Predigt am 28.02.2010 über "Grenzenlos
leben" Johannes 8, 36
(Welcome)
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No limits, keine Grenzen, grenzenlos leben –
das ist eine Sehnsucht, die viele Menschen antreibt.
Grenzen überwinden – frei und unabhängig sein.
Einmal das große Gefühl von Freiheit erleben, so wie es Reinhard
Mey in seinem Hit besingt: „Über
den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste,
alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde,
was hier groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und
klein.“
Es ist geradezu ein Glücksgefühl, wenn man eine Grenze überwunden hat,
und sich so richtig frei fühlt!
Aber die Wirklichkeit sieht oftmals so ganz anders aus:
Auf Grenzen stoßen wir unzählig und überall in unserem Leben.
Grenzen, Begrenzungen, Eingrenzungen,
Ausgrenzungen, Abgrenzungen, mit denen wir umgehen müssen.
Die Bausteine dieser Grenzen sind
die unterschiedlichen Herausforderungen des Lebens,
denen wir uns im Alltag, im Beruf, in der Familie stellen müssen.
Es sind nicht nur räumlichen Grenzen.
Es gibt politische und wirtschaftliche Grenzen.
Die Geschwindigkeit ist
begrenzt in Ortschaften und auf vielen Autobahnen.
Da gibt es die Grenzen, die uns die Gesellschaft
auferlegt,
soziologische und konventionelle Grenzen,
die sich in Gesetzen, Richtlinien,
aber auch in modischen Trends und moralischen Ansprüchen manifestieren.
Hab ich die falsche Kleidung an, werde ich ausgegrenzt.
Grenzen können auch durch einzelne Menschen gesetzt
werden - zum
Beispiel von Eltern in der Erziehung ihrer
Kinder.
Aber es gibt natürlich auch Einschränkungen durch Menschen, die
sich zum Beispiel selbstherrlich und egoistisch in
einer Beziehung verhalten und dem anderen damit Grenzen diktieren.
Unser ganzes Dasein besteht aus Grenzen:
Unser Wachstum, unser Leben, unser Reichtum, unser Eigentum, unsere Fähigkeiten sind begrenzt. Wir sind körperlich eingegrenzt
in unserer Kraft und Ausdauer,
oder auch durch Krankheiten oder
Behinderungen.
Und die gesetzlich eingeräumten persönlichen und
gesellschaftlichen Freiheiten sind abhängig von dem Land in dem wir
leben.
Mit der grenzenlosen Freiheit ist das also so eine Sache.
Und
manchmal treibt der Wunsch nach Freiheit auch ganz seltsame Blüten.
Ich
las von einem siebzigjährigen Engländer, der sich grundsätzlich
weigerte bei seinen Motorradfahrten einen Motorradhelm zu tragen.
Als er das fünfte Mal ins Gefängnis kam, fragte ihn ein
Journalist: „Finden
Sie nicht, dass Sie etwas übertreiben? Zum fünften Mal ins Gefängnis
wegen eines Helms, und das in ihrem Alter!“
Der
Mann erklärte ihm: „Durch die Helmpflicht wird meine Wahlfreiheit
eingeschränkt. Welches Recht hat das Parlament, mir vorzuschreiben,
auf welche Weise ich sterben soll?“
Eine
etwas seltsame Argumentation. Der Mann war das, was die Briten einen
Menschen mit Prinzipien nennen.
Man
wird sich dann kaum wundern, wenn solche grenzenlose Freiheit einem
Menschen zum Verhängnis wird.
Nach der
Definition in einem Lexikon wird der Begriff Freiheit so definiert:
„Freiheit wird
in der Regel verstanden als die individuelle Möglichkeit, ohne
Zwang
zwischen
verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auswählen und entscheiden zu
können."
Haben wir unser
Leben wirklich im Griff?
Sind wir ohne
Gott frei und unabhängig und sind wir es mit Gott auch noch?
Kann man sich
Gott wirklich guten Gewissens ganz ausliefern?
Was würden wir
tun, wenn jemand uns unsere Freiheit nehmen möchte?
Wir würden
wahrscheinlich sehr emotional reagieren und uns mit Händen und Füßen
wehren. Denn wir lieben unsere Freiheit und Unabhängigkeit auf
allen Gebieten:
wir leben in
einem freien Land, wir haben freie Berufswahl, freie Meinungsäußerung,
Glaubensfreiheit, freie Wahlen, Reisefreiheit usw.
Das ist großartig und nicht selbstverständlich. Ich glaube,
wir sehnen uns grundsätzlich nach Freiheit, denn Unfreiheit schränkt
uns Menschen ein, raubt uns Lebensfreude und Antrieb.
Wir brauchen
Freiheit, um uns zu entfalten, unsere Begabungen einzusetzen, eigene
Ideen zu entwickeln, Träume zu leben.
Und ich bin mir
sicher, das ist eine wirklich gute Idee Gottes.
Ich behaupte: Freiheit
ist eine Idee Gottes.
Es
gibt nur ein Problem in
Sachen Freiheit: dass wir Menschen meinen, die Freiheit selbst
definieren zu können, dass wir unsere eigene, persönliche Version
von Freiheit entwerfen.
Ich
möchte mit Ihnen heute Morgen darüber nachdenken, was wahre
Freiheit bedeuten könnte– und dabei den Experten für Freiheit
schlechthin zu Wort kommen lassen.
Sein
Name: Jesus Christus.
Wie frei sind
wir wirklich?
Bestimmen wir
tatsächlich selber über unser Leben und haben es im Griff?
Äußerlich
gesehen schon, aber tief in unserem Herzen haben wir oft ganz andere
Gefühle. Wenn ich nämlich unser Leben genauer anschaue, dann
stelle ich fest, dass wir uns in vielen Dingen selber unfrei und abhängig
machen oder gemacht werden, ohne direkten oder bewussten Einfluss
darauf zu haben.
Hier ein paar
Beispiele:
1.
Unser Lebensstil und unsere Lebensgewohnheiten entscheiden mit darüber,
wie frei wir sind.
Beispiel mein
Einkaufsverhalten.
Wenn ich Dinge
kaufe, um mir Anerkennung zu verschaffen oder mit meinen Freunden
gleichziehen will, dann bin ich letztendlich nicht frei.
Oder wie gehe
ich mit Geld um? Jetzt kaufen, später zahlen - Kredite sind
verlockend - sie machen mich aber absolut abhängig. Wäre es da
nicht sinnvoller, auf den Kauf zu verzichten und dann zu kaufen,
wenn ich es mir leisten kann? Kaufe ich mir mehr, als ich eigentlich
brauche? Werde ich beherrscht vom „Immer mehr haben wollen“?
Auch hier bin ich schnell von materiellen Dingen abhängig und damit
unfrei.
Oder schließlich
das Beispiel Arbeit: Können wir abschalten und loslassen oder hat
uns die Arbeit im Griff?
Müssten wir eigentlich weniger arbeiten, schaffen es aber
einfach nicht (z.B. um nicht schlechter da zu stehen als die
Kollegen?)
2.
Unfrei machen uns auch Sorgen und Ängste. Vielleicht kennst du
folgende Sorgen und Ängste aus deinem Leben: Wie wird es mit meinem
Arbeitsplatz weitergehen? Schaffe ich
die Schule, die Prüfung, das Abitur? Wie soll ich alle
finanziellen Belastungen tragen? Müsste ich nicht mehr aus mir
machen? Wie soll ich das Problem mit meinem Partner bloß lösen? Mögen
mich die anderen? Ängste um die Kinder oder andere nahestehende
Menschen... usw.
Ängste und
Sorgen können uns so unfrei machen, dass es sogar zu körperlichen
Symptomen wie Migräne, Magenproblemen usw. kommen kann.
3.
Wir richten uns, der eine mehr, der andere weniger, nach der Meinung
anderer.
Was viele
vertreten, kann doch nicht ganz
falsch sein.
Beispiel:
Welche Klamotten ich kaufe oder anziehe, entscheide ich in der Regel
nicht ohne Einfluss von außen. Häufig spielt es eine große Rolle,
was „in“ ist, ob es bestimmte Markenklamotten sind und was die
anderen davon halten.
Wir richten uns
häufig - bewusst oder unbewusst - nach den Menschen um uns herum.
Dass wir uns dadurch abhängig machen, ist uns oft nicht klar.
4.
Wir sind (wenn auch unbewusst) von gelernten Regeln abhängig. Was
hat in unserem Elternhaus gegolten und was nicht? Welche Ansichten
hatten und haben unsere Eltern und Freunde?
5.
Wir sind abhängig von Erfahrungen, die wir in unserer Vergangenheit
gemacht haben. Es prägt uns und bestimmt viele Verhaltensweisen und
Gefühle, wenn wir z.B. häufig ungerecht behandelt wurden oder wenn
wir oft zu hören bekamen, dass wir zu nichts taugen würden oder
wenn zu viel von uns erwartet wurde.
Unsere
Vergangenheit lebt. Wir sind nicht frei davon.
6.
Abhängig und unfrei macht uns vor allem auch unser Versagen, unsere
Fehler. Wenn wir ganz ehrlich sind, wissen wir alle um unser
Fehlverhalten, egal ob Neid, Lüge, Übertreibungen, Wutausbrüche,
fehlende Geduld, Vorurteile, Lästern über andere, Egoismus. Wie
oft ertappe ich mich z.B., dass ich mich unbewusst frage: Was ist für
mich am besten? Wie kann ich mir die besten Vorteile verschaffen?
Wie komme ich gut raus? Oft bin ich gefangen in meinem Egoismus und
merke es gar nicht.
Wie viele
lieblose Worte lassen wir an einem Tag raus? Wie viele negative
Gedanken denken wir?
7.
Auch religiöser Druck kann uns einengen und unfrei machen.
Vielleicht bist du auf der Suche nach Gott, findest aber keine schlüssigen
und befriedigenden Antworten und das macht dich fertig. Oder
vielleicht bist du unsicher, ob dich Gott wirklich okay findet und
machst dir religiösen Stress, um Gott zu gefallen. Oder du hast mit
Christen zu tun gehabt, die dich unter Druck gesetzt haben. Oder
fromme Traditionen und Gesetze wie z.B. „Christen trinken keinen
Alkohol“ oder „in einem Gottesdienst muss es immer ernst und
feierlich zugehen“ schränken dich ein. Manche fromme Traditionen
und viele unausgesprochene Gesetze (wie „als Christ tut man dies
aber nicht“) kommen von Menschen, nicht von Gott.
Ich komme zur
Ausgangsfrage zurück:
Sind wir
wirklich frei? Sind wir unser eigener Herr? Haben wir unser Leben
tatsächlich im Griff?
Oberflächlich
gesehen vielleicht schon. Aber ich glaube, dass unsere Freiheit und
Unabhängigkeit sehr gefährdet und häufig auch erschüttert ist,
wie die genannten Beispiele belegen. Blicken wir tiefer in uns
hinein, dann zeigt sich, dass wir eben doch nicht frei sind und uns
und unser Leben letztendlich nicht vollends im Griff haben.
Mir ist
aufgefallen, dass es in der ganzen Bibel ständig um das Thema
Freiheit geht und ganz besonders deutlich wird dies bei Jesus. Sein
Leben ist faszinierend.
Jesus war
absolut frei und unabhängig. Er richtete sein Denken und Handeln
nicht nach der Meinung anderer. Er richtete es nicht nach seinem
Ego, das ihm vielleicht gesagt hat: Du bist doch dein eigener Herr!
Mach, was alle machen ! Denk doch mehr an dich!
Er richtete
sich nicht nach dem Zeitgeist, der sagt: Das ist jetzt „in“! Nur
so verhältst du dich religiös richtig! Jesus war nicht gefangen in
Neid, Lüge, Lieblosigkeiten usw.
Jesus lebte
souverän, liebevoll und klug.
Er war tatsächlich
so frei, dass er freiwillig in den Tod ging.
Er konnte das,
weil er eine traumhafte
Beziehung zu Gott, seinem Vater hatte. Jesus wusste, dass sein Vater
es absolut gut mit ihm meinte. Er war mit ihm verbunden, abhängig
von ihm und deshalb total frei von allen Zwängen.
Ich behaupte
deshalb:
Jesu
Leben zeigt, dass wir erst wirklich frei und unabhängig leben können,
wenn wir eine Beziehung zu ihm haben, so wie er seine Beziehung zum
Vater hatte. Wenn wir ihm unser Vertrauen aussprechen und sagen: Ich
lasse mich auf dich ein und wage das Experiment des Vertrauens, dann
werde ich gerade in dieser Beziehung die ganze Weite von Freiheit
entdecken.
Jesus hat
einmal gesagt: „Wenn euch
also der Sohn Gottes befreit (und damit meinte er sich selbst), dann
seid ihr wirklich frei!“ (Joh. 8, 36).
Jesus sagt
damit nichts anderes, als das, was er mit seinem ganzen Leben
bewiesen hat:
Jesus macht mit
unserer Vergangenheit Schluss
Er heilt sogar
uns zugefügte Wunden aus der Vergangenheit, die einengen und
bestimmen wollen.
Die
Schriftstellerin Hannah Arendt hat einmal gesagt: „Du magst das
Produkt deiner Vergangenheit sein. Du bist nicht ihr Gefangener - außer
du willst es sein.
Vom Himmel ist
uns Freiheit zugedacht.“
Jesus hilft uns
Schritt für Schritt, einen neuen Lebensstil zu leben, der unser
Leben freier und effektiver macht: Er hilft uns liebevoller und großzügiger
zu werden, vergeben zu können, mit unserem Geld sinnvoll umzugehen,
unabhängiger von der Meinung anderer zu werden, falsche religiöse
Traditionen und Gesetze zu entlarven, die richtigen Prioritäten im
Leben zu setzen. Das bedeutet: Er befreit uns zu einem aufregenden
Leben mit ihm, bei dem es nicht darum geht, unser Christ sein in
religiöser Sicherheit gutbürgerlich zu pflegen. Nein, er befreit
uns, Pioniere zu sein, die das Wesentliche in ihrem Leben tun: Auf
den unterschiedlichsten Wegen eine traumhafte Beziehung zu ihm
aufbauen, ihm zu folgen und andere Menschen zu gewinnen, dass sie
ebenfalls diese Beziehung zu ihm finden.
Der
Fall Käßmann
In dieser Woche hat mich
sehr der „Fall Margot Käßmanns“ bewegt.
Beim Rücktritt
von Margot Käßmann von allen ihren Spitzenämtern in der Ev.
Kirche haben wir auf beeindruckende Weise erlebt, was
„Freiheit“ im Angesicht von Scheitern und im Umgang mit
eigener Schuld bedeuten kann, wenn sie aufrichtig und gradlinig in
Verantwortung gelebt wird.
Als Frau Käßmann
wusste, dass durch ihr Alkoholvergehen, die Glaubwürdigkeit und
Gradlinigkeit ihrer Person und die ihrer Ämter auf dem Spiel
standen, zog sie ihre Konsequenzen mit den Sätzen: „Ich habe
einen großen Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Ich will und
kann nicht darüber hinweg sehen, dass das Amt und meine Autorität
beschädigt sind. Die Freiheit, ethische und politische
Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen hätte ich in
Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte.“
Und was für
eine unendliche Freiheit ist es, wenn man dann in so einer tiefen
menschlichen Krise wie sie bekennt: „Ich kann nicht tiefer fallen
als in Gottes Hand.“
Ich kann nur
sagen: Hut ab! – Da wird etwas spürbar von der Freiheit, zu der
uns Christus berufen hat.
Es ist eine
Tatsache: Jesus führt mich zu einem guten Ziel. Ich weiß wo ich
herkomme und wo ich hingehe. Auch vermeintlich negative, harte,
leidvolle Situationen in meinem Leben kann ich mit seiner Hilfe
durchstehen.
Das zu wissen
und zu erleben ist für mich eine große Freiheit.
Die
wunderbare Freiheit der Kinder Gottes, die Christus schenkt, befreit
zum Leben.
Sie
erneuert und verändert mein Leben.
Sie
verpflichtet zur Liebe. Sie dient dem Guten und nimmt Rücksicht auf
Interessen und Wünsche des Nächsten. Sie stärkt das Miteinander.
Und
sie braucht die Bindung an Gott, wie der Fisch das Wasser, sonst
wirkt sie zerstörerisch.
Der
Apostel Paulus sagt es im Galaterbrief (Gal.5) sehr pointiert:
„Christus
hat uns befreit, damit wir in Freiheit leben. Ihr seid zur Freiheit
berufen.
Nur:
Sorgt dafür, dass die Freiheit nicht eurer Selbstsucht die Bahn
freigibt, sondern dient einander in der Liebe.“
Ich glaube,
Gott will Freiheit für uns auf allen Ebenen. Er macht wirklich
frei. Manchmal schrittweise, manchmal schnell. Wir verkommen keineswegs
zur Marionette, wenn wir uns auf ihn einlassen. Das bedeutet
konsequenterweise auch, dass Gott uns die Freiheit lässt, eine
Beziehung zu ihm aufzubauen oder dies abzulehnen. Wenn du es aber
tust, dann befreit dich Gott an etwas teilzuhaben, das viel größer
ist, als du selbst.
Dann machst Du
die Erfahrung, dass er „deine Füße auf weiten Raum stellt.“
(Ps.31,9 b)
Gott,
Du bist die Quelle
meiner
Freiheit.
Wo
Du bist, atme ich auf.
Wo
Du bist, finde ich
zu
mir selbst und darf sein,
was
ich bin. Kurt
Dantzer, Ev. Lebensbegleiter
Amen
Jürgen
Schweitzer
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