jesus sein."
Er betet: "Herr Jesus, lass ihn heimkommen!"
Inzwischen ist der Obersteiger in den Schacht gestiegen. Nichts zu sehn, die
alte Tür ist zu. Das hatte er sich doch gedacht. Hier ist niemand. Er will
schon wieder hochsteigen, aber dem alten Kantor zuliebe guckt er doch noch in
den Stollen hinein. So öffnet er die Tür. "Was liegt da am Boden?
Ein Toter?" Er kniet sich hin und spürt den schweren Atem. "Nein,
der Mann lebt! Und es ist Christoph!" Der Schlafende erwacht und sieht
den Lichtschein. Noch halb im Schlaf murmelt er: "Das kann ja nicht sein.
Die Tür ist ja ins Schloss gefallen; sie geht nie mehr auf."
"Nein, Christoph!" entgegnet der Steiger; "Die Tür ist offen,
und dein Vater wartet oben!"
Dann steigen sie vorsichtig nach oben. Da hören sie von oben den Kantor
rufen: "Christoph, Christoph!" Er hatte es nicht mehr ausgehalten
tatenlos zu warten. Christoph hört die Stimme und antwortet: "Vater,
ich komme!"
Als an diesem Weihnachtsabend die Kurrendesinger durch die Straßen ziehen,
strahlt das Gesicht des Kantors wie schon lange nicht mehr. Am Ende bittet er
seine Sänger noch in die Grubenkirche: Er hat eine Überraschung für
sie. Seit acht Jahren zum ersten Mal ein neues Lied. Er spielt es vor und dann
singen sie gemeinsam: "Lobt Gott, ihr Christen alle gleich..." "Die
zweite und dritte Strophe bitte schön leise", sagt der Kantor. "Und
nun, die letzte Strophe bitte wieder laut und froh. So froh wie meine Frau und
ich, die wir heute unseren Sohn neu geschenkt bekommen haben." Und da jubelt
die ganze Schar:
"Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis,
der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis"
Amen!
Björn Heymer