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Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Markus 13, 31 Ev. Philippusgemeinde Köln Raderthal Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Markus 13, 31
 

Predigt am  27. März 2011, Welcome  über  Markus 8, 27 - 33

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Mit Leiden umgehen

Liebe Besucher des Welcome-Gottesdienstes!

Wir alle werden wohl oberflächliche Sprüche gut kennen: ‚Kopf hoch, das wird schon wieder’ - Lass dich bloß nicht hängen’ - ‚Das Leben geht weiter’ - ‚Na, dann mal alles Gute’.

Vielleicht huschen sie uns selbst auch öfters über die Lippen als uns lieb ist - vor allem dann, wenn wir jemanden treffen, dem es wirklich schlecht geht, der richtig leidet. In solchen Momenten sind wir oft verlegen. Wir können dann mit den schweren Situationen, dem Leid, das uns hautnah begegnet, nicht richtig umgehen können. Wir stehen so hilflos, ratlos davor. Irgendetwas Gutes, Positives will man dem anderen doch schließlich sagen und sei es noch so banal.

Ich erinnere mich noch an eine Geschichte, wo es selbst einem Pfarrer - also meiner Berufssorte - so ging. Auf dem Friedhof am Grab verabschiedete er sich von den Angehörigen. Er wusste nicht so genau, was er zum Abschluss noch sagen sollte. Schließlich rutschte es so aus ihm heraus: Dann noch einen schönen Tag! Das war wohl nicht ganz so passend, aber irgendwie merkte man auch: Der meinte das nicht böse. Das kam aus Verlegenheit, weil er mit der leidvollen Situation in dem Moment nicht umzugehen wusste.

Mit Leiden um gehen - so lautet auch das Thema unseres heutigen Welcome-Gottesdienstes.

Diesen Satz kann man unterschiedlich verstehen.

Zum einen: Das Leiden zu um gehen, damit ja nichts zu tun haben. Das ist ja wirklich nichts Schönes.

Zum anderen: Mit dem Leiden umgehen zu können, sich dem zu stellen und darauf einzulassen, auch wenn es gar nichts Schönes ist.

Ich hoffe, dass dieser Welcome da uns ein Stück weiterhelfen kann.

Ich finde es auch gut, dass wir uns heute, in diesem Welcome damit beschäftigen und nicht nur auf Spaß, gute Stimmung, fröhliche Atmosphäre, tolle Effekte mit Nebelmaschine. Laserstrahlpojektoren usw. aus sind. Das hat sicherlich auch sein Richtiges und Gutes. Gottesdienst ist eine fröhliche, ansprechende und nicht langweilige Sache. Aber der Gottesdienst hat auch Tiefgang. Nicht nur das Schöne, Strahlende, was nach außen hin Wirkung erzielt, steht im Vordergrund. Auch das Hässliche, Unscheinbare, ja Leidvolle hat hier seinen Platz.

Ich bin überzeugt: Das ist gerade eine Stärke des christlichen Glaubens.

Im Vertrauen auf Gott, im Vertrauen auf Jesus können wir tatsächlich uns dem Leiden stellen.

Gerade Jesus führt uns das so deutlich und klar vor Augen.

Ich erzähle Ihnen dazu eine kurze Geschichte aus dem 8. Kapitel des Markusevangeliums vor. Jesus und seine Jünger halten sich da gerade ganz im Norden Israels auf, genauer gesagt bei Cäsarea Philippi, ganz weit weg von Jerusalem. Jesus fragt da seine Jünger, als er einen Moment mit ihnen allein sind, für wen die Leute ihn halten. Es folgen eine Menge interessanter Antworten: Johannes, der Täufer, der große Wunderprophet Elia oder einer der anderen Propheten. Die Leute wissen also schon: Jesus ist was Besonderes. Aber das reicht nicht. Das könnte man ja von vielen Menschen sagen. Jesus will auf mehr hinaus und er ist es ja auch. So fragt er schließlich seine Jünger, für wen sie ihn halten. Die richtige Antwort gibt ohne zu zögern Petrus: Du bist Christus – du bist der Retter der Menschheit, von Gott gesandt, der Sohn Gottes. Eigentlich ist damit doch alles gesagt. Pustekuchen! Die Geschichte geht noch weiter und erfährt nun eine total andere Richtung. Ich lese aus der Bibel vor: ‚An diesem Tag sprach Jesus zum ersten Mal von seinem Tod: „Der Menschensohn muss viel leiden. Die führenden Männer des Volkes, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten werden ihn verurteilen und ihn töten. Aber nach drei Tagen wird er von den Toten auferstehen.“ So offen sprach Jesus mit seinen Jüngern. Da nahm ihn Petrus beiseite, um ihn von diesem Gedanken abzubringen. Aber Jesus wandte sich von ihm ab, schaute die anderen Jünger an und rief: „Weg mit dir, Satan! Du verstehst Gottes Gedanken nicht, weil du nur menschlich denkst!“’

Hui, das ist schon heftig, was da für Worte fallen. Was für ein Abbruch zu dem, was vorher gelaufen ist. Man sollte sich dazu noch klar machen. Die Geschichte befindet sich genau in der Mitte des Markusevangeliums. Jesus ist augenscheinlich auf seinem Höhepunkt. Menschen hat er auf wunderbare Weise geheilt. Böse Geister hat er ausgetrieben. Naturgewalten hat er im Griff. Ja, selbst Menschen vom Tod hat er wieder auferweckt. Solch eine Macht besitzt er! Was für eine charismatische Lichtgestalt, ja ein Gott ist er! Einfach umwerfend!

Genauso haben ihn die Jünger erlebt. Und dementsprechend halten sie von ihm unendlich viel, so viel, dass Petrus sagt: Du bist der Christus! Das ist nicht mehr zu toppen.

Und was macht Jesus? Er klopft Petrus nicht auf die Schulter und sagt: Richtig, Volltreffer. Ganz abrupt fängt er an, von seinem Leiden zu reden. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere richtet er seinen Blick auf das Leiden, auf das, was auf ihn in Jerusalem wartet: Das Kreuz.

Genau das kriegen die Jünger, speziell Petrus nicht zusammen: Jesus, der Christus, die göttliche Lichtgestalt schlechthin - und plötzlich der Leidende und Sterbende, hä? Wie geht denn das?!

Für die Jünger war das damals was völlig Überraschendes.

Wir hingegen haben uns an dieses Bild ‚Christus am Kreuz’ gewöhnt. Der hängt doch überall in unseren Kirchen.

Oder vielleicht auch nicht? Man denke nur an das Kruzifixurteil vor Jahren. Das ist doch Kindern nicht zuzumuten. Ich selbst habe vor kurzem, als ich mein Empfangszimmer eingerichtet habe, einen Moment gezögert, so ein kleines Kruzifix über die Tür zu hängen. Das passt doch nicht zu der schön gestrichenen grünen Wand und dem herrlich eingerichteten Zimmer. Das war irgendwie ein Gegensatz. Da spielte sich bei mir im Innern genau das ab, womit die Jünger ihre Schwierigkeiten hatten und - wie ich vermute -  viele andere Menschen heute ihre Schwierigkeiten haben.

Ist doch auch verständlich: Ich möchte das Schöne, Gute und hell Strahlende in meinem Leben haben. Die Schattenseiten des Lebens, alles was mich runter zieht, was leidvoll ist, das soll bitteschön draußen bleiben.

Es stellt sich dann allerdings die Frage: Was ist, wenn Schlimmes, Schweres bei mir selbst, beim anderen und überhaupt auf der Welt passiert?

Da bleibt mir eigentlich nur die Antwort mit solch oberflächlichen und belanglosen Sprüchen, wie wir sie halt kennen, übrig.

Gott hingegen gibt zu unserem Glück eine ganz andere Antwort darauf:

Gott stellt sich allem Leiden!

Er stellt sich dem Leiden, was wir zu tragen haben!

Er stellt sich dem Leiden, das unsere Mitmenschen durchmachen!

Er stellt sich dem Leiden, das in der Welt Tag für Tag geschieht!

 - sei es in Libyen, wo Menschen unter furchtbaren Kriegszuständen und Terror zu leiden haben

- sei es in Japan, wo die Menschen unter der Verstrahlung zu leiden haben und eventuell der worst case bei den Atomkraftwerken eintritt.

All das lässt Gott nicht kalt! Da kommt er vielmehr in die Tiefen unseres menschlichen Lebens, mitten in das Leiden hinein! Da leidet er für uns und mit uns!

Das Thema Leid und auch das Thema Schuld bekommt da richtig Tiefgang!

‚Jesus Christus stirbt für uns und leidet mit uns’ - ja es mag wie eine dogmatische und theologische Phrase klingen.

Aber das Ganze ist im Grunde genommen so lebensnah und hat soviel Tiefgang!

Das ist die Wirklichkeit, die mich, mein Leben betrifft!

Das gibt mir Trost und Halt! Da weiß ich mich getragen, weil jemand mit mir fühlt und für mich da ist - nicht nur in den Höhen, sondern auch, ja gerade in den Tiefen meines Lebens.

Das ist es - davon bin ich überzeugt -, was auch andere Menschen tragen kann, ihnen Trost und Halt gibt.

Ich merke das immer wieder bei seelsorgerlichen Gesprächen.

Da begegnen mir Menschen mit allem möglichen Schweren, was sie bedrückt und belastet - sei es Leid oder Schuld oder beides zusammen. Wie froh bin ich dann, in solchen Situationen diesen Gott zu kennen, der Schuld wegnehmen kann, der Leiden kennt und mitfühlt. Da kann ich wirklich etwas von Gottes Nähe weitergeben, etwas, das Tiefgang hat und nicht mit billigen Sprüchen vertröstet.

Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte, die ich erlebt habe und mich tief berührt hat. Manche wissen es: Ich war vor mehreren Jahren Pfarrer in mehreren Seniorenheimen. Gottesdienste und zahlreiche Besuche gehörten zu meinem Aufgabenbereich. Regelmäßig kam ich da vorbei und hatte meine Ansprechpartner, die mir sagten, wo es nötig ist hinzugehen.

So war es dann auch an dem Tag, wo mir eine Mitarbeiterin sagte: Frau Meier - ich nenne die Frau jetzt mal so - Frau Meier auf der 2. Etage geht es schlecht. Es wäre gut, wenn Sie da mal einen Besuch machen können. Also bin ich los, ohne großartig mir dabei was zu denken. Schlecht gehen - das kann ja auch bedeuten, dass jemand gerade seinen schlechten Tag hat und etwas bedrückt ist. Auf der 2. Etage begegnete mir eine Pflegerin, die mir sagte: Gehen Sie doch bitte zu Frau Meier, die liegt im Sterben. Oha, dachte ich mir, das klingt schon ganz anders. Ich bin dann in das Zimmer geeilt, wo Frau Meier im Bett lag. Eine grüne Dame - das sind Menschen, die andere bei ihrem Sterben begleiten - eine grüne Dame saß an ihrem Bett. Ich selbst sah, dass Frau Meier das Atmen schwer fiel und ihr Gesicht ganz eingefallen war. Ich habe mich dann bei ihr laut und deutlich als Pfarrer von der und der Kirchengemeinde vorgestellt, ja und das war’s. Dann wusste ich erstmal nicht weiter. Reden mit ihr war einfach nicht mehr möglich. Es trat für mich eine beklemmende Stille ein. Ich habe das nicht lange ausgehalten und fing an, mit der grünen Dame ein Gespräch zu führen. Aber bald merkte: Hey, das ist nicht gut. Da liegt jemand im Sterben und über den Kopf hinweg redest du mit jemand anderem. In dem Moment fiel mir intuitiv ein: Du könntest doch der Frau was aus dem Evangelischen Gesangbuch vorsingen. Das habe ich dann getan. Es war der klassische Choral ‚Befiehl du deine Wege’ von Paul Gerhardt. Nicht alle zwölf Strophen, sondern nur drei. Aber das reichte. Beim Singen merkte ich schon, wie Frau Meier irgendwie wachsamer schien und bei der letzten Strophe ihren letzten Atemzug machte und ich noch schnell den Segen ihr zusprach. Ich hatte den Eindruck: Frau Meier hatte darauf nur gewartet. Sie konnte in Frieden loslassen. Die grüne Dame kam noch Wochen später auf mich zu und sagte: Herr Eberhard, das war doch wirklich ein Wunder. Ich sagte: Ja, das war wirklich wunderbar.

Ich will damit jetzt nicht sagen, dass das immer so wunderbar ist. Ich will damit sagen: Wir haben etwas, das uns und anderen wirklich Trost und Halt geben kann. Wir können das auch weitergeben und für andere da sein.

Wir können uns dem Leiden stellen - nicht nur im Bereich der Hospizarbeit.

Das gilt für andere Bereiche genauso.

Um es klar zu stellen: Dabei geht es in erster Linie gar nicht darum, große Worte zu machen und perfekt theologische Antworten wie aus dem Kochrezeptbuch zu geben. Manchmal ist es einfach dran, den anderen liebevoll zu umarmen, bei ihm zu sein, zuzuhören und still das Leiden mit ihm auszuhalten.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn man sich das neu bewusst macht und sich einen Ruck zu gibt:

Komm, den wolltest du doch schon längst anrufen. Dem geht es doch nicht so gut. Das weißt du doch schon lange. Mach mal da einen Besuch. Der wird sich bestimmt freuen. Schreib dem mal eine Karte. Der bekommt doch sonst von niemandem etwas.

Ich bin überzeugt: Das kann unheimlich viel bewirken, oft mehr als Worte und unsere theologischen Verrenkungen, die wir oft in der Kirche unternehmen.

Die Kraft dafür müssen wir nicht aus uns selbst ziehen. Die bekommen wir vielmehr von Gott, der für uns in allem Leid da ist.

Im Vertrauen auf Jesus darf ich wissen: Er tut mir gut, ist Balsam für meine Seele - so wie wir es gleich im nächsten Lied singen werden.

Das Pflaster, das wir am Ausgang des Gottesdienstes geschenkt bekommen, ist ein Zeichen dafür und soll uns daran erinnern, was Gott für uns ist und was wir selbst für andere sein können und wie wir mit Leiden umgehen können.

Amen.

Klaus Eberhard