Predigt am 8. Aug. 2010 über
Römer 11, 25 - 32 -
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Ich
lese Worte aus dem 11. Kapitel des Römerbriefes:
25
Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen,
damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem
Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum
Heil gelangt ist; 26 und so wird ganz Israel gerettet werden, wie
geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen
aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von
Jakob. 27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden
wegnehmen werde.« 28 Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar
Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie
Geliebte um der Väter willen. 29 Denn Gottes Gaben und Berufung können
ihn nicht gereuen. 30 Denn wie ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen
seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der
Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt
Barmherzigkeit erlangen. 32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den
Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Liebe
Gemeinde!
Heute
wird in den Kirchen der Israelsonntag gefeiert.
Woran
denken Sie, wenn wir diesen Tag begehen?
Denken
Sie da an unsere schlimme Vergangenheit, was wir Deutsche den Juden
alles angetan haben?
Denken
Sie da vielleicht an den Staat Israel, der entweder glorifiziert
wird, weil sich dort ein Stück Heilsgeschichte Gottes erfüllt hat,
oder der stark kritisiert wird, da dort auch manches Unrecht nach
wie vor geschieht?
Oder
denken Sie vielleicht an die stark umstrittene Judenmission?
Bei
all diesen Fragen merke ich selbst. Der Israelsonntag ist mir bei
all meiner Liebe zum Judentum gar nicht so angenehm.
Da
sind viele heikle Themen drin enthalten, über die man sich die Köpfe
einschlagen kann, ja wo man heute nach allem, was geschehen ist,
vorsichtig sein muss, um sich nicht die Zunge zu verbrennen.
Dem
ist auch nicht durch eine große Liebe zum Judentum beizukommen. Das
hilft da auch nicht weiter. Im Gegenteil - das kann auch Skepsis
hervorrufen.
Mir
ist das klar geworden, als ich mit einer Gruppe vor gut einem Jahr
die Synagoge in Bonn am Rhein besuchte. War ich bei dem Gottesdienst
vom hebräischen Gesang angetan und fühlte mich wohl, ging es
nachher ganz ernst zur Sache. Mir sind dabei ein paar Sätze im Ohr
hängen geblieben, die ein Jude uns sagte: Kommen Sie uns bitte,
bitte nicht mit zuviel Liebe, mit der Sie jeden Juden umarmen möchten.
Wir fühlen uns davon erdrückt. Lassen Sie uns bitte noch frei
atmen.
Mir
ist daran klar geworden. Ich werde in Zukunft nicht leichfertig
meine Israelflagge, meine Kippa, die Kopfbedeckung der Juden und
meine Minora, den Siebenleuchter von meinen Reisen nach Israel
hervorkramen und jedem stolz präsentieren, um zu zeigen, wie lieb
ich doch Israel und die Juden habe.
Dazu
ist das Ganze zu ernst. Die vielen Probleme kann man nicht mit einer
Liebesumarmung erdrücken und somit beseitigen.
Der
Briefabschnitt des Apostels Paulus geht auch nicht in diese
Richtung.
Der
Abschnitt aus dem Römerbrief hat auch keine politische Färbung.
Paulus
zeigt hier ein Stück weit die Glaubensgeschichte bzw.
Heilsgeschichte auf, die Gott mit seinem Volk Israel und mit den
anderen Völkern macht!
Das
Verhältnis zwischen Christen und Juden, zwischen Kirche und
Synagoge kommt darin zur Sprache. Darum geht es auch am
Israelsonntag!
Ganze
drei Kapitel schlägt sich Paulus im Römerbrief damit herum.
Man
merkt daran: Das muss ihm sehr wichtig sein. Das ist ihm ein
Herzensanliegen. Da leidet er mit. Da schreibt er ganz zu Anfang im
9. Kapitel: ‚Ich selber wünschte, verflucht und von Christus
getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind
nach dem Fleisch, die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört
und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der
Gottesdienst und die Verheißungen, denen auch die Väter gehören
und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch.’
Paulus
ist sich seiner Herkunft bewusst - etwas, das die Kirche lange Zeit
vergessen, ja sogar abgelehnt und mit Füssen getreten hat.
Aber
es stimmt: Das Christentum ist im Judentum verwurzelt.
Und
noch eins macht Paulus vor allem deutlich:
Ich
leide darunter, weil ich das Heil in Jesus Christus total ernst
nehme und Israel es gerade nicht annehmen will!
Das
ist es, was Paulus von Anfang bis Ende in den Kapiteln 9 bis 11 im Römerbrief
umher treibt. Auch in unserem Briefabschnitt liegt ihm das am
Herzen.
Diesen
Appell von Paulus sollten wir auch noch heute klar und deutlich hören:
Nehmt
bitte das Heil in Jesus Christus, die frohe Botschaft, das
Evangelium ernst!
Einerseits
bedeutet das:
Benutzt
das Evangelium nun nicht, um Macht auszuüben und eure Überlegenheit
aufzuzeigen. Es geht nicht darum, aufzuzeigen, dass die eine
Religion besser als die andere ist, dass sie vernünftiger oder was
weiß ich ist. Es geht auch nicht darum, die Leute zu bedrängen, in
die eigene Kirche einzutreten - so nach dem Motto ‚nulla salus
extra ecclesiam’, auf Deutsch ‚kein Heil außerhalb der
Kirche’ und zwar in meiner eigenen Kirche.
Nein,
es geht in erster Linie gar nicht um christliche Religion und
Kirche.
Es
geht vielmehr um die Wahrheit, die ich allein in Jesus Christus
finde!
Das
heißt andererseits:
Da
kann ich nicht gleichgültig bleiben und mir einreden: Jeder soll
nach seiner Facon selig werden. Damit macht man es sich zu leicht,
ja geht nicht mehr in die Tiefe und nimmt vor allem das Heil in
Jesus Christus nicht mehr ernst!
Ich
vermute, dass das vor allem in der heutigen Zeit ist. Mein Eindruck
ist, dass viele so ihren eigenen unbestimmten Glauben haben und
darin unentschieden sind.
Paulus
sieht das ganz anders:
Es
geht um das Heil in Jesus Christus!
Da
ist es tatsächlich möglich, errettet zu werden, aber eben auch
verloren zu gehen!
Manchmal
wird gerade das Ende des 9. Kapitels bei Paulus so verstanden, als würde
er hier eine Allversöhnungslehre predigen: Irgendwie kommen wir
alle in den Himmel.
Das
ist aber gar nicht so. Paulus ist es ganz ernst um die frohe
Botschaft Jesu Christi, durch die wir und nur durch die errettet
werden können!
Das
Evangelium gilt es daher allen Völkern, auch Israel zu verkündigen!
Da
macht Paulus keine Ausnahmen und hält sich Hintertürchen offen.
Von
dieser Ernsthaftigkeit des Glaubens an Jesus Christus können wir
neu lernen.
Ich
vermute, dass das gerade heute in unseren Gemeinden dran ist. Da
sollten wir selbstbewusst mit der Botschaft Christi auftreten und
nicht dauernd Abstriche machen, weil wir es den Menschen nicht
zumuten wollen. (Pause)
Jetzt
kann man sich aber gerade am Israelsonntag fragen: Wie verhält sich
denn das zu Gottes auserwähltem Volk Israel?
Paulus
gibt zu: Da gibt es eine große Spannung zwischen zwei Polen.
Auf
der einen Seite steht das Evangelium Jesu Christi. Die Juden sind in
dem so wesentlichen Punkt Feinde Gottes. Da muss man schon
schlucken. Paulus nimmt da kein Blatt vor dem Mund. Damit wird
gesagt: Die Christen glauben, dass Jesus der Messias, ja der Sohn
Gottes ist, der für die Menschen gestorben und auferstanden ist.
Die Juden glauben das nicht und warten noch darauf.
Werden
sie also dadurch für immer und ewig verworfen? Die Kirche hat das
lange Zeit so gesehen. Paulus sieht das gar nicht so.
Da
steht nämlich auf der anderen Seite noch die Erwählung: Da spricht
Paulus klar davon dass die Juden die Geliebten Gottes bleiben. Gott
steht also zu dem, was er seinem Volk zu gesprochen hat. Er lässt
es nicht fallen. Es bleibt nach wie vor sein Volk.
Um
diese Spannung nochmals deutlich zu machen, lese ich dazu die
entscheidenden Sätze von Paulus vor. Da schreibt er: ‚Im Blick
auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im
Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.’
Gottes
Feinde einerseits - so wie halt jeder Mensch, der sich gegen das
Evangelium quer stellt und es ablehnt. Gottes Geliebte andererseits
- dieses Volk hat sich Gott erwählt und das bleibt auch so!
Diese
Spannung kann man, wenn ich Paulus richtig verstehe, nicht einfach
auflösen. Diese Spannung muss ich, gerade wenn mir der Glaube an
Jesus Christus so wichtig ist, aushalten! Da werde ich nicht drum
herum kommen.
Beides,
das Evangelium Jesu Christi und die Erwählung Israels muss ich mir
immer wieder klar vor Augen führen.
Vielleicht
stellt sich der eine oder andere die Frage: Hält denn Paulus selbst
diese Spannung aus?
Man
könnte ja meinen: Paulus kommt damit nicht klar, dass die Juden
nicht zum Glauben an Jesus kommen. Also legt er sich über Ecken und
Kanten etwas zurecht, damit es am Ende doch schön stimmig ist. Die
Juden lehnen das Evangelium ab. So kommt es zu den anderen Völkern.
Tja, und wenn aus der Welt die Menschen vollzählig zum Glauben
gekommen sind, dann kommt Israel endgültig wieder zum Glauben. So
einfach ist die Rechnung.
Paulus
guckt Gott sozusagen durch das Schlüsselloch.
Ich
würde dem nicht zustimmen.
Paulus
sucht in erster Linie keine rationale Erklärung. Paulus blickt
vielmehr tief in das Herz Gottes! Er lässt hier vielmehr klar und
deutlich das Herz Gottes sprechen!
Paulus
weiß um die frohe Botschaft, dass Gott den Gottlosen rechtfertigt.
Paulus weiß, dass Gottes Erbarmen die ganze Geschichte der
Menschheit durchzieht. Sein Erbarmen zeigt sich immer und immer
wieder seinem Volk Israel und den anderen Völkern.
Sein
Erbarmen zeigt sich also auch uns, indem wir Sünder durch Christus
angenommen werden.
Wir
werden es gleich im Lied auch singen ‚Mir ist Erbarmung
widerfahren’.
In
jeder Strophe kommt die Barmherzigkeit Gottes vor.
Diese
Barmherzigkeit Gottes trägt auch mich so wie den anderen.
Da
steht also keiner über dem anderen. Da ist keiner privilegiert.
Da
ist vielmehr Demut angesagt. So wie Gott ein weites Herz hat, so
sollten auch wir ein weites Herz dem anderen gegenüber haben!
Um
es noch mal zum Abschluss auf den Punkt zu bringen.
Drei
Dinge sind es, die uns Paulus in seinem Briefabschnitt an’s Herz
legt:
Zum
einen gilt es, das Heil in Jesus Christus wieder ernst zu nehmen, es
wahrhaftig und ohne Abstriche zu verkünden!
Zum
anderen gilt es, sich die Erwählung Israels als Gottes Volk immer
wieder neu bewusst zu machen und sich nicht über sein Volk zu
heben, geschweige es zu richten.
Über
allem und vor allem steht schließlich das große Erbarmen Gottes!
Darauf dürfen wir vertrauen und hoffen!
In
dem Sinne stehen zu Recht in unserer Kirchenordnung folgende Sätze
im Grundartikel:
Die
Evangelische Kirche im Rheinland bekennt sich zu Jesus Christus, dem
Fleisch gewordenen Worte Gottes, dem für uns gekreuzigten,
auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten Herr, auf den sie
wartet.
Sie
bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel
festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue
Erde.
Amen.
Klaus Eberhard
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