Erzähl-Predigt am 23.08.2008 über Jeremia
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Fortbildung für
Nachwuchs-Engel
Nervös warteten die Nachwuchsengel vor dem großen Portal,
das zum Thonsaal führte. Einige scharrten mit den Füßen, andere
hibbelten rum und wieder andere schwätzten und kicherten. Heute
sollten sie zum ersten Mal einen richtig großen Auftrag bekommen,
einen echten Engelsauftrag auf Gottes Lieblingsplaneten im Weltall.
Sie waren alle schon mindestens einmal dort gewesen, aber
immer nur in Begleitung erfahrener Engel oder als Reisegruppe.
Unglaublich Schönes und ebenso Schreckliches hatten sie dabei schon
gesehen. Aber jetzt sollten sie selbst...
Da endlich schwang die Tür auf und sie traten in den Raum,
der noch mehr von Licht erfüllt war als alle anderen Himmelsräume.
Der Thronsaal. Scheu traten sie ein.
Aber ER breitete mit einem Lächeln seine Arme aus und winkte
sie zu sich:
„Kommt her meine Lieben“, sagte er mit dieser Stimme, die
sie alle so an ihm mochten, wo ihnen gleich warm ums Herz wurde.
Sie wussten, ER konnte auch anders, oh konnte ER anders!
Dann bebte der ganze Himmel. Aber sie wussten auch: Das kam
viel, viel seltener vor, als Gott eigentlich Grund dazu hätte.
Erwartungsvoll scharten sie sich um IHN.
„Ihr wisst“, sagte ER, „dass sich in letzter Zeit die
Stoßgebete, die Klagen, die Beschwerden und Bitten der Menschen
wieder gehäuft haben. So vieles geschieht auf der Erde, mit dem sie
nicht fertig werden, was sie ratlos macht und ängstet, wo ihr Leid
größer ist, als sie tragen können.
Und deshalb habe ich beschlossen, mit eurer Hilfe ein großes
neues Projekt zu starten, damit es in der Welt wieder gerechter,
liebevoller und gottesfürchtiger zugeht.
Schaut her!“
Plötzlich schwebte die Erde direkt vor ihnen und drehte sich
langsam wie ein Globus ohne Ständer. Gott zeigte auf
irgendeine Stelle, die sogleich lebensgroß vor ihnen erschien. Aber
je mehr ER zeigte umso stummer wurden die Nachwuchsengel. Sie sahen
hunderte Menschen, die auf irgendeinem Flughafen festsaßen, weil
Terroristen ihre Flugzeuge in die Luft sprengen wollten. Sie sahen Männer
und Frauen, die vereinsamt und verzweifelt in ihrer Wohnung hockten
oder ihrem Krankenzimmer lagen und sich von Gott und der Welt
verlassen fühlten.
Sie sahen Kinder mit Gewehren in der Hand, die fast so groß
waren wie sie selbst.
Sie sahen Jugendliche, die nur noch rumhingen und sich für
nichts mehr interessierten, weil sie keine Ahnung hatten, was ihr
Leben wert war.
Sie sahen Familien weinen, deren Häuser durch Raketen zerstört
und Kinder tödlich verletzt worden waren. Sie sahen Väter und Mütter,
die plötzlich arbeitslos geworden waren und ihre Schulden nicht
mehr zahlen konnten. Sie sahen Topmanager mit übervollen Bankkonten
und völlig verdorrten Seelen.
Sie sahen 12jährige Afrikaner, die ihre kleinen Geschwister
allein ernähren mussten, weil ihre Eltern an Aids gestorben waren,
sie sahen und sahen und sahen.
„Warum seid ihr so still geworden?“, fragte Gott munter,
„ich dachte ihr freut euch, dass wir endlich eine neue
Hilfsexpedition starten.“
„Ja schon, aber, uiuiui“, sagte einer der Engel, „das
war jetzt schon ziemlich heftig. Das alles sollen wir ändern?“
„Moment“, sage Gott gedehnt, „ich hab euch ja noch nicht
euren Auftrag erklärt.
Ihr sollt das jetzt nicht einfach selbst ändern, sondern ihr
sollt Menschen suchen, mit denen zusammen wir die Welt schöner und
heller machen können.
Ich
bin sicher, ihr findet welche, die das Zeug dazu haben und die ihr
motivieren könnt. Denn etwas Schöneres und Ehrenvolleres, als mein
Licht in die Dunkelheit zu tragen, gibt es einfach nicht. Denkt doch
nur, was für eine Ehre es schon für jemanden ist, wenn er das
olympische Feuer ein Stück weit tragen darf.
Ist
nicht mein Licht viel mehr?“
Von dieser Vorstellung waren die Engel jetzt schon wieder
ziemlich angetan und wollten gleich in alle Richtungen los fliegen.
Aber Er hielt sie noch mal zurück:
„Stop! Ein paar Hinweise muss ich euch noch geben:
1. Es kann sein, dass die Menschen, die ihr fragt, sagen: Das
kann ich nicht, ich bin zu jung oder zu alt oder kann nicht reden
oder bin nicht fromm genug oder so.
Lasst euch davon nicht irritieren. Erinnert sie an Mose oder
an Jeremia oder Petrus.
Die wollten auch erst nicht aber wurden dann mit meiner Hilfe
zu hervorragenden Mitarbeitern.
2. Ihr könnte im Prinzip jeden fragen, also auch die, die
noch keine Ahnung davon haben, was in ihnen steckt. Schaut einfach
genau hin.
Und jetzt geht mit meinem Segen.
Ach so – eins noch: Keine Angst vor Fehlschlägen und
Pannen. Riskiert was!“
Begeistert gingen die Nachwuchsengel an ihren Auftrag.
Aber – es lief anders, als sie es sich vorgestellt hatten.
Aus irgendeinem Grund kamen sie nicht richtig voran.
Mehr und mehr Fehlermeldungen trafen bei Gott ein, bis er sie
schließlich alle wieder zusammenrief:
Da standen sie wieder um seinen Thron, einige mit gemischten
Gefühlen, andere ziemlich frustriert und wieder andere stinksauer.
Kaum jemanden hatten sie gewinnen können. „Die kannst du
vergessen, die Menschen“, schimpften sie, „lass uns das mit der
Hilfe allein machen. Dann kommt jedenfalls was dabei rum.“
„Ach ja?“ sagte Gott interessiert, „dann erzählt mal
genauer, wie ihr die Sache angepackt habt.“
Sie erzählten, wen sie alles angesprochen und mit was für
Argumenten die Menschen abgelehnt hatten. Andere waren erst
begeistert, waren nach kürzester Zeit wieder ausgestiegen. Und
manche hatten zwar erst zugesagt, aber dann doch keinen Finger gekrümmt.
„Ja,“ erzählte ein kleinerer Engel aufgebracht.
„Ich hatte mir eigentlich eine ganz leichte Aufgabe
vorgenommen, nämlich in einer sehr lebendigen Kirchengemeinde
wieder Leute fürs sonntägliche Kaffeekochen zu finden. Aber nicht
mal das hat richtig geklappt.“
Je länger sie erzählten und sich über die Menschen
beschwerten, umso kritischer schaute Gott sie an.
Schließlich schlug ER die Hände über dem Kopf zusammen.
„Du liebe Zeit!“ rief ER halb ärgerlich und halb amüsiert.
„Na, kein Wunder, dass ihr so wenig Erfolg hattet. Ihr habt ja
alles durcheinander gebracht!“
Die Nachwuchsengel erstarrten.
Wie, Er stimmte nicht mit ein in das allzu berechtigte
Klagelied über die Menschen?! Er gab jetzt auch noch ihnen
die Schuld für den Misserfolg?!
Sie waren verwirrt und sauer.
Aber ER lächelte sie wieder an: „Na na naa, “ sagte er tröstend,
„ Ich hab doch gesagt, dass Pannen und Fehlschläge nicht schlimm
sind. Allerdings habt ihr offenbar nicht verstanden, was es heißt,
genau hinzu schauen. Erinnert ihr euch? Bevor ich euch losschickte,
habe ich gesagt: „Schaut einfach genau hin.“
Und was habt ihr im Überschwang gemacht?“
Er holte eine lange Liste hervor, auf der jedes Beispiel, das
die Engel gerade erzählt hatten, aufgeschrieben stand.
Name des Engels; Name Geschlecht und Alter des Menschen, den
er angesprochen hatten; Auftrag, für den er ihn gewinnen wollten;
Zeitpunkt der Begegnung und genannter Grund der Ablehnung. - Aber
dann gab es da noch weitere Spalten, zu denen die Engeln gar nichts
gesagt hatten. Da stand: Persönliche Gaben und Schwächen.
Bisherige Tätigkeiten und Erfahrungen. Belastung in Beruf und
Familie.
Selbstbewusstsein und innere Stärke. Gottvertrauen.
Die Engel starrten auf diese Spalten, die merkwürdigerweise
alle vollständig ausgefüllt waren.
„Augenblick mal“, stammelte einer, „w-was ist denn
das?“
„Genau hinschauen“ sagte Gott und es zuckte um seine
Mundwinkel. „Also“, fuhr ER dann ganz ernst wieder fort, ich
erklär es euch an einigen Beispielen, ohne jetzt einzelne von euch
zu beschämen“ Im gleichen Augenblick war die Spalte unter der Überschrift
„Name des Engels“ völlig leer.
„Hier zum Beispiel, dieser junge Mann: unsportlich, dick,
starke Brille, zurückhaltend, verschwiegen, treu, sorgfältig.
Gottvertrauen: ein Plus.
Und für was hat ihn der betreffende Engel gewinnen wollen?
Streetballgruppe für herumlungernde Jugendliche.“
Einige Engel lachten. Aber Gott schaute sie streng an und sie
verstummten.
„Ihr merkt“, sagte er, „das macht nicht wirklich Sinn.
Dabei hätte die Aufgabe zwei Zeilen tiefer wunderbar gepasst:
Mitarbeit in Jugend- und Junge Erwachsenen Kreis – Nämlich, wenn
jemand schlecht drauf ist, Gespräch führen ggf. beten.
Wenn jemand länger nicht da war, Anrufen und nachfragen.
Anderes Beispiel...:“ Er ging mit den Augen die Liste durch.
Plötzlich grinste er. „Oh, das ist krass hier. Bei dieser
Frau hier steht unter bisherige Tätigkeiten und Erfahrungen:
Familie, vier Kinder, im Gemeindevorstand, leitet zwei Jungscharen,
singt im Kirchenchor. Gebetskreis. Gemeindefreizeit. Kinderfreizeit.
Und sie soll jetzt zusätzlich sonntags noch den Kirchenkaffee
machen.
Entschuldigung. Aber hier wäre ein ganz anderer Auftrag
angebracht.“
Der kleine Engel war bis zum Scheitel rot geworden, obwohl
Gott ihn nicht angeschaut hatte. „Nicht schlimm“, sagte Gott und
schaute immer noch diskret auf seine Liste. „Ich vermute aber,
dass mindestens einer von euch eine Idee hat.“
Und jetzt sah er den kleinen Engel an und nickte ihm
ermutigend zu.
„Ehm, ja, ich glaube, ich hätte, eh, also, derjenige hätte
die Frau zu mindestens einem halben Jahr Pause einladen müssen.
Oder, oder wenigstens, dass sie ein paar Sachen davon nicht
mehr macht.“
„Sehr gut“, lobte Gott, „völlig richtig. Das hast du
auf den Punkt getroffen. Es wird auch dadurch in der Welt gerechter,
liebevoller und gottesfürchtiger, dass überlastete Menschen den
Auftrag bekommen, Aufgaben abzugeben, um in der frei werdenden Zeit
für ihren Körper und ihre Seele zu sorgen. Prima!“
Er nickte dem kleinen Engel noch mal anerkennend zu.
„O.k. noch ein letztes Beispiel. Hier – oh das ist auch
sehr interessant. Also, da ist ein Mensch, wirklich vielseitig
begabt, intelligent, kann gut organisieren, interessiert sich für
Politik und hat offenbar ne tolle Ausstrahlung. Ist vorzeitig in den
Ruhestand gegangen und hat deshalb ziemlich viel Zeit.“
ER zögerte kurz schaute dann auf und sah die Engel fragend
an:
„Wofür könnte man ihn vielleicht gewinnen?“
Da fiel ihnen sofort eine ganze Menge ein: Dritte Welt Gruppe,
Mission und Ökumene, Vorsitz im Diakonieausschuss, Kontakt zu Behörden
und Lokalpolitik usw. usw.
„Jetzt passt auf, “ sagte Gott, „der ist gefragt worden
für: Bierwagen beim Gemeindefest.“
Die Engel prusteten los.
„Augenblick“, unterbrach Gott sie, „in der Spalte
Gottvertrauen steht: Rechnet mit der Existenz eines höheren Wesens.
Und bei Erfahrungen: Katastrophaler Konfirmandenunterricht. Ich
vermute, dass der betreffende Engel sich deshalb nicht getraut hat,
diesen von mir begabten Menschen für eine verantwortungsvolle
Aufgabe zu fragen.
Und so erlebte der wieder einmal, dass er gar nicht richtig
ernst genommen wurde. Dabei würde ich gerade seine Gaben in meinen
Dienst nehmen. Stellt euch vor, der begreift, dass dieses höhere
Wesen mit ihm persönlich was Besonderes vorhat.
Der könnte nicht nur ein ungeheuer wertvoller Mitarbeiter
werden.
Der würde auch mich ganz neu kennenlernen.
Was für eine Chance! Das müsst ihr den Menschen deutlich
machen:
1. Dass ich für jeden von ihnen eine Aufgabe habe, die
wirklich zu ihnen passt, wo sie sich vielleicht auch selbst neu
entdecken können.
2. Dass wir sie nicht für etwas Sinnloses fragen, sondern für
etwas, das wirklich einen Unterschied macht in der Welt.
Und 3. dass sie das nicht allein schaffen müssen oder überfordert
werden, sondern erleben werden, das ich mit ihnen bin.
Deshalb schaut genau hin, sucht, was wirklich passt und Sinn
macht, und überbringt den Menschen folgende Botschaft von mir: Fürchte
dich nicht, ich bin bei dir und werde dich beschützen. Darauf gebe
ich, der Herr, mein Wort.“
Als die Engel nach dieser Fortbildung wieder zu ihrem Auftrag
starteten, brauchte Gott sie lange nicht zurückzurufen.
Und an vielen Orten kam ein kleines Licht mehr in die
Dunkelheit der Welt.
Björn Heymer
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