Predigt am 19. April 2009 über Johannes
20, 19 - 23 -
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Ihr Lieben,
am Sonntagmorgen aber, als die Türen der Kirche offen waren und die
Gemeinde sich versammelte, da fehlte einer: Jesus.
Stattdessen redete der Pfarrer von Frieden auf der Welt, verschwieg aber,
dass dazu auch Opfer nötig wären
– Schweiß und Blut, Geduld, Hingabe und Risiko.
Zu sehen bekam die Gemeinde nichts, und so blieben die Leute unberührt
und gingen nach einer Stunde leicht erschöpft wieder nach Hause.
Niemand nahm das Gehörte wirklich ernst, denn niemand hatte ein Interesse
daran, sich in die privaten Dinge Anderer einzumischen.
Am erfrischendsten waren noch die Tasse Kaffe und das Schwätzchen
hinterher auf dem Kirchvorplatz.
Manche hatten einen kühlen Luftzug gespürt und beschwerten sich.
Offenbar hatte jemand irgendwo ein Fenster offen gelassen und das sei doch
eine Verschwendung von Heizkosten.
Ach ja, bei der Gelegenheit könnte man ja auch mal fragen, weshalb der
Kirchvorplatz nicht gefegt worden war. Und auf der Toilette fehlte
übrigens das Papier. Da war doch sicher jemand dran schuld.
Es war der Sonntag nach Ostern – aber auch das war nicht wichtig.
Eben haben wir das Evangelium gehört.
Johannes hat uns hier einen Bericht vom allerersten
christlichen Gottesdienst bewahrt. Es war eine Versammlung am Abend
des Ostertages.
Jenes Tages, als am Morgen das leere Grab entdeckt worden war.
Ein Sonntag.
Diese Versammlung war von Angst erfüllt:
Die Dunkelheit war endlich hereingebrochen –
Keiner konnte sagen, was ihnen bevorstand.
Wie würde der Hohe Rat reagieren auf das leere Grab?
Drohten erneute Übergriffe der Römer?
So waren sie beieinander, hatten Fenster und Türen
verschlossen.
Und in diese Versammlung tritt Jesus ein – Friede
sei mit Euch!
Er zeigt sich dieser Gruppe verunsicherter und ängstlicher
Leute.
Dieser und andere Berichte haben dazu geführt, dass – gegen
alle jüdische Tradition, ja sogar gegen das Gebot des Mose! - der
Sonntag zum Tag der gottesdienstlichen Versammlung der Christen
wurde.
Nur: wir sind nicht nur zeitlich weit entfernt – sondern wir
erleben die Gemeinschaft der Glaubenden auch anders als damals –
in den ersten Tagen.
Drei Dinge greife ich heraus:
1. die Jünger damals waren am Abend zusammen.
Es klingt wie ein nebensächlicher Zufall, hat aber einen
tiefen Sinn:
Am Abend sind Menschen normalerweise am Ende ihrer Kräfte.
Wie heißt es hier: sie hatten die Türen verschlossen aus
Angst.
Sie waren traurig und niedergeschlagen, bevor die Begegnung
mit Jesus sie froh machte. All das ist typisch für den Abend!
Die Dunkelheit der Nacht verstärkt die innere Dunkelheit!
Und gerade dann, am Abend erlebten die Jünger eine Begegnung
mit Jesus.
Als sie am Ende ihrer Kraft waren.
Die Frage an uns lautet: wann und wo rechnen wir mit einer
Begegnung mit Jesus? Am Sonntagmorgen sind wir ausgeruht und
entspannt.
Was immer uns in der Woche belastet hat – meistens hatten
wir am freien Samstag Zeit, das zur Ruhe kommen zu lassen.
Und so sind Begegnungen mit dem Auferstandenen selten in
unseren Gottesdiensten.
Jesus kommt zu denen, die am Ende sind.
Am Ende ihrer Kräfte, am Ende des Tages. Am Ende mit ihrem
Latein.
Zu denen, die nicht mehr weiter wissen.
Die nur noch dieses eine ahnen: Ich brauche Hilfe!
Gerade den Menschen, die an Ängsten oder an Erschöpfung
ihrer Kräfte leiden, gilt die Einladung zum Glauben.
Gerade sie sollten wir mitbringen in unsere Gottesdienste.
Denn gerade solchen will Jesus begegnen.
„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid
– ich will Euch erfrischen!“ Das haben wir wohl schon oft gehört.
Hier tut Jesus noch mehr: Er geht hin zu seinen Leuten – in
ihrer Not.
2. Das zweite, was mir auffällt ist das, was er tut, um seine
Leute aufzurichten:
Er zeigt ihnen die Wunden, die er erlitten hat.
Schaut her – ich bin geschlagen – an Händen und Füßen
verwundet.
Und mitten ins Herz getroffen.
Jesus trägt die Zeichen der Ohnmacht an sich.
Und er schämt sich dessen nicht!
Auf eine solche Äußerung kann man ja verschieden reagieren.
Manche verstehen das geradezu als Einladung, erst recht auf
einem Schwachen herumzuhacken – und zeigen damit vor allem eins:
Sie haben selber große Angst, dass ihre Schwachstelle
aufgedeckt wird.
Wer dagegen bereit ist, seine Wunden zu zeigen, der hat
„Ja“ dazu gesagt.
„Ja,
ich bin nicht perfekt.“ „Ja, Andere sind stärker oder
besser.“
Es ist ein Kennzeichen der Gemeinde Jesu geworden:
Hier versammeln sich Menschen, die Schwächen haben.
Die nicht ohne Kraft von außen klarkommen.
Gemeinde bietet Raum, auch Schwachheiten zuzulassen.
Weil der Herr der Gemeinde einer ist, der Wunden an sich trägt.
Und der seine Wunden auch zeigt.
Es ist sogar so: gerade dann, wenn Menschen dazu bereit sind,
entsteht und wächst Gemeinschaft!
Das sind kostbare Momente, wenn Menschen ehrlich werden.
Wo der Geist Jesu herrscht, kann das geschehen.
3. Und ein Drittes:
Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt
hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen
Geist!
Die Ausleger nennen diesen Moment das Pfingsten des Johannes.
Jesus pustet die Jünger an – wie Gott zu Beginn der Schöpfung
die leblose Figur des Adam angehaucht hat.
Und dieser Hauch erweckt das Tote, das Starre zum Leben.
Gerade eben war Jesus vom Tod zum Leben erweckt worden.
Und schon gibt er das weiter an die Jünger.
Wer den Geist Gottes empfängt, der empfängt damit das neue
Leben in Gott!
Wer wollte das nicht gerne haben?
Nur: Verbunden damit ist gleich ein Auftrag – wollen wir den
auch haben?
Jetzt
seid Ihr dran! So wie Gott mich gesandt hat, so sende ich Euch!
Wie
Schafe mitten unter die Wölfe. Wundert Euch nicht, wenn es
bedrohlich oder gefährlich wird! Wenn die Leute die Botschaft vom
Leben nicht hören wollen. Wenn sie Euch niederschreien oder
Schlimmeres.
All das ist Jesus auch passiert.
Aber noch einmal: Jesus begegnet den Jüngern am Abend.
Es geht in der Nachfolge nie um ein Handeln aus eigener Kraft.
Da wären wir schnell am Ende.
Es geht auch nicht darum, dass alle das Gleiche tun sollen.
Jesus beauftragt die Gemeinschaft als Ganzes!
Die Jünger waren aber sicher sehr unterschiedliche Leute.
Nicht alle wurden später Gemeindeleiter oder Missionare.
Aber alle bekommen den Geist Gottes zugesprochen.
Und alle bekommen eine großartige Vollmacht.
Und auch bei der frage ich mich: wollen wir die überhaupt
haben?
Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet,
denen sind sie behalten.
Was für eine Verantwortung! Es geht um das Lösen der verhängnisvollen
Verbindung von Schuld und Sühne.
Gerade das zusammenzuhalten – darin sind wir stark!
Wehe, wenn jemand in unserer Mitte schuldig wird.
Irgendwas vergessen hat – oder sich rücksichtslos verhalten
hat.
Wo immer Menschen miteinander leben, werden sie schuldig.
Kinder an ihren Eltern – und umgekehrt.
Presbyter an Gemeindegliedern – und umgekehrt.
Pfarrer an Mitarbeitenden – und umgekehrt.
Die Liste ist beliebig fortzusetzen.
Und wir alle kennen reichlich Beispiele, wo was passiert ist.
Und halten diese Fälle in unserer Erinnerung fest wie einen
Schatz.
Warum eigentlich?
Ihr
sollt Sünden erlassen, wo immer es geht
– das ist der Auftrag.
Gottes Geist will nicht Menschen beschwert von Schuld sehen,
sondern befreit von Vergebung.
Das Andere geschieht viel häufiger – dass Menschen einander
nicht vergeben.
Aber wer an Schuldzuweisungen festhält, der frage sich:
Ist
das wirklich geleitet vom Geist Gottes?
Handle
ich verantwortlich und aufbauend, wenn ich jemandem seine Schuld
nicht vergebe?
Es hängt alles miteinander zusammen!
Jesus, der uns in unserer Schwachheit begegnet.
Der Herr, der uns seine Wunden zeigt und damit deutlich macht:
Das Leben ist nicht immer so, wie wir es gerne hätten. Es
gibt Verwundungen. Es gibt Ohnmacht und Niederlage.
Und der Geist Gottes, der uns darin leiten will, Sünden zu
erlassen.
Das scheint mir die Predigt des ersten Gottesdienstes gewesen
zu sein.
Amen!
Björn Heymer
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