Predigt am 1. Aug. 2010 über
Philipper 3, 7 - 11 -
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Liebe
Gemeinde!
Und,
waren Sie schon im Urlaub oder steht er noch vor der Tür? Haben Sie
da ein gutes Buch zur Hand, was Sie gelesen haben bzw. lesen werden?
Geben Sie mir bitte den Tipp weiter! Darauf freue ich mich auf jeden
Fall, wenn in einer guten Woche mein Urlaub beginnt: Auf das Lesen!
Endlich habe ich Zeit, abzuschalten und in eine andere Welt, die
Welt der Bücher eintauchen.
Unter
den Büchern, die ich dann lese, ist manchmal auch eine Biographie
mit bei.
Ich
muss dazu sagen: Zu Biographien habe ich ein zwiespältiges Verhältnis.
Mal finde ich sie spannend und interessant, weil sie einfach persönlich
sind. Mal stoßen sie mich ab, wenn einer von sich selbst total überzeugt
ist und sich dauernd in den Mittelpunkt stellt. Eine Selbstbeweihräucherung
mag ich gar nicht.
Es
stört mich, wenn da zum Schluss der Satz als Quintessenz steht:
‚Wenn ich mein Leben nochmals leben würde, ich würde es ganz
genauso machen.’
Ich
finde, das kann, ja das darf man so nicht sagen, da es doch immer
Sachen im Leben gab, die nicht so toll waren.
Ich
könnte das zu mindestens nicht von mir sagen. Sicher auf meine
Erfolge schaue ich gerne zurück. Ganz klar wird auch in ein paar
Jahrzehnten hier, in der Philippus-Kirchengemeinde man überall nur
von mir sprechen. In goldenen Lettern wird dann mein Name irgendwo
stehen - vielleicht so zwischen Gemeindesaal und Kirche. In der
alten Gemeinde in Bad Godesberg bin ich schon verewigt. An der Ecke
des Gemeindesaals steht mein Name. Leider ist es nur ein
Namensvetter. Der Architekt Eberhard legte vor mehr als hundert
Jahren den Grundstein für das prächtige Gebäude. Aber ich habe
doch noch was Eigenes vorzuweisen. Ich habe im Lutherarchiv in Tübingen
damals als Hilfskraft unter einem Professor gearbeitet. Da habe ich
fleißig bei der großen Wortkonkordanz über Luther mitgeholfen,
die nun fertig ist. Also, wenn Sie nun einen der Wortkonkordanzbände
aus der Weimarer Ausgabe - irgendetwas mit Band Nummer 65 aufwärts
- in der Hand haben, dann schlagen Sie mal ganz vorne auf.
Vielleicht steht es auch hinten, auf Seite 657 oder so. Dort steht
dann das Kleingedruckte mit allen Mitarbeitern und da ist auch mein
Name mit drin. Ist doch toll, oder?
Mal
im Ernst, mein Leben sieht da leider etwas bescheiden aus. Ich habe
da neben den Erfolgen auch manche Misserfolge zu verzeichnen.
Manches würde ich daher, wenn ich mein Leben noch mal beginne,
anders tun. Manche Fehler würde ich da vermeiden wollen, manches
falsche Verhalten nicht mehr an den Tag legen, manches Versagen
verhindern, wenn es möglich ist.
Meine
Lebensbilanz schaut da nicht so astrein aus und ich möchte sie in
der eigenen Biographie auch nicht schön schreiben.
Vielleicht
geht es Ihnen da ja ähnlich wie mir.
Interessant
ist dazu, was der Apostel Paulus sagt. Der geht nämlich öfters auf
seine eigene Biographie in seinen Briefen ein - auch heute, in
unserem Briefabschnitt. Ich lese Worte aus dem 3. Kapitel des
Philipperbriefes. Der Apostel Paulus schreibt dort an die Gemeinde
in Philippi:
7
Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden
erachtet. 8 Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber
der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um
seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte
es für Dreck, damit ich Christus gewinne 9 und in ihm gefunden
werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz
kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die
Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. 10 Ihn möchte
ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft
seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, 11 damit
ich gelange zur Auferstehung von den Toten. (Pause)
Was
mir Gewinn war, das alles halte ich für Schaden!
Mit
dem ‚Was’ und mit dem ‚Alles’ meint Paulus sein bisheriges
Leben, seine Vergangenheit. Kurz zuvor geht er darauf ein, was sich
hinter seiner Biographie alles versteckt, und das ist nicht
schlecht! Das kann sich wirklich sehen lassen!
Da
sagt er ganz deutlich: Eigentlich könnte vor den anderen doll
angeben!
Damit
dass mal klar ist: Ich bin ganz nach jüdischer Vorschrift am achten
Tag beschnitten worden. Ich bin aus dem Volk Israel und gehöre zum
auserwählten Volk Gottes. Ich bin aus dem Stamm Benjamin. Das ist
also keiner der beliebigen Stämme Israels so ganz am Rande. Da hat
schon Gott viel Geschichte mit geschrieben. Ich bin ein Hebräer.
Ich bin kein Grieche oder noch schlimmer irgendein so Barbar. Ich
bin ein Pharisäer. Ich bin ein frommer, guter Mensch, der sich an
die Gebote Gottes auch hält und das lebt! Ich bin ein Verfolger der
Gemeinde. Ich bin das mit Herz und Blut. Ich habe den Worten Taten
folgen lassen und mich voll für Gott eingesetzt. Ich bin jemand,
der das Gesetz eingehalten hat. Da habe ich eine blütenreine Weste.
(Pause)
Wenn
ich all das höre, was Paulus hier so aus seine Biographie
auflistet, dann muss ich schon sagen: Ich bin beeindruckt. Da kann
ich nicht mithalten.
Aber
jetzt kommt es! Das alles, was bei Paulus vorher so hoch im Kurs
stand, das hält er jetzt für null und nichtig! Ja, das hält er
sogar für einen Schaden! Das ist mehr als eine Null! Das ist ein
Minus! Dreimal benutzt er das Wort ‚Schaden’. Und als ob das
noch nicht genug wäre, setzt er noch eins drauf. Er hält das
alles, was sein Leben bis dahin ausmachte, für Dreck! In der
Lutherbibel ist das noch harmlos übersetzt. Eigentlich steht dort
eins der Lieblingsworte der Deutschen mit SCH … . Das trau ich
mich aber hier auf der Kanzel nicht aussprechen.
Sie
merken: Da zucke ich schon innerlich ein bisschen zusammen.
Vielleicht empfinden Sie das ähnlich, wenn sie hören, was Paulus
hier von sich gibt.
Da
stellt sich schon die Frage: Wie meint das Paulus? Noch vorher hat
er so dick aufgetragen und jetzt nimmt er das alles auf einmal zurück
und hält es für den letzten SCH …
Bestimmt
ist das Ganze nicht antisemitisch zu verstehen. Dann hätten wir
Paulus total falsch verstanden. Paulus ist nach wie vor auf seine jüdische
Herkunft stolz. Er würde auch weiterhin sagen: Vor Menschen kann
ich mich mit meiner Biographie echt sehen lassen. Auf diese
Messlatte, die ihr habt, kann ich mich ohne Probleme einlassen.
Wenn
wir ehrlich sind, haben wir ja genau diese Messlatte auch bei uns im
Alltag. Da zählt oft das, was man hat, was man geschafft hat und
alles kann. Gerade im Beruf wird darauf Wert gelegt. Da will man
einfach fitte Leute haben, ganz klar. Das zählt!
Das
weiß wie gesagt auch Paulus, wie es unter den Menschen zugeht!
Aber
eine entscheidende Erkenntnis hat bei ihm eine radikale Kehrtwende
um 180 Grad bewirkt. Paulus hat ganz klar erkannt: Das, was bei uns
Menschen zählt, das zählt bei Gott eben nicht!
Man
könnte ja das Leistungsdenken, was in unseren Köpfen drin ist und
was wir unseren Kindern schon von Anfang an einimpfen, einfach auf
Gott übertragen. Wenn es so im Alltag läuft, dann läuft es doch
so wahrscheinlich auch bei Gott. Wir versuchen eben, ein guter
Christenmensch zu sein. Das muss doch bei Gott reichen. Das, was wir
nicht schaffen, wo wir an unsere Grenzen komme, ja da wird der liebe
Gott drüber hinweg sehen.
Gott
wird zu einem Lückenbüßer und mehr nicht.
Ja,
wer so denkt und glaubt, der macht im Grunde genommen Gott ganz,
ganz klein.
Da
muss Gott nur noch für das bisschen Versagen herhalten. Da brauchen
wir ihn, aber ansonsten kommen wir ohne ihn ganz gut zurecht.
Damit
steht aber nicht Gott im Mittelpunkt des Lebens! Damit machen wir
uns selbst zum Mittelpunkt des Lebens.
Und
das ist schlicht und einfach falsch, grundverkehrt!
Daher
macht Paulus zurecht die entscheidende Kehrtwende!
Da
sieht und sagt er klar: Meine eigenen Leistungen zählen nichts. Ja
im Blick auf Gott schadet mir das nur! Es bringt mich von Gott weg,
weil ich nur mich, mich und nochmals mich sehe. Im Gegensatz dazu zählt
vielmehr die Liebe Gottes, so wie sie sich in Jesus Christus zeigt,
sich offenbart! Darauf, auf ihn selbst darf ich vertrauen und mein
Leben ganz nach ihm ausrichten!
Im
Glauben an ihn steht dann wirklich nicht mehr das eigene Ego,
sondern Gott selbst in die Mitte meines Lebens!
Um
es theologisch zu sagen: Paulus stellt gegen die Werkgerechtigkeit
die Glaubensgerechtigkeit! Der Glaube an Jesus ist es, der mich trägt!
Das ist etwas, das ich mir nicht erarbeiten muss, sondern was mir
geschenkt wird!
Paulus
wird in dem Punkt ganz persönlich, weil er es selbst so intensiv
erlebt hat. Da redet er von Jesus Christus, meinem Herrn. Da will er
an allem, was Jesus ist, teilhaben, und mit ihm ganz verbunden sein.
Da beschreibt er seine Liebesbeziehung zu Gott, zu seinem Herrn
Jesus Christus! Man spürt es ihm ab: Da hat bei ihm eine Bekehrung
stattgefunden.
Das
alte Leben - total ich zentriert und ohne Gott - das trägt und zählt
nicht mehr!
Das
neue Leben - im Vertrauen auf Jesus Christus, seinen Herrn und Gott
- das trägt ihn und zählt für ihn!
Davon
ist sein Herz voll und das schreibt er mit soviel Herzblut der
Gemeinde in Philippi.
Vermutlich
gab es auch Gründe dafür: In Philippi waren anscheinend
Gesetzesprediger unterwegs. Das waren Leute, die so ein Mischmasch
aus Evangelium und Gesetz verkündigten. Deren Botschaft lautete
ungefähr: Ja, das mit dem Glauben an Gott stimmt zwar, aber man
muss schon selbst auch viel dafür tun. Die Liebe Gottes, das mit
Jesus allein wird nicht reichen.
Genau
da hält der Apostel mit der frohen Botschaft Jesus Christi so
vehement dagegen!
Da
schreibt er klar und deutlich: Nein, das reicht völlig aus! Macht
euch frei von all dem, was euch im Leben davon abhält, auf Jesus
Christus zu vertrauen!
Und
ich bin überzeugt, dass Paulus dasselbe auch noch heute uns, der
Philippus-Kirchengemeinde schreibt.
Wie
gesagt, das Leistungsdenken ist auch noch heute stark in unseren Köpfen
drin, so als hinge davon alles ab, als würde das, was wir tun und
schaffen, unser Leben ausmachen.
Paulus
hingegen führt uns die befreiende Botschaft Jesu Christi vor Augen
und macht uns daran klar:
Schaut
euch euer Leben mit euren Erfolgen und Misserfolgen gelassen an!
Freut
euch daran, wenn Ihr Grund dazu habt! Seid auch stolz drauf!
Aber
hängt es bitte, bitte nicht zu hoch!
Ja,
versucht erst gar nicht, vor Gott damit zu landen, damit zu punkten!
Das bringt euch gar nichts! Ja, das schadet euch nur! Damit denkt
ihr viel zu sehr an euch selbst und entfernt euch nur von Gott.
Vertraut
vielmehr auf Jesus Christus, der euch annimmt, so wie ihr vor ihm
dasteht! Lasst euch auf ihn voll und ganz ein! Hängt euer Herz,
eure ganze Liebe an ihn, euren gekreuzigten und auferstandenen
Herrn! Denn darauf kommt es an!
Genau
das macht letztendlich euch selbst, eure eigene Biographie und
Lebensgeschichte, die Gott mit jedem von euch schreibt, aus. Amen.
Klaus Eberhard
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