Predigt am 29. August 2010 über
1. Johannes 4, 7 - 12 -
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Liebe
Gemeinde!
Sind
Sie wieder gut im Alltag angekommen? Oder sind Sie noch in
Urlaubsstimmung, möchten daran noch festhalten und gar nicht in den
Alltag zurückkehren?
Ich
selbst befinde mich gerade so irgendwie dazwischen. Ich hatte vor
kurzem einen prima Urlaub. Zwei Wochen war ich an der Nordsee. Das
Wetter hat gut mitgespielt - im Gegensatz zu hier, wie ich hörte.
Ich konnte wirklich richtig abschalten und mal alle vier von mir
strecken. Also, das hätte ruhig so weiter gehen können. Ich gebe
es zu: Ich wollte das alles erstmal festhalten und mich auf meinen
Alltag nicht so einlassen. Mein Arbeitstempo ließ anfangs zu wünschen
übrig. Seufzend habe ich Mitte der Woche das letzte Urlaubsfoto, wo
die Fähre auf dem Meer in der Ferne verschwindet, vom Monitor
weggeklickt. Ein anderes Foto habe ich nun bewusst als
Desktophintergrund gewählt - das Bild unserer Philippuskirche. Ich
will mich so wieder auf meinen Alltag voll und ganz einlassen.
Es
wäre ja wirklich bedenklich, wenn das nicht so wäre und man nur
von Urlaub zu Urlaub flüchtet.
Unser
Predigttext heute geht da in die andere Richtung!
Da
geht es darum, sich dem Alltag zu stellen, die Liebe Gottes dort, wo
ich stehe, zu leben! Da soll ich gerade nicht vor dem anderen
fliehen, sondern mich voll und ganz drauf einlassen! Da soll es
dementsprechend auch liebevoll und beziehungsvoll untereinander
zugehen.
Ich
lese Worte aus dem 4. Kapitel des 1. Johannesbriefes:
7
Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von
Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. 8 Wer
nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. 9 Darin
ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen
eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben
sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt
haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur
Versöhnung für unsre Sünden. 11 Ihr Lieben, hat uns Gott so
geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12 Niemand hat
Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt
Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.
Zwei
Punkte sind es, die ich hier heraus höre.
Zum
ersten: ‚Wir werden von Gott geliebt!’
Zum
zweiten: ‚Liebt einander!’
Ich
komme zum ersten Punkt: ‚Wir werden von Gott geliebt!’
Schon
die Anrede im 4. Kapitel des 1. Johannesbriefes ist wunderschön:
Ihr Lieben!
Da
ist direkt am Anfang ein Programm für das, was folgt. Es geht
schließlich um die Liebe Gottes und die Liebe untereinander. Daher
redet derjenige, der den Brief verfasst hat, seine Mitgeschwister so
liebevoll und persönlich an: Ihr Lieben!
Ich
selbst habe daher auch überlegt, am Anfang der Predigt nicht mit
dem typischen, pastoralen ‚Liebe Gemeinde!’ sondern genauso zu
beginnen: Ihr Lieben!
Ich
gebe zu, ich bin nach den paar Monaten in meiner neuen Gemeine noch
nicht so weit. Ich würde damit etwas vormachen und ein gewisse
Distanz und auch ein bisschen Fremdheit, die noch da ist, überspielen.
Zudem schwanke ich noch hin und her, ob es nicht auch eine gesunde
Distanz gibt, die einen selbst auch ein bisschen schützt.
Auf
jeden Fall finde ich es toll, dass der Verfasser des 1.
Johannesbriefes das so kann und seine Gemeinde mit ‚Ihr Lieben’
anredet.
Er
kann das auch aus einem guten Grund. In dieser liebevollen Anrede
steckt nicht unbedingt, dass er es mit jedem aus der Gemeinde gut
kann und auf Du-Kurs ist. In dieser liebevollen Anrede steckt
vielmehr: Ihr werdet von Gott geliebt. Ihr seid Geliebte - daher
‚Ihr Lieben’!
In
der Liebe Gottes hat alles seinen Grund!
Und
diese Liebe Gottes ist nicht nur einfach eine Wortblase, die
irgendwie lieb nett daher gesagt wird, aber sonst nichts beinhaltet.
Nein, diese Liebe Gottes hat Tiefgang und ganz viel Inhalt! Gerade
in der Mitte des Briefabschnittes wird das deutlich und klar, wo es
heißt: ‚Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass
Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir
durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott
geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen
Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.’
Das
Wort vom Kreuz kommt hier zur Sprache! Liebe Gottes, das heißt: Da
tritt Gott höchstpersönlich für uns ein! Aus Liebe zu uns lässt
er sich selbst in seinem Sohn Jesus voll und ganz auf die Welt ein!
Ja, da stirbt er für mich am Kreuz, um alles zu bereinigen, was
zwischen ihm und uns und untereinander steht. Da schenkt er uns Versöhnung!
Alles
Unrecht, aller Unfriede, alle Lieblosigkeiten und Verletzungen,
alles, was unser Leben kaputt macht und zerstört, findet dort sein
Ende!
Die
Liebe Gottes macht davor nicht halt, sondern überwindet all das Böse
in uns und in der Welt!
Gerade
durch das Kreuz Jesu Christi haben wir diese dicke Zusage Gottes:
‚Wir werden geliebt!’ Gott selbst spricht uns selbst so an:
‚Ihr Lieben!’
Darauf
dürfen wir vertrauen, egal was uns zu schaffen macht!
Das
ist es, was uns mitten in unserem alltäglichen Leben trägt!
Das
ist die frohe Botschaft, das Evangelium für uns alle!
(Pause)
Aus
unserem Briefabschnitt wird nun daraus die logische Konsequenz
gezogen. Einfach und kurz schreibt es der Verfasser in einem Satz:
‚Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen auch wir
untereinander lieben.’
Also
wenn es sich so mit der Liebe Gottes verhält, ja dann muss das doch
auch bei uns so zünden! Dann muss uns das doch so erfüllen, dass
wir gar nicht mehr anders können als den anderen zu lieben!
Damit
wäre ich beim zweiten Punkt: ‚Liebt einander!’
Oh,
oh, mag sich der eine oder andere denken. So einfach ist das doch
nicht mit dem Lieben. Da tut man sich doch ganz schön schwer. Da
denkt man vielleicht an den eigenen Alltag, an all das, was man in
seiner Umgebung und darüber hinaus in der Welt an Lieblosigkeiten,
Gemeinheiten, Verletzungen und schlimmen Unrecht mitkriegt.
Da
kann man sich schon fragen: Wie ist es möglich, da noch lieben zu können?
Geht das nicht alles in den Bösartigkeiten, die wir uns zufügen,
unter? Hat das überhaupt eine Chance?
Ich
werde darauf jetzt nicht mit einer leichten Liebesgeschichte
antworten, die ich auch im Urlaub gelesen habe, und wo am Ende sich
jeder gefunden hat und alles supergut und schön war.
Ich
werde darauf vielmehr mit einem Film antworten, den ich im Urlaub
gesehen habe und der vor einem guten Jahr in den Kinos lief:
Drachenläufer.
Der
Drachenläufer ist eine eindringliche, erschütternde und rührende
Geschichte aus Afghanistan. Sie spielt kurz vor, während der Zeit
der sowjetischen Besatzung und der nachfolgenden Herrschaft der
Taliban. Zwei Jungen, Amir und Hassan, wachsen dort auf. Eine tiefe
Freundschaft verbindet beide von Kindheit auf. Alles machen sie
zusammen. Amir liest Hassan Geschichten vor, während Hassan mit
seiner Schleuder alles zielgenau trifft. Vor allem eines können die
beiden gut gemeinsam: Das Drachenfliegen! Mit ihrem eigenen Drachen
holen sie die Drachen der anderen Wettkämpfer vom Himmel herunter.
Aber damit nicht genug. Nun gilt es, den heruntergeholten Drachen
vor den anderen zu erlaufen und den Siegespreis zu gewinnen. Hassan
selbst erweist sich hier als hervorragender Drachenläufer. Er weiß
immer, in welcher Gasse die Drachen liegen und ist sofort zur
Stelle. Leider bleibt diese Kindheit nicht unberührt. Furchtbares
geschieht Hassan bei so einem Drachenlauf. Er wird misshandelt. Sein
Freund Amir bekommt es mit, greift aber nicht ein. Um seinen
ehemaligen Freund Hassan nicht dauernd zu sehen und an sein eigenes
Versagen erinnert zu werden, beschimpft Amir ihn und tut ihm großes
Unrecht. Die schicksalsschwere Tat reißt beide auseinander. Amir flüchtet
schließlich mit seinem Vater, als die sowjetischen Truppen
einmarschieren, nach Amerika. Er heiratet dort, macht Karriere und
wird ein erfolgreicher Schriftsteller. Ein gut bürgerliches Leben führt
er, bis die Vergangenheit ihn durch einen Telefonanruf aus
Afghanistan wieder einholt. Derjenige, der anruft, ist ein ganz
vertrauter und ehemaliger Geschäftsmann des Vaters. Er kennt die
Geschichte von Amir und Hassan nur zu gut. In dem Gespräch stellt
sich heraus: Hassan hatte inzwischen geheiratet und einen Sohn.
Lange Zeit hatte er das Elternhaus von Amir behütet und für
Ordnung gesorgt. Dann kam die Taliban und hat ihn und seine Frau auf
offener Straße erschossen. Sein Sohn ist nun in einem Kinderheim.
Der ehemalige Geschäftsmann redet Amir ins Gewissen: Es gibt eine Möglichkeit,
es wieder gut zu machen. Amir entschließt sich daraufhin zu etwas
Lebensgefährlichem. Als geflohener Afghane reist er mit angeklebtem
Bart in seine Heimat und sucht den Jungen. Er erkennt dabei sein
Land nicht wieder. Chaos, Armut, Terror herrschen überall. Schließlich
findet er das Kinderheim, in dem einzelne Wächter der Taliban
Kinder für sich holen - so auch den Sohn Hassans. Amir wagt sich
daraufhin in die Höhle des Löwen. Seine Tarnung fliegt auf, aber
wie durch ein Wunder kann er selbst schwer verletzt den Jungen
finden und mit ihm fliehen. Eine zögerliche und leise Beziehung wächst
wie ein kleines, zartes Pflänzchen zwischen ihnen in Amerika. Es
ist bei weitem nicht alles gut und die schwere Vergangenheit lastet
auf der Familie. Aber es gibt am Ende immerhin so etwas wie einen
Lichtblick.
Wie
gesagt, das ist ein sehr eindringlicher, erschütternder und rührender
Film.
Ich
kann mir gut vorstellen, den Film mit Ihnen gemeinsam mal zu
schauen. Also herzliche Einladung! Kommen Sie ruhig auf mich zu.
Vielleicht findet sich ja ein kleines Grüppchen.
Um
noch mal auf den Film zurückzukommen:
Mir
ist zum einen daran klar geworden, unter welch furchtbaren
Bedingungen Menschen oft leben und aufwachsen.
Mir
ist zum anderen daran klar geworden, dass Versöhnung mit der
unguten Vergangenheit möglich ist. Es ist tatsächlich möglich,
kleine, vielleicht auch große Schritte zu gehen, um etwas Liebe in
die Welt zu bringen.
Um
das Ganze etwas runterzuholen und in unseren Alltag zu übertragen.
Ich
denke da an eine Trauerfeier vor Jahren, die ich hatte. Die Familie
war total verkracht. Jahrzehnte hatte man nicht voneinander gehört,
geschweige denn sich gesehen. Nach der Trauerfeier, wo nur ein Teil
da war, bekam ich einen Anruf: Ich habe mich mit meiner Schwester
getroffen. Sie ist jetzt hier und wir würden gerne mal bei Ihnen
vorbei kommen. Und dann saßen sie bei mir, Hand in Hand und erzählten
sich so viel. Wir haben dann noch eine zweite Trauerfeier am Grab
gemacht. Diese Versöhnung musste schließlich gefeiert werden! Aber
nicht, dass Sie jetzt auf den Gedanken kommen, dass ich als Pfarrer
jetzt immer zweimal antanze. Nein, im Ernst, das Ganze hatte mich
sehr berührt, weil ich spürte: Da ist ein Stück weit Versöhnung
geschehen!
Vielleicht
kennen Sie Geschichten, wo Sie Ähnliches erlebt haben und sei es
nur etwas Kleines, Unscheinbares.
Unabhängig
von unseren mehr oder weniger bemerkenswerten Geschichten, bin ich
davon überzeugt: Das, was uns im 1. Johannesbrief so ans Herz legt
- Liebt einander! - das ist tatsächlich möglich! Das ist möglich,
weil Gott selbst uns liebt! Er selbst schenkt uns Versöhnung! Er
selbst vergibt uns alle unsere Schuld und nimmt uns an, so wie wir
sind! Wir werden geliebt!
Das
ist die frohe Botschaft an uns alle, die wir hier sitzen!
Mit
dieser frohen Botschaft im Rücken können wir getrost den Urlaub
hinter uns lassen und uns mit Freude auf das einlassen, was im
Alltag auf uns wartet! Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft,
er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.
Amen.
Klaus
Eberhard
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