Predigt am 6. März 2011 über
Lukas 10, 38 - 42
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Ich
lese Worte aus dem 10. Kapitel des Lukasevangeliums:
38
Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit
Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die
hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner
Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen.
Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass
mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie
mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr:
Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist Not.
Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen
werden.
Liebe
Gemeinde!
Stellen Sie sich einmal vor, wie es
wäre, wenn es keine solchen Marta’s wie in unserer Geschichte gäbe.
Stellen Sie sich mal vor, wenn all die Menschen, die sich für
unsere Gemeinde reinknien, fehlen würden. Ich vermute mal: Wir würden
schnell merken, wie sehr Not am Mann, nein an der Frau wäre. Wir würden
deutlich spüren, wie sehr wir solche Marta’s in unserer Gemeinde
brauchen und auf sie angewiesen sind.
Nein, wir können wirklich froh
sein über die vielen Martha’s hier, in unserer
Philippus-Kirchengemeinde. Das kann ich nach gut einem
Dreivierteljahr hier als Pfarrer schon sagen. Ich bin in einer sehr
lebendigen und aktiven Gemeinde gelandet! Was stellen wir hier nicht
alles auf die Beine und stemmen alles. Ich denke da an die
monatlichen Buffetts nach dem Welcome-Gottesdienst, die vielen Empfänge,
Kreisen und Gruppen, die hier stattfinden, Tische, Stühle gestellt
werden, es reichlich zu Essen und zu Trinken gibt. Da ist nicht viel
mit Catering-Service. Das machen die vielen Martas in unserer
Gemeinde und vieles mehr.
Ich denke auch in dem Zusammenhang
an Frau Ewald, die letzten Sonntag gestorben ist. Sie war überall
bekannt, war jahrelang in der Behindertengruppe und im Altenclub
unserer Gemeinde tätig. Sie hat wirklich viel für andere Menschen
getan. Wir werden sie da sicher in unserer Gemeinde vermissen. Sie
war eine treue Marta für uns.
Ich komme damit zu der Marta in der
Geschichte:
Jesus hat sich hier nicht vorher
großartig angekündigt. Ich sehe vor mir, wie Martha diesen überraschenden
Besuch erst einmal verkraften muss. Sie hat keine Vorbereitungszeit,
aber sie lässt sich davon natürlich nichts anmerken. Schließlich
kommt nicht irgendeiner, sondern Jesus selbst! Für ihn zeigt sie
sich als Hausfrau von der besten Seite. Ich vermute, sie putzt,
kocht, tischt das Beste auf und das alles gleichzeitig.
Ich selbst bewundere Frauen, die
das können und sich wirklich soviel Liebe und Mühe geben. Ja, ich
schätze überhaupt Menschen, die das leben, was wir in der
Geschichte hören: ‚Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm
zu dienen.’
Das sei zu Anfang schon mal ganz
deutlich gesagt: Martha tut hier nichts Falsches! Sie tut es bloß
zu einem falschen Zeitpunkt! Dazu später mehr.
Martha macht erst einmal alles, was
von ihr aus möglich ist. Sie tut viel Liebes und Gutes. Und sie tut
es nicht für sich! Manche hyperaktiven Menschen heute arbeiten ja
so viel, um einen gewissen Lebensstandard zu haben.
Martha hingegen denkt gar nicht in
erster Linie an sich selbst. Zumindestens am Anfang der Geschichte
ist das so. Sie will vielmehr Jesus dienen. Für ihn will sie alles
aufbringen, so dass gar nicht erst der Eindruck entstehen kann, er
sei ein ungebetener Gast. Sie übt wirklich Liebe am Nächsten!
Aber dann fällt ihr Blick auf ihre
Schwester Maria. Plötzlich sieht sie, wie sehr sie sich abhetzt und
ihre Schwester hingegen scheinbar nichts tuend, gemütlich bei Jesus
sitzt und ihm einfach zuhört. Da platzt ihr der Kragen. Da bekommt
sie so einen Hals. Da muss sie ihrem Ärger soviel Luft machen, dass
sie selbst einem so angesehenen und hohen Besuch in ihrem Haus wie
Jesus vorwirft: ‚Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine
Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen
soll!’
Vielleicht kennen Sie das auch von
sich selbst. Wenn man viel beschäftigt ist, dann kann man es
manchmal schwer ertragen, wenn jemand still, ja anscheinend faul
herumsitzt und nichts tut. Dafür hat man in der heutigen Zeit, in
der so vieles hektisch und schnell zugeht, kaum Verständnis. Da schüttelt
man innerlich vielmehr den Kopf, wenn man seinen Unmut nicht schon
laut geäußert hat.
Wissen Sie, vor ein paar Jahren war
ich auf einer Fortbildung in Wuppertal. Da erzählte der Referent
uns, dass er vor kurzem auf einem Pfarrkonvent gewesen ist. Das ist
so ein Treffen, wo die Pfarrer aus der gleichen Region so ca. jeden
Monat einmal zusammenkommen. Da hat diese Referent die einfache
Frage an die Pfarrer gestellt: ‚Haben Sie in ihrem Pfarrberuf
eigentlich Zeit frei?’ Das wurde natürlich sofort von fast allen
mit einem klaren Nein beantwortet. Überlasteter Terminkalender, so
vieles auf einmal und gleichzeitig machen, keine vernünftige
Vorbereitung mehr auf die wesentlichen Dinge usw. Das wurde
anscheinend so vorgetragen, als ob man darauf auch noch stolz war.
Nur einer der Pfarrer traute sich zu sagen: ‚Doch, also ich habe
schon Zeit!’ Automatisch drehten sich alle Köpfe überrascht und
fragend zu demjenigen hin, worauf dieser schnell sich versicherte:
‚Das ist doch in Ordnung, oder?’ Darauf die anderen: ‚Jaja,
natürlich.’ Aber ihre Blicke, ihre Gesichtsmienen sagten da etwas
ganz anderes. Da war vielmehr ein unverständliches ‚Wie kann man
nur?’ herauszulesen.
Wenn man heute Zeit hat, dann muss
man schon fast ein schlechtes Gewissen haben, zu wenig zu arbeiten.
Ich kenne das zu mindestens von mir so.
Genau da liegt m.E. ein großes
Problem unserer Zeit: Nicht zur Ruhe kommen. Ganz aktuell in den
jecken Tagen - ja, Karneval ist schön, wenn man mal ausgelassen
feiert und irgendwie anders sein kann, nicht so im Beruf und
Arbeitsstress eingespannt ist und da mal rauskommt. Aber das ersetzt
nicht die Ruhe und Stille, die wir vor Gott brauchen.
Jesus legt seinen Finger genau auf
diesen wunden Punkt. Er stößt uns dabei nicht vor den Kopf. Als
guter Seelsorger spricht er uns hier auf ganz liebevolle Weise an.
Das höre ich aus der Antwort
heraus, die Jesus der vielbeschäftigten Martha gibt: ‚Marta,
Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat
das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.’
Da höre ich Dankbarkeit, Wertschätzung
gegenüber Marta, die so vieles tut und macht!
Jesus will aus dem ganzen Streit
auf keinen Fall Maria zum Gewinner küren und Marta die
Verliererrolle geben. Ganz und gar nicht!
Jesus will vielmehr auf das so
‚gute Teil’ hinweisen, das wir so nötig haben!
Damit will Jesus jedem einzelnen
von uns sagen: Ich viel beschäftigter Mensch werde jetzt mal vor
Gott ruhig und still. Ich stelle mich innerlich auf Gott ein und
sage zu ihm: Herr, hier bin ich. Ich will jetzt wirklich mal all
meine Arbeit niederlegen und offen für dich sein. Füll du mich neu
und beschenke mich mit deiner Liebe!
Das ist das gute Teil, von dem
Jesus hier spricht. Und ohne dieses gute Teil geht es nicht.
Ansonsten laufe ich an Gott vorbei und komme überhaupt nicht mehr
zum Nachdenken, was ich eigentlich den ganzen Tag tu, wie wichtig
oder wie unwichtig das eigentlich ist.
Das ist mir selbst in der hinter
uns liegenden Woche zweimal klar geworden.
Erstens bei der Predigvorbereitung
selbst: Da habe ich gemerkt, wie oft ich da an meine Klausurtagungen
vor ein paar Jahren im Kloster Steinfeld bei den Benediktinerinnen
gedacht habe. Da habe ich nicht viel getan. Ich habe an den
Gebetszeiten morgens, mittags, abends teilgenommen und gemerkt, wie
gut mir das tat! Das gab meinem Leben so einen wohltuenden Rhythmus.
Alles war vorgegeben und ich konnte mich da einfach hineinfallen
lassen. Ich habe mich gefragt: Warum kommt das gerade jetzt in dir
hoch, wo du den Predigttext so gründlich studierst? Warum habe ich
jetzt gerade danach eine so große Sehnsucht?
Die Antwort darauf habe ich schnell
gefunden. Wahrscheinlich ist das so, weil ich viel zu sehr in Action
bin. Ich gehe jetzt auf die Vierzig zu und da schafft man halt viel.
Weil ich schon beim Klosterleben
gerade war, sag ich’s noch mit einem lateinischen Satz aus dem Mönchtum:
‚Ora et labora’ - auf Deutsch: ‚Bete und arbeite’.
Also das mit dem Arbeiten stimmt.
Das kann ich mit stolz geschwellter Brust wie die anderen Pfarrer
auf dem Konvent behaupten. Das mit dem Beten, hm, da sieht’s eher
mager aus.
Damit bin ich beim zweitens: Ich
hatte diese Woche ein Mitarbeitergespräch, das vom Kirchenkreis aus
für Pfarrer eingerichtet ist. Da wird so ein bisschen die Lage
gecheckt, wie es so im Pfarramt aussieht. Man erkundigt sich, wie es
den Pfarrern so geht. Dazu gab es vorher einen Fragebogen, den ich
brav beantwortet habe. Da war auch eine interessante Frage dabei:
Haben Sie Möglichkeiten zur Gestaltung ihres eigenen spirituellen
Lebens?
Da habe ich sofort stolz los
gelegt: Ich bin jetzt in einer frommen Gemeinde! Da lerne ich gerade
wieder mehr, frei zu beten und intensiv in der Bibel zu lesen.
Daraufhin wurde ich im Gespräch gefragt: Das tun Sie doch auch viel
als Pfarrer für die Gemeinde. Wo tun Sie etwas Spirituelles für
sich selbst, für Ihre Person Klaus Eberhard? Da fiel mir erstmal
nicht viel ein. Da war es eher mager. Wie gesagt: Labora viel, aber
ora eher wenig. Vielleicht ist so eine Auszeit im Kloster mal wieder
dran. Vielleicht ist das auch mit Einübung und Disziplin verbunden.
Auf jeden Fall ist das ein Punkt, dem ich mehr nachgehen möchte.
Ich bin jedenfalls überzeugt: Das
ist der gute Teil, den Jesus hier meint.
Da werde ich beschenkt! Da darf ich
neu mit offenen Herzen Gottes Liebe, Jesus selbst empfangen!
Da muss ich nicht Jesus dienen und
ihm alles recht machen. Da ist er schon längst für mich da und
will mir dienen! Die Passionszeit, die nach der Karnevalszeit
beginnt, erinnert uns daran. Jesus sagt es im 10. Kapitel des
Markusevangeliums selbst: ‚Der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe
als Lösegeld für viele.’
Darin ist alles enthalten, was wir
brauchen, so nötig haben: Jesus dient uns, ja er tritt für uns
ein! Er ist unser Heil und Lebensglück, unser Halt und Trost,
unsere Stärke und Kraft und vieles mehr!
Genau dieses so gute Teil geschieht
bei Maria, wenn es in unserer Geschichte heißt: ‚Die setzte sich
dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.’ Maria lässt sich
von Jesus beschenken. Sie öffnet sich Jesus und hört ihm wachsam
zu. Sie nimmt sich dazu die Zeit.
Freie Zeit ist also nicht mit
Faulsein gleichzusetzen. Im Gegenteil: Solch eine freie Zeit kann
sehr intensiv sein, wenn ich das zulasse und mich darauf einlasse.
Wichtig ist, dass ich in dem allen
kein meditatives Ohm in mir selbst suche, sondern den Blick wieder für
Gott bekomme, ihm einfach zuhöre, was er mir zu sagen hat und mich
neu beschenken lasse!
Genau da will Jesus liebevoll der
so wertgeschätzten Martha und auch uns heute die Augen öffnen.
(Pause)
Jetzt sagt sich vielleicht mancher
unter uns: ‚Ja, das mag ja alles richtig sein. Aber die Hände in
den Schoß legen und nur den anderen machen lassen geht doch auch
nicht.
Dazu kann ich nur sagen:
Sicherlich ist jetzt kein
kontemplatives Leben angesagt, wo ich alles nur verinnerliche und
mich aus meiner Arbeitswelt für immer verabschiede. Ich hätte die
stille und freie Zeit für Gott falsch verstanden, wenn ich mich aus
allem zurückziehen und jede Verantwortung ablegen würde. Es gibt
sicherlich viele Aufgaben, die auf mich warten und die es auch
anzupacken gilt.
Aber in der Arbeit, in meinem Tun
und Schaffen, sei es noch so liebevoll und fürsorglich, geht eben
nicht alles auf. Da verausgabe ich mich auf Dauer nur total. Ganz wesentlich ist es, auf Gott zu hören und sich von ihm tragen lassen. Dazu bedarf es
Zeiten der Ruhe, in denen ich ihn zu mir sprechen lasse und mich
ganz in Gottes Hände fallen lasse.
Um es zum Abschluss nochmals
deutlich zu sagen:
Wir brauchen beide Personen in
unserem Leben: Maria und Marta! Beide sind zu ihrer Zeit dran! Beide
gehören zusammen! Die eine geht ohne die andere nicht!
Wir brauchen die Maria ins uns! Es
ist für uns entscheidend, das gute Teil von Gott wirklich
anzunehmen, sich ihm anzuvertrauen, sein Wort zu hören, sich neu
von ihm beschenken und erfüllen zulassen!
Wir brauchen auch die Martha in
uns! Es ist auch so wichtig, aus der Zeit der Stille mit Gott
aufzubrechen und mit Motivation, voller Elan das anzugehen, was im
Alltag auf uns wartet!
Machen wir daraus bloß keine
Alternative, die das eine gegen das andere ausspielt.
Bitten wir vielmehr Gott darum, uns
zu zeigen, was gerade in unserem Leben dran ist.
Genauso verstehe ich auch den
Leitvers aus Psalm 31, von dem sich auch der lateinische Namen
dieses Sonntags ‚Estomihi’ ableitet, wenn dort der Beter sich an
Gott wendet und zu ihm spricht: ‚Sei mir ein starker Fels und eine
Burg, dass du mir helfest! Um deines Namens willen wollest du mich
leiten und führen.’ Amen.
Klaus Eberhard
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