Predigt am 2.03.2008 über
Jesaja 54, 7- 10 -
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Frau
S. hatte lange nicht mehr an Gott gedacht.
Vielleicht
hatte sie es auch nur vergessen.
Denn
eigentlich war auch so alles ganz gut gelaufen in ihrem Leben.
Ihre
zwei Kinder sind erwachsen geworden und standen auf eigenen Beinen.
Nun
hatte sie sogar schon zwei Enkeltöchter, die zehn und zwölf Jahre
alt waren.
Vor
Jahren war ihr Mann gestorben. – So geht es nun mal.
Natürlich
war es einsamer geworden, nun, da sie ganz allein lebte.
Aber
sie hatte Ihren Hund. Sie traf Nachbarn und gelegentlich Freunde.
So
ging es.
Bis
zu diesem Moment, der alles veränderte:
Ins
Krankenhaus war sie gegangen, um etwas entfernen zu lassen –
Zysten – alles harmlos.
So
dachte sie und so dachte auch ihre Tochter, die sie begleitete.
Aber
dann kam der Arzt und bat sie in sein Besprechungszimmer.
„Wir
haben da noch etwas Anderes gefunden. Ein Karzinom im Dickdarm
-
und es hat gestreut.“
Frau
S. war zumute, als habe ihr jemand urplötzlich den Boden unter den
Füßen weggezogen
Später,
allein in ihrem Zimmer, dachte sie an Gott.
Eigentlich
würde sie jetzt gerne beten.
Aber
sie traute sich nicht. Nach so langer Zeit?
Geht
das überhaupt? Einfach so?
Hungrig
ging ihre Seele an diesem Abend in die Nacht.
Ihr Lieben, dass
Menschen Gott vergessen – das geschieht ja.
Und wenn
man dann nach langer Zeit mal wieder daran denkt, zu beten,
dann mag es Vielen ähnlich gehen wie dieser Frau – irgendwo auf
dem Weg hat man den Mut verloren im Blick auf Gott. Und so schweigt
man traurig weiter – in der Gottverlassenheit.
Aber gibt es auch das
Umgekehrte? Dass Gott seine Menschen verlässt?
Kann das sein? Ich
lese aus Jesaja 54 die Verse 7 bis 10:
Ich
habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,
aber
mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich
habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir
verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen,
spricht
der HERR, dein Erlöser.
Ich
halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor,
dass
die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten.
So
habe ich geschworen,
dass
ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
Denn
es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber
meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und
der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht
der HERR, dein Erbarmer.
Wie bitte? Gott hat
sein Volk verlassen?
Sein Angesicht verhüllt
und seine schützende Hand abgezogen?
Die Geschichte von
Frau S. wurde mir am Donnerstagabend erzählt.
Sie ist in den
vergangenen Wochen passiert.
Warum passiert so
etwas? Hat Gott nicht aufgepasst, wenn einem plötzlich eine
vernichtende Diagnose alle Sicherheiten im Leben raubt?.
Die Geschichte von
Frau S. ist nicht zu Ende.
Ich habe lange überlegt,
ob ich sie hier so weitergeben kann.
Und habe mich dafür
entschieden, weil sie etwas widerspiegelt von Gott.
Denn mit ihrer
heimlichen Sehnsucht nach Gott und zugleich der Hemmung, den Kontakt
zu suchen, blieb Frau S. nicht allein – Gott sei Dank.
Im Krankenhaus bekam
sie Besuch von Ehrenamtlichen Frauen, die für sie gesungen haben.
Die ihr Bücher zum
Lesen brachten. „Eines Tages
lag ein Neues Testament auf Ihrem Nachttisch.“ – erzählte
die Tochter. Und so erlebte die Mutter (und die Tochter nahm das
auch sehr aufmerksam wahr), dass Gott sie nicht etwa vergessen hatte
oder kein Interesse an ihr hätte. Sie fand den Mut zum Gebet. Sie
kam noch einmal für kurze Zeit nach Hause.
Nun ist sie wieder im
Krankenhaus, diesmal hier in Köln. Da sie am verg. Wochenende
Samstag und Sonntag raus durfte, wollte die Tochter ihr eine Freude
machen und informierte sich, wann und wo der nächste evangelische
Gottesdienst sei.
Und so kamen sie in
unseren Welcome – Gottesdienst.
Vor allem die Mutter
war restlos begeistert: „Hier
ist es ja wie in einer großen Familie. Alle sind so freundlich und
fröhlich“ Sie konnte es gar nicht fassen. „Und
hier ist es ja warm geheizt in der Kirche!“
Beim Buffet ermutigte
die Mutter ihre Tochter, sich doch auf die Einladung zur Mitarbeit
hin zu melden. Und das tat sie auch. So saß sie dann am Donnerstag
Abend im Welcome Team. Mit einer tiefen Erfahrung von Gottes
Freundlichkeit und einer liebevollen, annehmenden Gemeinde. Ich bin
sehr gespannt, was Gott aus diesem Kontakt noch machen wird.
Hier sind zwei Dinge
bedeutsam:
Nämlich das, was
nicht geschieht – und das, was offenbar geschehen ist.
Frau S. ist nicht auf
wunderbare Weise gesund geworden. Niemand kann sagen, wie ihre
Krankheit weiter verlaufen wird. Sicher scheint nur dies:
Gesund wird sie wohl
nicht mehr. Es geht eher um Linderung als um Heilung.
Vorgestern gab es mal
wieder so eine ernste Frage meiner achtjährigen Tochter – mal
eben so nebenbei gestellt: „Papa,
eigentlich ist Gott doch an allem schuld, was geschieht.
Er
hat doch schließlich alles gemacht.“
Ist das so?
Nein! Gott ist nicht
für alles verantwortlich.
Für vieles Böse,
das geschieht, sind Menschen verantwortlich.
Denn Adam und Eva
haben vom Baum der Erkenntnis gegessen haben.
Deshalb wissen
Menschen, was gut und was Böse ist.
Und weil sie es
wissen, sind sie auch dafür verantwortlich, wenn sie trotzdem Böses
tun.
Bei bösen Taten sind
Menschen schuld, nicht Gott!
So hab ich Gott
verteidigt. Für meine Tochter war es damit gut. Sie konnte das
einsehen.
Aber es ist nur ein
Teil der ganzen Wahrheit.
Auch wenn Menschen
schuldig werden, bleibt Gott nicht außen vor.
Er schaut sich das
Tun der Menschen nicht einfach nur an.
Er lässt den
Menschen nicht in der Gottesferne.
Weil er der
Barmherzige ist – der Erlöser. Davon zeugt Jesaja.
Gott hat ein Herz wie
wir. Er leidet daran, wenn Menschen fern sind von ihm.
Darum darf Jesaja
dieses wunderbare Lied von der Gnade Gottes anstimmen:
…. mit großer
Barmherzigkeit will ich dich sammeln
… mit ewiger
Gnade will ich mich deiner erbarmen
… .ich will
nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten
… meine Gnade
soll nicht von dir weichen,
und der Bund
meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein
Erbarmer
Das Andere, was an
der Geschichte von Frau S. bedeutsam ist, ist das, was passiert ist:
Was ist geschehen bei
Frau S. – und warum?
Die Frauen, die sie
im Krankenhaus besucht haben, waren Gesandte Gottes.
Durch sie ist Gott
selber ihr nachgegangen.
Und danach auch durch
uns, durch die Philippus-Gemeinde auch.
Und Jesaja sagt,
warum das so ist: Weil Gott unendlich gnädig ist!
Und das hat Er sich
alles kosten lassen.
Ich habe uns heute
ein Bild mitgebracht. Es zeigt Jesus, leidend am Kreuz.
Er betet die Worte
des 22. Psalms:
Mein
Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen.
Jesus hat das
durchlitten, was wir hier bei Jesaja leicht überlesen:
Ich habe dich
einen kleinen Augenblick verlassen, spricht Gott, der Herr
Jedes Leben, aus dem
Gott sich zurückzieht, steht unter der Wirklichkeit des Todes.
Und das ist die
Wirklichkeit, die uns alle solange bestimmt, bis Gott eingreift.
Jesus hat diese
Gottverlassenheit freiwillig auf sich genommen.
Damit das, was Jesaja
in diesem wunderbaren Gnadenlied anstimmt, Wirklichkeit wird.
Nämlich, dass sich
Gottes Erbarmen zeigt.
Wenn wir heute
Menschen von der Liebe Gottes weitersagen, dann nur deshalb:
Weil Jesus uns die tödliche
Last der Gottverlassenheit abgenommen hat.
So ist Frau S. eine
Gefundene geworden. Eine, die von der Liebe Gottes erreicht wurde.
Warum sie? Warum
nicht jene? Darauf ist uns keine Antwort gegeben.
Wohl aber der
Auftrag: Ihr seid die Zeugen und die Boten der Gnade Gottes.
Das Angebot ist da
– unterschrieben mit dem Blut Jesu.
Wir nehmen es heute
neu an, wenn wir das Mahl miteinander feiern.
Und wir werden zu
Boten der Gnade, wenn wir die Liebe Gottes annehmen.
Die Einladung steht
– kommt herzu zum Tisch der Gnade.
Amen.
Björn Heymer
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