Predigt am 31. Oktober 2010 über
Römer 3, 21 - 31 (Reformationstag)
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Ich
lese Worte aus dem 3. Kapitel des Römerbriefes. Der Apostel Paulus
schreibt dort:
21
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott
gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich
rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den
Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier
kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des
Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst
gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus
Jesus geschehen ist. 25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt
als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er
die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit
seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu
erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da
ist aus dem Glauben an Jesus. 27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist
ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke?
Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 28 So halten wir nun
dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein
durch den Glauben.
Liebe
Gemeinde!
Als
Theologe geht mir das Herz auf, wenn ich diesen Briefabschnitt lese!
Was für ein durch und durch evangelischer Bibeltext! Hier wird so
klar und deutlich das Evangelium ausgesprochen!
Was
fallen da nicht alles für markante Worte, die für uns Christen so
wichtig sind:
das
Gesetz
die
Gerechtigkeit
die
Sünde
der
Verdienst
die
Gnade
die
Erlösung
die
Sühne
das
Blut Jesu Christi
die
Werke
der
Glaube
Das
sind alles Worte, die voller Theologie stecken und in denen auch das
Herzblut des Apostels Paulus steckt!
So
denke ich, wenn ich den Text als Theologe und als gut evangelischer
Christ zum ersten Mal lese.
Auf
den zweiten Blick hingegen melden sich bei mir starke Bedenken. Der
Text ist hochtheologisch. Da wird alles so systematisch knapp
zusammengefasst. Da klingt vieles so abstrakt und fremd. Vielleicht
hat sich schon der eine oder andere unter uns gelangweilt, als er
den Abschnitt aus dem Römerbrief gehört hat.
Sie
haben dieses Problem, liebe Frau Bieler, im Schuldbekenntnis auf den
Punkt gebracht. Luthers Frage nach dem gnädigen Gott, die hier mit
einem klaren und fröhlichen Ja von Paulus beantwortet wird, ist uns
so fern.
Sie
juckt viele gar nicht mehr und ist vielen gleichgültig. Das spielt
im normalen Alltagsleben keine großartige Rolle.
Das
geht auch mit einem großen Traditionsabbruch einher.
Der
Reformationstag ist vielen heute unbekannt. Der 31. Oktober steht für
die Jugendlichen und Kinder eher im Zeichen von Halloween. Als
Feiertag gibt es ihn interessanterweise nur in der ehemaligen DDR,
den fünf neuen Bundesländern. Und da blüht das Evangelische nun
wahrlich nicht! Gerade hier wurde die Säkularisierung unter dem
damaligen Regime vorangetrieben, so dass die Kirche und der Glaube
an Gott ganz aus der Öffentlichkeit verschwanden und sich davon
auch nicht erholten.
Aber
man muss gar nicht soweit ausholen. Man kann es ganz konkret vor Ort
erleben.
Ich
habe selbst vor kurzem eine bittere Niederlage in der Schule
eingefahren, wo ich eine Kontaktstunde über ‚Martin Luther’
halten wollte. Ich wusste, dass das Thema nicht leicht war. Und
trotzdem war ich überrascht, dass da gar nichts ist, wo ich bei den
Kindern anknüpfen kann. Das ist mir nachgegangen und ich habe mich
schon gefragt: Wie kann man da noch etwas von dem so Wichtigen und
Wesentlichen der Reformation vermitteln? Wie kann man so davon
sprechen, so dass zumindestens etwas hängen bleibt und man eine
Ahnung bekommt, was evangelisch bedeutet.
Es
würde jetzt aber nichts bringen, wenn ich mich darüber nur beklage
und ein miesepetrige Gesicht mache. Das bringt einen nicht weiter.
Man
könnte jetzt versuchen, das Evangelium anzupassen - so nach dem
Motto: Evangelisch sind eben die modernen aufgeklärten Protestanten
im Gegensatz zur katholischen Kirche. Die finden alles irgendwie gut
und sind für alles offen. Mit so einer Haltung findet man viele Anhänger,
oft bei denjenigen, die sowieso mit dem Glauben an Gott nicht viel
zu tun haben. Aber das kann es nun wirklich nicht sein, das
Evangelium so zu verharmlosen, es lieb, nett so zu verbiegen, bis es
überall hinein passt.
Ganz
wichtig ist vielmehr, die Möglichkeiten zu sehen, das Evangelium,
die frohe Botschaft Jesu Christi mit seinem tiefgehenden und
tiefernsten Gehalt, ohne Wenn und Aber unter die Leute zu bringen!
Das
ist tatsächlich die Herausforderung, die jede Zeit mit sich bringt.
An diesen Auftrag erinnert uns der heutige Reformationstag.
Es
geht also nicht darum, etwas Altes, Verstaubtes aus dem ausgehenden
Mittelalter neu hochleben zu lassen und sich durch mehr oder weniger
trockene Reformationslieder und Texte neu auf das protestantische
Kulturgut einzuschwören.
Es
geht vielmehr darum, das Evangelium neu zur Sprache zu bringen und
Menschen dadurch neu zu erreichen und sie zu überzeugen, was sie
allein im Leben und auch im Sterben tragen kann!
Das
ist die Aufgabe, der wir uns getrost stellen dürfen und mit der uns
vor allem Gott nicht allein lässt!
Ich
bin nämlich bezeugt: Der lebendige Gott begegnet uns noch heute
mitten in unserem Alltag!
Ja,
es mag sein, dass wir Menschen in unserer modernen Zeit vielleicht
nicht mehr nach Gott geschweige denn wie Luther nach dem gnädigen
Gott fragen. Aber - und das ist ein entscheidendes Aber! - aber Gott
fragt nach uns! Das gilt es sich neu klar zu machen! Gott selbst
offenbart sich uns, zeigt sich uns, indem er die Frage an uns
stellt: Wie steht es um dich und um dein Leben? Mitten in unserem
Alltag tritt er mit dieser Frage an uns heran!
Wenn
wir selbst uns dieser Frage wirklich offen und ehrlich stellen, uns
darauf einlassen, dann kommen oft auch Dinge ans Tageslicht, die wir
sonst nicht gesagt hätten und für uns behalten hätten - Dinge,
die uns verwundbar, angreifbar machen. Dinge, die uns zeigen, wie
sehr wir doch manchmal an unsere Grenzen kommen, wie oft wir doch in
unserem Leben versagen und kläglich scheitern. Da tritt zutage, was
sich hinter den eigenen vier Wänden, hinter der eigenen Fassade oft
an Schwerem abspielt bzw. an unguter Vergangenheit abgespielt hat.
Da zeigt sich auch, wie gnadenlos es oft in unserer Gesellschaft
zugeht, dass wir eben nicht in allem mithalten können, sondern auch
in manchem durchfallen und dann am Boden liege.
In
dem Moment, wo ich so etwas im Alltag erlebe - z.B. in intensiven,
seelsorgerlichen Gesprächen - da merke ich, wie Gott hier ins Spiel
kommt und wirklich etwas bewegt und bewirkt! In dem Moment, wo es zu
solch offenen und tiefgehenden Gesprächen kommt, merke ich, wie
hochaktuell das ist, was Luther damals gerade beim Apostel Paulus
entdeckt hat und was er in unserem Abschnitt aus dem Römerbrief
schreibt. Ich spüre dann, was für ein tief tragender Inhalt hinter
den so wichtigen Worten steckt, die ich zu Anfang nannte, und wie
sie sich mit Leben füllen und mich selbst betreffen:
Das
Gesetz, das einem gnadenlos im Alltag sagt, du musst, du musst,
musst und wehe du packst es nicht. Dann bist du unten durch.
Die
Sünde, die mir klar macht. Es liegt nicht nur am anderen und den
Umständen. Es liegt wesentlich an mir. Ich bin nicht vollkommen und
perfekt, wie ich es gerne möchte. Ich bin schuldig vor den Menschen
und vor Gott.
Die
Werke und die Verdienste, die mir oft so wichtig sind. Ich sehne
mich, ja lechze doch oft nach Anerkennung und Bestätigung, um etwas
vor dem anderen zu sein, zu gelten. Der tiefe Wunsch: Bitte beachtet
mich! Es gibt auch mich! Ich will beliebt sein und geliebt werden!
Die
Gerechtigkeit Gottes, die Gnade Gottes, die mir sagt: Hallo, das
brauchst du doch alles nicht. Ja, ich weiß um deine Grenzen, um
dein Versagen und dein Scheitern. Ich weiß um deine Schuld. Aber
ich selbst nehme dich trotzdem an, so wie du bist, so wie du vor mir
dastehst.
Die
Sühne durch das Blut Jesu Christi, wo mir klar wird: Das sind nicht
nur lieb, nette, oberflächliche Worte, so mal locker daher
gesprochen. Nein, das ist tiefernst und total tiefgehend gemeint. Da
setzt sich Gott voll und ganz für mich ein.
Die
Erlösung, durch die ich von allem befreit werde, was mich bedrückt
und belastet. Da kann ich wirklich als freier Mensch vor Gott und
den anderen aufrecht durchs Leben gehen und muss keinem mehr etwas
vormachen.
Der
Glaube, durch den Gott mich einlädt: Vertrau darauf. Vertrau auf
mich, gerade dann, wenn es nicht so rund läuft, du manches zu
tragen hast. Vertrau auf Jesus Christus, denn darauf kommt es an!
Das ist es, was wirklich zählt, was dich wirklich tragen kann.
Ich
hoffe, es ist klar geworden: So gesehen ist das alles gar nicht mehr
eine hochtrabende Theologie, die der Apostel Paulus von sich gibt
und mit der sich der mittelalterliche Mönch Martin Luther damals
rum geschlagen hat.
Nein,
das ist etwas, das mitten in unserem alltäglichen Leben anzutreffen
ist und uns vor allem trägt!
Überall
dort, wo wir in unserem Alltag unseren Mann und unsere Frau stehen,
überall dort ist Gott schon da und trägt uns! Wir leben so durch
und durch von der Gnade Gottes!
Davon
lebe auch ich als Pfarrer. Gerade Ihnen gegenüber als meiner
Gemeinde ist mir das wichtig, zu sagen. Ich habe nicht nur eine
Vorbild- und Leitfunktion. Ich werde vor allem in diesem Amt
getragen.
Davon
leben aber auch Sie, unsere ganze Gemeinde. Wir haben nicht nur ein
wichtiges Leitbild für unsere Gemeinde und ein buntes Leben in
unserer Gemeinde. Wir werden vor allem getragen.
Davon
leben auch Sie, liebe Evangelische Frauenhilfe der
Philippus-Kirchengemeinde. 20 Jahre existieren Sie jetzt schon. Und
was haben Sie da nicht alles an guter und segensreicher Arbeit
geleistet. So aktiv waren und sind Sie. Ihr Programm kann sich sehen
lassen. Zuletzt war es die Reise nach Chrischona und heute das große
und gut vorbereitete Jubiläum. Das alles ist wunderschön. Aber das
allein ist es nicht. Die Präambel Ihrer Satzung stellt es klar: Der
Grund der Arbeit der Evangelischen Frauenhilfe im Rheinland ist das
Evangelium von Jesus Christus. Das heißt: Auch Sie werden dadurch
getragen in Ihrem Ehrenamt und das gewiss auch in der Zukunft.
Um
es nochmal auf den Punkt zu bringen:
Wir
müssen nicht die hochtheologischen Worte vom Apostel Paulus und die
Frage nach dem gnädigen Gott von Luther eins zu eins auf heute übertragen.
Der
Reformationstag erinnert uns vielmehr daran, dass wir die
tiefgehende frohe Botschaft Gottes in unserem Alltag neu entdecken,
uns davon neu ansprechen lassen und sie auch von ganzem Herzen den
Menschen weitersagen.
Gott
selbst schenke uns dazu den nötigen Glauben, dass wir uns in all
dem nicht über fordert fühlen, sondern letztendlich von ihm
getragen wissen.
Amen.
Klaus
Eberhard
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