Predigt am 27. März 2011, Welcome über
Markus 8, 27 - 33
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Mit Leiden umgehen
Liebe Besucher des
Welcome-Gottesdienstes!
Wir alle werden wohl
oberflächliche Sprüche gut kennen: ‚Kopf hoch, das wird schon
wieder’ - Lass dich bloß nicht hängen’ - ‚Das Leben geht
weiter’ - ‚Na, dann mal alles Gute’.
Vielleicht huschen sie
uns selbst auch öfters über die Lippen als uns lieb ist - vor
allem dann, wenn wir jemanden treffen, dem es wirklich schlecht
geht, der richtig leidet. In solchen Momenten sind wir oft verlegen.
Wir können dann mit den schweren Situationen, dem Leid, das uns
hautnah begegnet, nicht richtig umgehen können. Wir stehen so
hilflos, ratlos davor. Irgendetwas Gutes, Positives will man dem
anderen doch schließlich sagen und sei es noch so banal.
Ich erinnere mich noch
an eine Geschichte, wo es selbst einem Pfarrer - also meiner
Berufssorte - so ging. Auf dem Friedhof am Grab verabschiedete er
sich von den Angehörigen. Er wusste nicht so genau, was er zum
Abschluss noch sagen sollte. Schließlich rutschte es so aus ihm
heraus: Dann noch einen schönen Tag! Das war wohl nicht ganz so
passend, aber irgendwie merkte man auch: Der meinte das nicht böse.
Das kam aus Verlegenheit, weil er mit der leidvollen Situation in
dem Moment nicht umzugehen wusste.
Mit Leiden um gehen -
so lautet auch das Thema unseres heutigen Welcome-Gottesdienstes.
Diesen Satz kann man
unterschiedlich verstehen.
Zum einen: Das Leiden
zu um gehen, damit ja nichts zu tun haben. Das ist ja wirklich
nichts Schönes.
Zum anderen: Mit dem
Leiden umgehen zu können, sich dem zu stellen und darauf
einzulassen, auch wenn es gar nichts Schönes ist.
Ich hoffe, dass dieser
Welcome da uns ein Stück weiterhelfen kann.
Ich finde es auch gut,
dass wir uns heute, in diesem Welcome damit beschäftigen und nicht
nur auf Spaß, gute Stimmung, fröhliche Atmosphäre, tolle Effekte
mit Nebelmaschine. Laserstrahlpojektoren usw. aus sind. Das hat
sicherlich auch sein Richtiges und Gutes. Gottesdienst ist eine fröhliche,
ansprechende und nicht langweilige Sache. Aber der Gottesdienst hat
auch Tiefgang. Nicht nur das Schöne, Strahlende, was nach außen
hin Wirkung erzielt, steht im Vordergrund. Auch das Hässliche,
Unscheinbare, ja Leidvolle hat hier seinen Platz.
Ich bin überzeugt:
Das ist gerade eine Stärke des christlichen Glaubens.
Im Vertrauen auf Gott,
im Vertrauen auf Jesus können wir tatsächlich uns dem Leiden
stellen.
Gerade Jesus führt
uns das so deutlich und klar vor Augen.
Ich erzähle Ihnen
dazu eine kurze Geschichte aus dem 8. Kapitel des Markusevangeliums
vor. Jesus und seine Jünger halten sich da gerade ganz im Norden
Israels auf, genauer gesagt bei Cäsarea Philippi, ganz weit weg von
Jerusalem. Jesus fragt da seine Jünger, als er einen Moment mit
ihnen allein sind, für wen die Leute ihn halten. Es folgen eine
Menge interessanter Antworten: Johannes, der Täufer, der große
Wunderprophet Elia oder einer der anderen Propheten. Die Leute
wissen also schon: Jesus ist was Besonderes. Aber das reicht nicht.
Das könnte man ja von vielen Menschen sagen. Jesus will auf mehr
hinaus und er ist es ja auch. So fragt er schließlich seine Jünger,
für wen sie ihn halten. Die richtige Antwort gibt ohne zu zögern
Petrus: Du bist Christus – du bist der Retter der Menschheit, von
Gott gesandt, der Sohn Gottes. Eigentlich ist damit doch alles
gesagt. Pustekuchen! Die Geschichte geht noch weiter und erfährt
nun eine total andere Richtung. Ich lese aus der Bibel vor: ‚An
diesem Tag sprach Jesus zum ersten Mal von seinem Tod: „Der
Menschensohn muss viel leiden. Die führenden Männer des Volkes,
die Hohenpriester und die Schriftgelehrten werden ihn verurteilen
und ihn töten. Aber nach drei Tagen wird er von den Toten
auferstehen.“ So offen sprach Jesus mit seinen Jüngern. Da nahm
ihn Petrus beiseite, um ihn von diesem Gedanken abzubringen. Aber
Jesus wandte sich von ihm ab, schaute die anderen Jünger an und
rief: „Weg mit dir, Satan! Du verstehst Gottes Gedanken nicht,
weil du nur menschlich denkst!“’
Hui, das ist schon
heftig, was da für Worte fallen. Was für ein Abbruch zu dem, was
vorher gelaufen ist. Man sollte sich dazu noch klar machen. Die
Geschichte befindet sich genau in der Mitte des Markusevangeliums.
Jesus ist augenscheinlich auf seinem Höhepunkt. Menschen hat er auf
wunderbare Weise geheilt. Böse Geister hat er ausgetrieben.
Naturgewalten hat er im Griff. Ja, selbst Menschen vom Tod hat er
wieder auferweckt. Solch eine Macht besitzt er! Was für eine
charismatische Lichtgestalt, ja ein Gott ist er! Einfach umwerfend!
Genauso haben ihn die
Jünger erlebt. Und dementsprechend halten sie von ihm unendlich
viel, so viel, dass Petrus sagt: Du bist der Christus! Das ist nicht
mehr zu toppen.
Und was macht Jesus?
Er klopft Petrus nicht auf die Schulter und sagt: Richtig,
Volltreffer. Ganz abrupt fängt er an, von seinem Leiden zu reden.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere richtet er seinen Blick auf das
Leiden, auf das, was auf ihn in Jerusalem wartet: Das Kreuz.
Genau das kriegen die
Jünger, speziell Petrus nicht zusammen: Jesus, der Christus, die göttliche
Lichtgestalt schlechthin - und plötzlich der Leidende und
Sterbende, hä? Wie geht denn das?!
Für die Jünger war
das damals was völlig Überraschendes.
Wir hingegen haben uns
an dieses Bild ‚Christus am Kreuz’ gewöhnt. Der hängt doch überall
in unseren Kirchen.
Oder vielleicht auch
nicht? Man denke nur an das Kruzifixurteil vor Jahren. Das ist doch
Kindern nicht zuzumuten. Ich selbst habe vor kurzem, als ich mein
Empfangszimmer eingerichtet habe, einen Moment gezögert, so ein
kleines Kruzifix über die Tür zu hängen. Das passt doch nicht zu
der schön gestrichenen grünen Wand und dem herrlich eingerichteten
Zimmer. Das war irgendwie ein Gegensatz. Da spielte sich bei mir im
Innern genau das ab, womit die Jünger ihre Schwierigkeiten hatten
und - wie ich vermute - viele
andere Menschen heute ihre Schwierigkeiten haben.
Ist doch auch verständlich:
Ich möchte das Schöne, Gute und hell Strahlende in meinem Leben
haben. Die Schattenseiten des Lebens, alles was mich runter zieht,
was leidvoll ist, das soll bitteschön draußen bleiben.
Es stellt sich dann
allerdings die Frage: Was ist, wenn Schlimmes, Schweres bei mir
selbst, beim anderen und überhaupt auf der Welt passiert?
Da bleibt mir
eigentlich nur die Antwort mit solch oberflächlichen und
belanglosen Sprüchen, wie wir sie halt kennen, übrig.
Gott hingegen gibt zu
unserem Glück eine ganz andere Antwort darauf:
Gott stellt sich allem
Leiden!
Er stellt sich dem
Leiden, was wir zu tragen haben!
Er stellt sich dem
Leiden, das unsere Mitmenschen durchmachen!
Er stellt sich dem
Leiden, das in der Welt Tag für Tag geschieht!
-
sei es in Libyen, wo Menschen unter furchtbaren Kriegszuständen und
Terror zu leiden haben
- sei es in Japan, wo
die Menschen unter der Verstrahlung zu leiden haben und eventuell
der worst case bei den Atomkraftwerken eintritt.
All das lässt Gott
nicht kalt! Da kommt er vielmehr in die Tiefen unseres menschlichen
Lebens, mitten in das Leiden hinein! Da leidet er für uns und mit
uns!
Das Thema Leid und
auch das Thema Schuld bekommt da richtig Tiefgang!
‚Jesus Christus
stirbt für uns und leidet mit uns’ - ja es mag wie eine
dogmatische und theologische Phrase klingen.
Aber das Ganze ist im
Grunde genommen so lebensnah und hat soviel Tiefgang!
Das ist die
Wirklichkeit, die mich, mein Leben betrifft!
Das gibt mir Trost und
Halt! Da weiß ich mich getragen, weil jemand mit mir fühlt und für
mich da ist - nicht nur in den Höhen, sondern auch, ja gerade in
den Tiefen meines Lebens.
Das ist es - davon bin
ich überzeugt -, was auch andere Menschen tragen kann, ihnen Trost
und Halt gibt.
Ich merke das immer
wieder bei seelsorgerlichen Gesprächen.
Da begegnen mir
Menschen mit allem möglichen Schweren, was sie bedrückt und
belastet - sei es Leid oder Schuld oder beides zusammen. Wie froh
bin ich dann, in solchen Situationen diesen Gott zu kennen, der
Schuld wegnehmen kann, der Leiden kennt und mitfühlt. Da kann ich
wirklich etwas von Gottes Nähe weitergeben, etwas, das Tiefgang hat
und nicht mit billigen Sprüchen vertröstet.
Ich erzähle Ihnen
dazu eine Geschichte, die ich erlebt habe und mich tief berührt
hat. Manche wissen es: Ich war vor mehreren Jahren Pfarrer in
mehreren Seniorenheimen. Gottesdienste und zahlreiche Besuche gehörten
zu meinem Aufgabenbereich. Regelmäßig kam ich da vorbei und hatte
meine Ansprechpartner, die mir sagten, wo es nötig ist hinzugehen.
So war es dann auch an
dem Tag, wo mir eine Mitarbeiterin sagte: Frau Meier - ich nenne die
Frau jetzt mal so - Frau Meier auf der 2. Etage geht es schlecht. Es
wäre gut, wenn Sie da mal einen Besuch machen können. Also bin ich
los, ohne großartig mir dabei was zu denken. Schlecht gehen - das
kann ja auch bedeuten, dass jemand gerade seinen schlechten Tag hat
und etwas bedrückt ist. Auf der 2. Etage begegnete mir eine
Pflegerin, die mir sagte: Gehen Sie doch bitte zu Frau Meier, die
liegt im Sterben. Oha, dachte ich mir, das klingt schon ganz anders.
Ich bin dann in das Zimmer geeilt, wo Frau Meier im Bett lag. Eine
grüne Dame - das sind Menschen, die andere bei ihrem Sterben
begleiten - eine grüne Dame saß an ihrem Bett. Ich selbst sah,
dass Frau Meier das Atmen schwer fiel und ihr Gesicht ganz
eingefallen war. Ich habe mich dann bei ihr laut und deutlich als
Pfarrer von der und der Kirchengemeinde vorgestellt, ja und das
war’s. Dann wusste ich erstmal nicht weiter. Reden mit ihr war
einfach nicht mehr möglich. Es trat für mich eine beklemmende
Stille ein. Ich habe das nicht lange ausgehalten und fing an, mit
der grünen Dame ein Gespräch zu führen. Aber bald merkte: Hey,
das ist nicht gut. Da liegt jemand im Sterben und über den Kopf
hinweg redest du mit jemand anderem. In dem Moment fiel mir intuitiv
ein: Du könntest doch der Frau was aus dem Evangelischen Gesangbuch
vorsingen. Das habe ich dann getan. Es war der klassische Choral
‚Befiehl du deine Wege’ von Paul Gerhardt. Nicht alle zwölf
Strophen, sondern nur drei. Aber das reichte. Beim Singen merkte ich
schon, wie Frau Meier irgendwie wachsamer schien und bei der letzten
Strophe ihren letzten Atemzug machte und ich noch schnell den Segen
ihr zusprach. Ich hatte den Eindruck: Frau Meier hatte darauf nur
gewartet. Sie konnte in Frieden loslassen. Die grüne Dame kam noch
Wochen später auf mich zu und sagte: Herr Eberhard, das war doch
wirklich ein Wunder. Ich sagte: Ja, das war wirklich wunderbar.
Ich will damit jetzt
nicht sagen, dass das immer so wunderbar ist. Ich will damit sagen:
Wir haben etwas, das uns und anderen wirklich Trost und Halt geben
kann. Wir können das auch weitergeben und für andere da sein.
Wir können uns dem
Leiden stellen - nicht nur im Bereich der Hospizarbeit.
Das gilt für andere
Bereiche genauso.
Um es klar zu stellen:
Dabei geht es in erster Linie gar nicht darum, große Worte zu
machen und perfekt theologische Antworten wie aus dem Kochrezeptbuch
zu geben. Manchmal ist es einfach dran, den anderen liebevoll zu
umarmen, bei ihm zu sein, zuzuhören und still das Leiden mit ihm
auszuhalten.
Es wäre schon viel
gewonnen, wenn man sich das neu bewusst macht und sich einen Ruck zu
gibt:
Komm, den wolltest du
doch schon längst anrufen. Dem geht es doch nicht so gut. Das weißt
du doch schon lange. Mach mal da einen Besuch. Der wird sich
bestimmt freuen. Schreib dem mal eine Karte. Der bekommt doch sonst
von niemandem etwas.
Ich bin überzeugt:
Das kann unheimlich viel bewirken, oft mehr als Worte und unsere
theologischen Verrenkungen, die wir oft in der Kirche unternehmen.
Die Kraft dafür müssen
wir nicht aus uns selbst ziehen. Die bekommen wir vielmehr von Gott,
der für uns in allem Leid da ist.
Im Vertrauen auf Jesus
darf ich wissen: Er tut mir gut, ist Balsam für meine Seele - so
wie wir es gleich im nächsten Lied singen werden.
Das Pflaster, das wir
am Ausgang des Gottesdienstes geschenkt bekommen, ist ein Zeichen
dafür und soll uns daran erinnern, was Gott für uns ist und was
wir selbst für andere sein können und wie wir mit Leiden umgehen können.
Amen.
Klaus Eberhard
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