Predigt am 18. Juli 2010 über
Apostelgeschichte 2, 41 - 47 -
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Ich
lese Worte aus dem 2. Kapitel der Apostelgeschichte. Der Evangelist
Lukas beschreibt dort, wie es in der ersten Gemeinde in Jerusalem
direkt nach Pfingsten zuging:
41
Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen. 42 Sie blieben aber
beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im
Brotbrechen und im Gebet. 43 Es kam aber Furcht über alle Seelen
und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44
Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten
alle Dinge gemeinsam. 45 Sie verkauften Güter und Habe und teilten
sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 46 Und sie
waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot
hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und
lauterem Herzen 47 und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen
Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet
wurden.
Liebe
Gemeinde!
Was
empfinden Sie, wenn Sie das hören, was Lukas hier über die erste
Gemeinde in Jerusalem schreibt?
Bekommen
Sie vielleicht Frust, weil Sie an unsere Volkskirche von heute
denken, die manchmal so wenig lebendig erscheint und einem so kalt
und tot vorkommt?
Vielleicht
denken Sie etwas niedergeschlagen: Ja, damals, das waren noch
‚goldene Zeiten’, aber heute, da sieht es doch sehr kläglich,
sehr dürftig in unsere Kirche aus. Da ist wenig vom Heiligen Geist
zu spüren.
Vielleicht
empfinden Sie, wenn Sie das hören, auch was ganz anderes.
Vielleicht denken Sie selbstbewusst: Och, das eine oder andere
erlebe ich schon in meiner Gemeinde. Da gibt es den Gottesdienst, wo
ich meine Leute in der Kirche treffe. Nachher, beim Kirchenkaffee
habe ich noch die Gelegenheit zu einem Schwätzchen auf dem
Vorplatz. Und dann gibt es noch die vielen Kreise und Gruppen in der
Gemeinde! Da kann man sich doch zu Hause, richtig wohl fühlen. Da
wird gemeinsam gebetet, gesungen und in der Bibel gelesen. Da steckt
doch viel geistliches Leben in der Gemeinde! Das, was Lukas in der
Apostelgeschichte schreibt, das ist gar nicht so entfernt von dem,
was ich hier, in meiner Gemeinde erlebe.
Ich
zu mindestens empfinde das jetzt gerade, in den ersten Monaten hier
so. Da gibt es doch viel gutes, ja geistgewirktes Leben in meiner
Philippus-Kirchengemeinde. Ich kann und will daher nicht in das
traurige Lied von der Volkskirche, in der alles so lahm und starr
ist, einstimmen.
Das
Ganze ist darüber hinaus gar nicht so unerreichbar, wie es auf den
ersten Augenschein aussieht. Das Ganze ist gar nicht so völlig
abgehoben von heute. Im Gegenteil, da wird auch ganz nüchtern und
sachlich gesagt, was Kirche damals wie heute ausmacht!
Fünf
wesentliche Dinge, die die Kirche ausmachen, werden in dem, was
Lukas hier erzählt, beim Namen genannt:
1.
Die Taufe
2.
Die Lehre der Apostel - also das, was die Apostel über das Leben
und die Taten Jesu, über sein Kreuz und seine Auferstehung weiter
gesagt haben und was uns heute im Wort Gottes verkündigt wird
3.
Die Gemeinschaft, die man im Glauben an Jesus Christus miteinander
Tag für Tag lebt
4.
das Brotbrechen - das Abendmahl
5.
das Gebet
Man
könnte jetzt sicher über jeden Punkt eine eigene Predigt halten.
Aber das würde den Rahmen sprengen. Das wären zu viele
theologische Gedanken und am Ende wüsste man gar nicht mehr, was
anfangs gesagt wurde.
Ich
möchte die Predigt heute daher etwas anders aufziehen.
Ich
gehe vielmehr drei Punkten nach, die sich meines Erachtens aus dem,
was Lukas hier schreibt, ergeben.
Zum
einen: Kirche hat etwas Heiliges.
Zum
zweiten: Kirche hat etwas Alltägliches.
Zum
dritten: Kirche hat etwas Liebevolles, Tatkräftiges.
Ich
komme zum ersten Punkt: ‚Kirche hat etwas Heiliges’
Lukas
schreibt über die Gemeinde in Jerusalem: ‚Sie waren täglich einmütig
beieinander im Tempel’. Da merke ich auf: Die Anhänger von Jesus
sind im Tempel! Sie sind nicht nur in Häusern zu finden, wo sie für
sich Gottesdienste halten, miteinander beten, singen oder sonst
etwas tun. Nein, sie sind auch im Tempel, an dem heiligen Ort. Das
haben sie, nachdem sie zum Glauben an Jesus gekommen sind, nicht
fallen gelassen und sich abgewöhnt. Nein, da sind sie weiterhin
treu und zuverlässig hingegangen. Das Alte, Klassische fanden sie
also nicht überholt. Es war ihnen weiterhin wertvoll und gut. Man
blieb dabei!
Ich
übertrage das mal auf uns heute, auf unseren alt hergekommen,
klassischen Gottesdienst am Sonntagmorgen. Was werden da nicht für
Argumente ins Feld geführt, die gegen den Sonntagsgottesdienst
sprechen. 10 Uhr morgens, was ist das für eine Zeit! Da schlafen
doch die meisten noch, ruhen sich von der vollen Woche aus. Und dann
die altbackene Musik und die steife Liturgie, die doch vielen völlig
fremd ist usw. Man könnte hier sicherlich noch mehr nennen, was
einen davon abhält, zur Kirche zu kommen.
Und
ich würde auch sagen, über das eine oder andere muss man auch
reden und es verändern. Ohne Frage! Der monatliche
Welcome-Gottesdienst in unserer Gemeinde geht da schon in eine gute
Richtung: Eine andere Zeit, eine andere Form, eine andere Musik und
viele andere Elemente, die außen stehende Menschen anspricht und
sie erreicht. Das ist wichtig und gut!
Nur
das sollte uns nicht dazu verleiten, zu meinen: Das ist es und
nichts anderes! Wir brauchen doch das Traditionelle, das
Althergekommene gar nicht mehr. Also weg damit!
Eine
Absage an das Alte, Klassische erfolgt, zu mindestens so wie ich
Lukas in der Apostelgeschichte verstehe, gerade nicht.
Übertragen
auf heute: Der Sonntagsgottesdienst auch in seiner klassischen und
alt hergekommenen, liturgischen Form hat sein gutes Recht. Ja,
vielleicht ist es gerade auch dran, ihn wiederzuentdecken. Ich bin
auch überzeugt: Man kann den normalen Gottesdienst wunderschön
feiern und zelebrieren. Das muss auch in der Form nicht trocken und
langweilig zugehen.
Mit
Sicherheit ist und bleibt der Gottesdienst das Zentrum der Gemeinde,
wo ich Sonntag für Sonntag Gottes Wort höre und auch das
Sakrament, das Abendmahl empfange. Das kann mich tatsächlich stärken.
Das kann mich aufbauen in meinem Glauben, dass ich wieder weiß:
Jawohl, da geht’s lang. Jetzt gehe ich wieder mit Freuden und
total zuversichtlich in meinen Alltag.
Der
Sonntagsgottesdienst hat in dem Sinne etwas ganz Heiliges! Er ist
die Quelle für uns, für unseren Alltag. Dort, vor allem dort
spricht Gott uns an und beschenkt er uns! Wenn wir das also vernachlässigen,
dann gewöhnen wir uns auf kurz oder lang unsere Christlichkeit im
Alltag ab. Dann verkümmert unser Glaube an Jesus Christus.
Zu
Recht hängt also klein, aber klar das Schild an unserem
Haupeingang: Bis Sonntag! Wir sehen uns im Gottesdienst!
Ich
bin überzeugt: Der Gottesdienst am Sonntag sollte uns heilig sein!
Ich
komme damit zum zweiten Punkt: Kirche hat nicht nur etwas Heiliges,
Kirche hat auch etwas Alltägliches.
Manchmal
habe ich schon in Gesprächen mit Menschen gehört: Herr Pfarrer,
die Gottesdienste sind ja schön und gut. Da werden tolle Predigten
gehalten, theologisch einwandfrei und das Ganze war ein richtig würdevoller
Gottesdienst. Aber trotzdem fühle ich mich in ihrer Gemeinde nicht
zu Hause. Ich fühle mich da nicht wohl. Solche Aussagen habe ich
gerade in den Gemeinden erlebt, wo man kurz vor dem Gottesdienst kam
und direkt danach wieder verschwunden war. Ein Freund hat mir mal,
als wir gemeinsam einen solchen Gottesdienst besuchten, nachher
gesagt: Wenn du da ein Bild von oben gemacht hättest, dann hättest
du deutlich gesehen, wie weit entfernt die Menschen voneinander
sitzen. Diese Haltung spricht schon eine deutliche Sprache: Komm mir
nicht zu nah!
An
dem, was der Freund zu mir sagte, wurde mir klar, wie es sich in
manchen Gemeinden unserer Landeskirche verhält. Am Sonntag bin ich
in der Kirche Christ und danach bin ich wieder für mich allein der
Alte im normalen Alltagsgeschäft. Ganz anders Lukas, der keine
Sonntagschristen vor Augen hat. Der schreibt: ‚Und sie waren täglich
einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort
in den Häusern, hielten Mahlzeiten mit Freude und lauterem
Herzen.’ Lukas betont es deutlich: Beides gehört zusammen! Der
Tempel, wo der Gottesdienst stattfindet, und die Häuser, in denen
wir wohnen. Das Heilige und das Alltägliche!
Der
Glaube an Jesus wird also voll und ganz gelebt! - nicht nur so ein
bisschen am Sonntag, dass man sich wieder als ein guter
Christenmensch fühlt, sondern mitten in meinem Alltag, Tag für
Tag.
Das
geschieht in unserer Kirche dort, wo ich Mensch einen festen Platz
in Kreisen und Gruppen finde. Das geschieht dort, wo man sich
untereinander kennt und sich freut, den anderen zu sehen. Das
geschieht dort, wo ich über das, was ich erlebt habe und was mich
beschäftigt, reden kann, wo ich über meinen Glauben an Jesus, aber
auch das, was mir daran Nöte bereitet, sprechen kann. Das geschieht
dort, wo ich im gemeinsamen Beten, Singen und Bibellesen aufgebaut
und getröstet werde. Das geschieht dort, wo wirklich eine
Gemeinschaft da ist, die mich trägt und in der ich geborgen bin, wo
ich wirklich ein Zuhause finde. Das geschieht dort, wo ich mit den
anderen zusammen ganz einfach esse und trinke. Auch das, ja
vielleicht gerade das gehört eindeutig dazu, um Kirche als eine
Familie zu erleben. Lukas betont gerade in dem Zusammenhang die
Tischgemeinschaft - das hat Jesus schon gemacht und die Gemeinde in
Jerusalem hat das so fortgesetzt.
Man
könnte sicherlich noch jede Menge Sachen aufzählen, woran man spürt,
dass Kirche ganz viel mit unserem Alltag zu tun hat und ihn
durchdringen will.
Daran
wird klar: Ich kann Kirche und mein eigenes Christsein nicht auf den
Sonntagsgottesdienst reduzieren. Mein Glaube an Jesus wird vielmehr
im Alltag gelebt!
Ich
komme zum dritten und letzten Punkt: Kirche hat was Liebevolles und
Tatkräftiges.
Man
könnte sich vielleicht bei dem, was bisher an wichtigen
Wesensmerkmalen der Kirche genannt wurde, beruhigt zurücklehnen und
sich sagen: Ja, das haben wir doch irgendwie alles schon in unserer
Gemeinde. Es ist doch soweit bei uns alles in Ordnung.
Genau
aus dieser falschen Gemütlichkeit will uns Lukas mit dem, was er
hier, in der Apostelgeschichte schreibt, herausholen. Da werden wir
klar und deutlich aufgefordert: Seid gerade nicht selbstgenügsam,
zufrieden, mit dem, was ihr habt - eure eigenen Grüppchen, eure
eigenen Leutchen, die ihr regelmäßig trefft. Schaut da mal wieder
neu über euren Tellerrand hinweg, dass ihr die Sorgen und Nöte des
anderen seht, dass ihr daran teil habt und es wieder neu lernt, zu
teilen.
Dabei
geht es nicht darum, jetzt einen christlichen Urkommunismus aus der
damaligen Gemeinde auf heute zu kopieren. Christliche Kommunitäten
mögen das so leben. Wir, in unseren Gemeinden können das so
sicherlich nicht.
Aber
es wäre schon viel erreicht, wenn ich mein Eigentum, meinen Besitz
neu verstehe und damit richtig umgehe. Es wäre schon viel erreicht,
wenn ich all das, was ich habe, als von Gott geliehen verstehe, wenn
ich also dazu eine innere Freiheit habe und mich nicht davon abhängig
mache. Es wäre schon viel erreicht, wenn ich meinen Reichtum so
einsetze, dass er nicht nur mir sondern auch dem anderen dient.
Dabei
geht es jetzt gar nicht in erster Linie um spontane, großartige
Aktionen. Das ist sicherlich auch wichtig. Nein, da geht es vielmehr
darum, dass ich das einübe, dass ich mir es angewöhne, eine Hand,
vielleicht auch zwei Hände für den anderen frei zu haben anstatt
nur daran zu denken, wie ich meinen Standart halten kann. Lukas
macht es uns in der Apostelgeschichte mehr als deutlich, wie wichtig
die Diakonie in der Gemeinde ist! (Pause)
Nochmals
zum Abschluss:
Kirche
hat etwas Heiliges, Kirche hat etwas Alltägliches, Kirche hat etwas
Liebevolles und Tatkräftiges!
All
das gehört zusammen und kann nicht als Alternativen gegeneinander
ausgespielt werden. Das ist nicht voneinander zu trennen, sondern
geht ineinander über. Gerade an dem, was Lukas in der
Apostelgeschichte über die Gemeinde in Jerusalem schreibt, wird das
klar.
Da
kann man sich schon deprimiert fragen: Ist das nicht ein zu hoher
Anspruch an uns, an unsere Philippus-Kirchengemeinde? Ist das nicht
alles unerreichbar?
Ich
halt dem entgegen: Nein, das ist es nicht. Das sind nicht einfach
Unterschiede wie Tag und Nacht. Es gibt auch manches Gemeinsame,
manches Schöne, Gute, Lebendige in unserer Gemeinde. Lukas macht
einem daher Lust, all das, was an Leben in unserer Gemeinde da ist,
wieder neu zu entdecken und sich daran zu freuen! Also Augen auf!
Darüber
hinaus endet die Geschichte, die Lukas hier schreibt mit einem ganz
wichtigen, ganz wesentlichen Satz: ‚Der Herr aber fügte täglich
zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.’ Der Herr fügt hinzu!
Das ist Gottes dicke, fette Zusage an uns! Da wird uns hoffentlich
klar: Die Kirche lebt nicht von dem, was uns gelingt, und sie geht
auch nicht zugrunde an dem, was uns misslingt.
Das
will uns gerade jeden Frust, jeden Krampf nehmen, das Ganze perfekt
und vollkommen in der Gemeinde hinzukriegen. Das will uns vielmehr
befreien und motivieren, jetzt erst recht die Dinge, die in unsere
Gemeinde dran sind, anzupacken und mit dem Herzen voll und ganz
dabei zu sein! Gott selbst schenkt uns dazu seinen Segen!
Amen.
Klaus Eberhard
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