Predigt an Sylvester 2010 über
Jesaja 30, 8 - 17
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Liebe
Gemeinde!
Wie
geht es Ihnen an solchen Abenden? Kommt da in Ihnen eine wehmütige
Stimmung auf? Mir zu mindestens geht’s so. So richtig lieb habe
ich solche Zeiten nicht. Ich halte im Lauf meiner Lebenszeit mal
inne und werde mir bewusst, was eigentlich alles so gelaufen ist.
Beruflich war das dieses Jahr sicherlich nicht wenig: Eine neue
Pfarrstelle in meiner nun nicht mehr so neuen
Philippus-Kirchengemeinde. Das stimmt mich nach wie vor positiv.
Aber das Negative ist auch mit dabei. Ich denke an all die Dinge,
die ich mir vorgenommen habe und die ich nicht erreicht habe. Ich
denke an all die Gelegenheiten, die ich habe verstreichen lassen, um
mein Leben zu verändern, ihm eine ganz andere Richtung zu geben.
Ich
vermute, da geht es Ihnen ähnlich. Da denken Sie vielleicht auch an
das vergangene Jahr zurück und merken, was gut gelaufen ist, aber
auch, was sie nicht bekommen, ja verpasst haben.
Da
kann leicht eine Wehmut in einem aufkommen, wenn man genauer drüber
nachdenkt und sich da hinein vertieft.
Schön
finde ich es daher umso mehr, dass Sie davor nicht einfach mit
Knallerei und Alkohol in das neue Jahr flüchten, sondern diesen
Abend mit einem Gottesdienst beginnen. Schön, ja gut finde ich es,
dass Sie mit dem, was Sie sind und auch nicht sind, am Ende des
Jahres vor Gott hintreten und auf sein Wort hören, sich dem
stellen.
Also
lassen wir die Worte des Herrn, unseres Gottes auf uns wirken. Ich
lese aus dem 30. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja:
8
So geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und
zeichne es in ein Buch, dass es bleibe für immer und ewig. 9 Denn
sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören
wollen die Weisung des HERRN, 10 sondern sagen zu den Sehern: »Ihr
sollt nicht sehen!«, und zu den Schauern: »Was wahr ist, sollt ihr
uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das
Herz begehrt! 11 Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn!
Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!« 12 Darum spricht
der Heilige Israels: Weil ihr dies Wort verwerft und verlasst euch
auf Frevel und Mutwillen und trotzt darauf, 13 so soll euch diese Sünde
sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer,
die plötzlich, unversehens einstürzt; 14 wie wenn ein Topf
zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, sodass man von
seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom
Herde oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen. 15 Denn so spricht Gott
der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille
bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet
ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht 16 und sprecht: »Nein, sondern
auf Rossen wollen wir dahinfliehen«, – darum werdet ihr
dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, – darum
werden euch eure Verfolger überrennen. 17 Denn euer tausend werden
fliehen vor eines Einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle
fliehen, bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und
wie ein Banner auf einem Hügel.
Hui!
Was für ein Text! Bereuen Sie es jetzt vielleicht, in die Kirche
gekommen zu sein? Das ist ja nicht gerade einladend, was wir da zu hören
bekommen haben.
Als
ich den Predigttext zum ersten Mal las, war meine erste Reaktion: Oh
nein! Nicht das! Was soll ich denn dazu noch sagen?!
Das Ganze klingt für mich
erstmal nach Resignation! Da scheint der Prophet Jesaja sein Volk
ziemlich abgeschrieben zu haben. Die haben sich knatschverkehrt
verhalten und das schon seit langem. Dafür bekommen sie nun die
Rechung von Gott. Jaja, so ist das halt. Da ist nix mehr zu machen.
Das passt vielleicht sogar
etwas zur Stimmung am Altjahresabend: So ist halt der Lauf der Welt,
so ist halt der Lauf der Zeit. Daran kann man nichts ändern. Alles
geht irgendwie den Bach runter.
Ist das also nun ein
pessimistisches Endfazit von Jesaja - zu vergleichen mit einem alten
Mann, der frustriert über sein Leben und das der Welt nachdenkt und
darin nichts Gutes mehr zu erkennen vermag?
Dazu kann ich nur sagen: Mit
Sicherheit nicht! Ganz bestimmt nicht!
Erstens ist es nicht Jesaja,
der seine Sicht hier niederschreibt, sondern Gott, der durch ihn
spricht.
Zweitens spricht hier Gott der
Herr, der Heilige Israels wortwörtlich: ‚Wenn ihr umkehrtet und
stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen
würdet ihr stark sein.’
Es gibt also die Möglichkeit
der Umkehr, der Hinkehr zu Gott!
Das sei mal klar festgehalten!
Und in dem, was direkt auf
unseren Predigttext folgt, schreibt Jesaja: ‚Darum harrt der Herr
darauf, dass er euch gnädig sei, und er macht sich auf, dass er
sich euer erbarme!’
Na, das sind doch ganz andere
Worte. Da erweist sich Gott, der Herr als geduldig und barmherzig!
Das wird hier also ganz klar
vorausgesetzt. Das ist der Grund, mit dem unser christlicher Glaube
steht und fällt!
Eigenartig, dass das aber als
schönes Schlussfazit aus unserem Predigttext raus gefallen ist,
nicht wahr?
Je mehr ich aber darüber
nachdenke, desto mehr gefällt mir das. Ja, das soll heute gerade
nicht zu billig gemacht werden, wo wir uns getrost zurück lehnen
und uns sagen: Ich habe es eh gewusst. Der liebe Gott kann doch gar
nicht anders. Am Ende wird eben alles gut.
Nein, so stimmt es nicht! Dann
hätten wir aus der frohen Botschaft ein weiches Evangelium gemacht.
Das Ganze ist eine deutliche,
klare Mahnung an uns!
Wir müssen nicht resignierend
den Kopf in den Sand stecken, weil eh schon alles gelaufen ist. Aber
wir werden hier ermahnt!
Vor allem in einem Punkt:
Setzt nicht auf falsche Sicherheiten! Vertraut vielmehr wirklich auf
Gott!
Jesaja beschreibt das ganz
konkret an seinem jüdischen Volk. Das kann man direkt - diesmal vor
unserem Predigttext - nachlesen. Das Volk befand sich in ziemlich
großer Not. Die Assyrer waren an der Macht. Das Nordreich des
Volkes war schon längst platt gemacht worden. Ein Großteil Israels
war schon von den Assyrern geschluckt worden. Übrig blieb der
Rumpfstaat Juda mit der einst so berühmten Stadt Jerusalem. Was hat
man da versucht? Ganz klar, man hat sich in Anführungsstrichen
‚Freunde’ gesucht, benachbarte, scheinbar mächtige Völker, die
es mit den Assyrern aufnehmen konnten. Eine große Macht war da doch
schon immer Ägypten gewesen. Also, verlassen wir uns doch mal auf
sie und gehen mit denen einen antiassyrischen Pakt ein. Ägypten ist
von jetzt an unser Bündnispartner.
Das ist so verständlich, dass
die Könige des jüdischen Volkes so gedacht und gehandelt haben.
Sie wollten so ihr Bestes für ihr Volk. So war das auch bei Hiskia,
der nun wirklich im Gegensatz zu manch anderen Königen ein frommer
König gewesen ist.
Das Problem ist aber, dass man
bei aller äußerlichen Frömmigkeit sehr eigenmächtig gehandelt
hat und nur auf die eigene Sicherheit aus war.
Es waren schlicht und einfach
falsche Sicherheiten, auf die man gesetzt hatte. Die Ägypter waren
letztendlich gar keine Hilfe und verloren später so kläglich gegen
die Übermacht Assyrien.
Das ist ja im Grunde etwas
typisch Menschliches, auch wenn es dadurch nicht besser wird - nicht
nur damals, sondern noch heute.
Ich habe mich gefragt, was
sind eigentlich heute meine Ägypter?
Sind es all die
Versicherungen, die ich abgeschlossen habe und jetzt an meinem neuen
Wohnort angepasst habe?
Ist es meine volle,
verbeamtete Pfarrstelle mit meinen monatlichen Gehalt und der genügenden
Absicherung im Ruhestand?
Ist es meine neue Gemeinde, in
der es so herzlich und beziehungsvoll zugeht und ich so viel erlebe?
Ist es meine Familie, zu der
ich echt ein tolles Verhältnis habe, wo eben über
Blutsverwandtschaft nichts hinaus geht?
Sind es meine Freunde, die zu
mir stehen und sich freuen, wenn der Klaus kommt?
Das sind ja alles ganz
wichtige Dinge, die es im Leben zu regeln gibt, wo tatsächlich
Handlungsbedarf ist!
Aber wenn ich allein darauf
setze, ja dann fehlt mir das Entscheidende, das Gottvertrauen!
In all den Dingen, die ich
genannt habe, drehe ich mich nur um mich selbst. Da versuche ich
selbst alles in die Hand zu nehmen und hinzukriegen.
Das Selbstvertrauen, aber
nicht das Gottvertrauen bestimmt so mein Leben!
Genau da lenkt Jesaja meinen
Blick wieder darauf, dass doch alles in meinem Leben vielmehr ein
Geschenk, eine Gabe Gottes ist! Da macht er mir bewusst machen, wie
zerbrechlich mein Leben auf mich allein gestellt doch eigentlich
ist.
Genau da macht Jesaja mir
klar: Mach nicht so weiter wie bisher! Suche neu den Bezug zu Gott!
Bau zu ihm eine persönliche und tiefgehende Glaubensbeziehung auf!
Denn darauf kommt es an! Ohne diese tiefe Bindung an Gott verkümmert
nämlich dein Leben. Ja, ohne diese feste Bindung an Gott geht dein
Leben total kaputt.
Jesaja nennt dazu zwei
drastische Beispiele:
Das ist wie ein Riss in der
Mauer, der alles plötzlich zum Einstürzen bringt.
Das ist wie ein Tonkrug, der
mit voller Kraft auf den Boden geworfen wird und in kleinste Teile
zerspringt, mit denen man nichts mehr anfangen kann.
Das ist hart, aber es stimmt
offen und ehrlich gesagt.
Ohne Gott stehe ich
letztendlich mit leeren Händen, mit Nichts da.
Manch einer mag jetzt
vielleicht innerlich protestieren und sich sagen: Hey, so schlimm
ist es doch bei mir nicht. Ich bin doch fromm. Ich glaube an Gott. Für
mich ist doch Kirche wichtig und ich versuche mich da auch
einzubringen.
Ja, das mag alles stimmen. Ich
will das auch alles in Ehren halten und wert schätzen.
Aber ist es nicht oft so, dass
wir unser Frommsein auch mit unseren eigenen Interessen und
Vorteilen verbinden?
Manchmal habe ich das Gefühl:
Wir bauen da Gott solange in unser eigenes System ein, bis er da
hinein passt und alles so weiterlaufen kann wie bisher.
Genau das ist verkehrt. Hier
werden unsere eigenen Standpunkte, mögen sie noch so fromm sein,
vielmehr relativiert.
Das ist wirklich echtes
Gottvertrauen gefragt! Ein Vertrauen, das sich hineinfallen lassen
kann in ihn, der einen wirklich hält! Ein Vertrauen, das falsche
Sicherheiten loslassen kann und auch etwas riskiert!
Genau daran fehlte es dem Volk
Israel damals. Daran fehlt es wahrscheinlich auch uns!
Ich möchte dazu nochmal etwas
persönlich sagen. Als damals klar war, dass Sie mich als neuen
Pfarrer haben wollen, da war nicht nur Freude da, sondern auch
Angst. Plötzlich war ich vor meiner eigenen Courage erschrocken.
Bis dahin empfand ich es als Kompliment, dass man an mir
interessiert war und dass ich durchaus Chancen hatte. Aber auf
einmal wurde es ernst und ich musste mich auf die neue Situation
einlassen. Da weiß ich noch, wie ich einem Pfarrkollegen in
Godesberg die Pro- und Contra-Argumente vortrug und alles genau abwägte.
Der Pfarrer, der deutlich liberaler als ich war, sagte mir eher
frommen Pfarrer: Klaus, habe doch einfach Gottvertrauen! Da fühlte
ich mich in mancher Frömmelei ertappt und habe mich schon gefragt:
Nehme ich das mit dem Glauben an Gott wirklich ernst? Lass doch
jetzt mal falsche Sicherheiten los und dich wirklich auf das Neue
ein!
Genau dem sollte sich jeder
von uns neu stellen: Wie sieht das aus für unsere Gemeinde? Wie
sieht das für uns beruflich wie privat aus? In all diesen
Bereichen, egal was da ansteht, ist ganz klar das Vertrauen auf
Gott, auf Jesus Christus gefragt!
In dem Punkt ist das, was
Jesaja uns predigt, tatsächlich keine angenehme Predigt, wo man
sich träge zurücklehnen kann und so weitermachen kann wie bisher.
Vielmehr werden wir ermahnt, wirklich auf Gott, auf Jesus Christus
zu vertrauen und uns auf ihn mit allem, was kommt - auch an Überraschungen
und Veränderungen - einzulassen.
Gott ist es, der alles in
seinen Händen hält, auch unsere Lebenszeit. Treffend mit den
Worten, die wir gleich singen werden: ‚Meine Zeit steht in deinen
Händen. Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir. Du gibst
Geborgenheit, du kannst alles wenden. Gib mir ein festes Herz, mach
es fest in dir.’ Amen.
Klaus Eberhard
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