Predigt am Heiligabend 2007 über Johannes
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Ihr Lieben, rund um
die Geburt des Jesus ranken sich Geschichten.
Und so habe ich für
den heutigen Abend eine Geschichte mitgebracht.
Sie beginnt in
Jerusalem:
„Rabbi
Gamaliel! Komm schnell zu mir nach Hause.
Ich
glaube, mein Mann ist verrückt geworden!“ rief eine Frau ganz
aufgeregt.
„Nun
komm erst mal herein und erzähle mir, was passiert ist.“
„Rabbi, du weißt
ja, Nikodemus, mein Mann hat
einen besonderen Ruf als Gelehrter.
Vorgestern hat der König
ihn an seinen Hof rufen lassen. Denk Dir, er interessiert sich jetzt
für Fragen der Schrift. „Wo
soll nach den Schriften der Messias Israels geboren werden?“
Das hat er Nikodemus
und einige Andere gefragt.
Sie waren sich alle
schnell einig. Ich glaube, es steht bei Micha: „Aus
Bethlehem in Judäa soll der kommen, der in Israel Herr sein
wird.“
Also antworteten sie
einmütig: „Aus Bethlehem
wird der kommen, der die Erlösung für Israel bringen
wird.“ Da riefen die weisen Männer, die vor dem Thron des
Herodes standen, und deren Besuch wohl der Anlass für die Frage des
Herodes waren:
„Dann
lasst uns nach Bethlehem gehen. Denn wir sind ja gekommen, um den
neugeborenen König Israels zu sehen und ihm unsere Ehre zu
erweisen.“
Nikodemus war sehr
erregt, als er danach nach Hause kam. Mir sagte er:
„Leg
mir den schönen Mantel aus weißer Wolle zurecht, den Du mir
gewoben hast und lass den grauen Esel satteln.“
Und dann steckte er
die dreißig Silberstücke in seinen Beutel – unser ganzes Vermögen!
- und brach auf nach Bethlehem. Er hatte auch nicht vergessen, sein
Schwert mitzunehmen, um sich vor Räubern schützen zu können.
Und jetzt ist er zurückgekommen:
ohne Schwert, ohne Mantel und auch ohne den Esel.
Seine Tunika ist
schmutzig und voller Staub.
Er zittert am ganzen
Leib und sagt, dass auch unser Vermögen weg sei.
Trotzdem singt er
dauernd fröhliche Lieder.
Rabbi,
ich glaube, mein Nikodemus hat den Verstand verloren.“
Gamaliel fand
Nikodemus, wie die Frau es beschrieben hatte.
„Nikodemus,
was ist mit Dir? Erzähl mir, was dir passiert ist.“
„Hör zu,“
antwortete Nikodemus. „Gestern Morgen, als ich Jerusalem durch das
Dungtor verließ, da, wo sich die Hütten der Armen befinden, da
hielt mich ein Bettler an:
„Guter
Herr, geben Sie mir ihren Wollmantel. Ich friere.“
Und tatsächlich, er
schlotterte in der kalten Morgenluft.
„Ich
kann dir diesen Mantel nicht geben. Meine Frau hat ihn für mich
gewoben, er ist mir sehr kostbar.“ So antwortete ich.
„Und
außerdem gehe ich nach Bethlehem, um den neugeborenen Messias zu
begrüßen.“
Aber als ich
weiterging, kam mir das Wort des Propheten in den Sinn:
Brich
dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe
ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh
dich nicht deinem Fleisch und Blut! Jesaja
58,7
Wie
könnte ich vor dem Messias erscheinen, wenn ich solchem Gebot nicht
gehorche?
sagte ich mir.
Und schon hatte ich
dem Bettler meinen schönen weißen Wollmantel geschenkt.
Als ich dann beim
Brunnen von En Rogel ankam, sprang plötzlich ein Räuber hervor:
„Gib
mir dein Geld!“ forderte er.
„Das
würde ich ja tun,“ antwortete ich, „aber
ich gehe nach Bethlehem, um es dem Messias zu schenken, der gerade
geboren ist.“
„Ach,
du erzählst Geschichten, um mir zu entkommen. Gib mir dein Geld,
und zwar schnell!“
Ich hätte versuchen
können, mein Schwert zu
ziehen und weiterzugehen, aber das Wort des Propheten kam mir in den
Sinn:
„Denn
uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die
Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat,
Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;“ Jesaja 9,5
„Soll
ich einen Mord begehen, um die Geburt des Friedefürsten zu
feiern?“ sagte ich mir – und gab aus freiem Willen dem Räuber
mein Geld.
Als ich Bethlehem
schon liegen sah, sprach mich ein Mann an, der nur mühsam gehen
konnte.
Er hatte einen
fremden Akzent und sagte:
„Herr,
ich bin auf dem Weg nach Ägypten, wohin mein sterbender Vater mich
rufen ließ. Leider sind meine Füße wund und verweigern mir ihren
Dienst. Leihen sie mir ihren grauen Esel. Ich werde ihn zurückgeben,
wenn ich wiederkomme.“
„Auch
ich habe eine Mission zu erfüllen,“ antwortete ich ihm. „Ich
gehe nach Bethlehem, um die Geburt des Retters der Juden zu
feiern.“
„Der
Retter der Juden geht mich gar nichts an, denn ich bin ein
Fremdling“, antwortete der Mann, „außerdem
ist Bethlehem so nah und Ägypten so weit.“
Ich wollte schon
weitergehen, als mir das Wort aus dem Psalm in den Sinn kam:
„Ich
bin jung gewesen und alt geworden und habe noch nie den Gerechten
verlassen gesehen und seine Kinder um Brot betteln. Er ist allezeit
barmherzig und leiht gerne, und sein Geschlecht wird zum Segen
sein.“ Psalm 37, 25+26
„Nun
gut, nimm meinen Esel,“ sagte ich deshalb zu dem Fremden, „und
bring ihn mir so bald wie möglich zurück.“
Und so kam ich nach
Bethlehem, aller meiner Güter beraubt und nur mit einer einfachen
Tunika aus Leinen bekleidet.
„Und,
hast Du den Messias gefunden?“ unterbrach ihn lebhaft Rabbi
Gamaliel.
„Nicht
sofort. Ich musste zuerst lernen, wie es ist, arm zu sein. Zuerst
ging ich zum Leiter der Synagoge dort. Ihn fragte ich: Wo ist der
neugeborene Messias?“ Aber er weigerte sich, mir zu glauben,
dass ich der Rabbi Nikodemus aus Jerusalem sei und wies mich zur Tür
hinaus. Ich bin zu allen angesehenen Bürgern in Bethlehem gegangen,
aber überall jagte man mich fort. Schließlich dachte ich schon,
ich müsste auf der Straße schlafen, als ein Mann an mir
vorbeiging. An seinem starken Geruch erkannte ich, dass es ein Hirte
war und bat ihn: „Kannst Du
mir ein Stück Brot geben und mich für die Nacht beherbergen?“
„Sicher,“
sagte der Mann, „aber nicht
bevor du mich zu dem Stall begleitet hast, wo das kleine Kind schläft,
das vorgestern geboren ist.
Jeden
Abend gehen wir und bringen seinen Eltern etwas zu essen.
Es
sind arme Galiläer ohne Geld, die wegen der Volkszählung
hergekommen sind.“
„Sag
mir doch, wie war der König?“ unterbrach ihn wieder Gamaliel.
„Wenn
ich den Stall betreten hätte mit meinem weißen Mantel, mit dem
Schwert, den Beutel gefüllt mit all meinem Geld, und auf dem Esel
geritten, dann hätte ich nicht glauben können, dass der Sohn
dieses armen Mannes wirklich der Sohn Gottes sei. Aber weil die
Hirten mich als einen der Ihren angenommen hatten und weil Maria und
Josef mich mit Güte empfingen, deshalb habe ich begriffen, dass
Gott nicht die Gelehrten oder Intelligenten, die Reichen oder Mächtigen
ausgewählt hat, sondern die Ungebildeten, die Demütigen und
Schwachen.
Denen
hat der Allmächtige, geheiligt sei sein Name, sich gezeigt.
Kannst
Du das verstehen, Rabbi Gamaliel?“
„Ich
werde morgen mit dir nach Bethlehem gehen,“ sagte Gamaliel.
Früh am Morgen
machten die beiden sich auf den Weg. Sobald sie das Dungtor
durchschritten hatten, lief ihnen ein Mann entgegen. „Rabbi,
wie bin ich glücklich, dich wiederzufinden!“
„Aber
was hast du mit meinem Mantel gemacht?“ fragte Nikodemus.
„Ich
habe ihn dem Messias geschenkt.“
„Was,
du bist in Bethlehem gewesen?“ fragte Nikodemus ihm.
„Ja.
Zuerst hatte ich daran gedacht, deinen Mantel zu verkaufen. Ich bin
ein professioneller Bettler und handle mit den Dingen, die man mir
schenkt. Aber deine Güte hat mich so gerührt, dass ich dir den
Mantel zurückgeben wollte. Als ich in Bethlehem angekommen war,
warst Du schon wieder aufgebrochen. Aber die Leute mit dem Kind, die
ich in dem Stall traf, sie waren viel ärmer als ich. Und ehe ich
noch viel darüber nachdenken konnte, hatte ich ihnen den Mantel
geschenkt. In dem Augenblick gingen mir die Augen auf und ich
erkannte, dass das Kind der Messias war, von dem du gesprochen hast.
Jetzt
bin ich schnell zurückgekommen, um dir diese Nachricht zu
bringen.“
„Wir
kehren zurück nach Bethlehem, um uns in den Dienst des Messias zu
stellen.“
sagte Nikodemus. „Komm,
schließ dich uns an.“
Am Brunnen von En
Rogel hatten die drei Reisenden ihre zweite Begegnung:
Ein Mann warf sich
Nikodemus vor die Füße: „Mein
Herr, verzeih mir!“
„Steh
auf,“ sagte Nikodemus gütig. „Ich
verzeihe dir.
Du
willst mir also mein Geld zurückgeben?“
„Leider
nein, ich habe es weggeschenkt. Als ich Deinen Beutel öffnete,
entdeckte ich, dass ich reich geworden war. Ich beschloss, das Räuberleben
aufzugeben und nach Ägypten zu fliehen. Ich ging also hinein nach
Bethlehem. Dort kaufte ich mir neue Kleider und aß in einem
Gasthaus. Ich saß zu Tisch mit drei weisen Männern und die erzählten
mir eine wunderbare Geschichte: Sie hatten in einem Stall den König
der Juden gefunden, der Israel befreien soll. Sofort ging ich auch
hin zum Stall und fand alles, wie sie gesagt hatten. Aber die
Geschenke, die sie gemacht hatten, die brachten mich zum Lachen.
Weihrauch! Myrrhe! Und das in einem goldenen Kasten. Wenn die armen
Galiläer das verkaufen wollen, dann wird man sagen, sie hätten es
gestohlen.
Und
noch ehe ich überlegt hatte, hab ich ihnen den ganzen Rest von dem
Geld geschenkt.
Da
verstand ich, dass dieses kleine Kind der Sohn Davids ist, der wahre
König der Juden, den ich erwarte. Sofort lief ich los, um Dir diese
gute Nachricht zu bringen und um Dich um Verzeihung zu bitten.“
„Alles
ist vergeben,“ erwiderte Nikodemus.
„Komm
mit uns, wir wollen uns in den Dienst des Kindes stellen.“
Als die vier Männer
wenig später Bethlehem vor sich sahen, bot sich ihnen ein Anblick
des Schreckens. Beißender Rauch erhob sich und man hörte Weinen
und Wehklagen.
Ein Hirte erzählte
den Reisenden von der Katastrophe.
„Wir
waren auf den Feldern, als wir plötzlich die Schreie hörten, aber
wir kamen zu spät.
Die
Soldaten hatten schon alle Knaben unter zwei Jahren umgebracht, aus
Angst, dass der König der Juden entweichen könnte, von dem die
Weisen so unvorsichtigerweise gesprochen hatten.“
An der Stelle, wo der
Stall gewesen war, fanden die Vier nur noch rauchende Ruinen.
In der Hoffnung, die
Reste des kleinen Königs der Juden zu finden, um ihn in Ehren zu
bestatten, durchsuchten weinende Hirten die glühenden Steine mit
bloßen Händen. Nikodemus und seine Freunde halfen ihnen dabei, als
sich im Dunkeln eine Hand auf Nikodemus` Schulter legte und eine
fremdländische Stimme sagte:
„Du
bist es, der mir vorgestern seinen Esel geliehen hat. Suche nicht
weiter unter den Toten den, der lebt. Gestern Abend wurde ich von
Joseph und Maria aufgenommen und habe die Nacht hier im Stall
verbracht. Joseph, der durch einen Traum von Gott gewarnt worden
war, nahm das Kind und seine Mutter und brach auf nach Ägypten,
bevor die Soldaten kamen.“
„Werden
sie nicht in der Wüste vor Kälte und Armut umkommen?“
unterbrach ihn
Nikodemus.
„Nein,
denn das Kind war in einen weißen Wollmantel eingehüllt.
Der
Vater trug einen Beutel voll mit Silber bei sich.
Und
seine Mutter saß auf deinem Esel, den ich ihr gegeben hatte.“
„Und
ich hatte geglaubt, der Retter Israels interessiere die Fremden
nicht,“
sagte
Nikodemus. „So war es
auch,“ sagte der Fremde. „Aber
in dem Augenblick, als ich deinen Esel verschenkte, öffneten sich
meine Augen und ich begriff, dass das kleine Kind nicht nur der König
der Juden ist, sondern auch der Retter aller Menschen.“
Viele Jahre später
ging ein berühmter Rabbi durch die Nacht, um mit einem armen
Zimmermann aus Nazareth zu sprechen, der auf der Durchreise war.
Der große Gelehrte
bemühte sich, den Messias wiederzufinden, dessen Spur er vor über
dreißig Jahren verloren hatte. Seine Kollegen machten sich über
ihn lustig, weil er ihn so hartnäckig unter den Armen und
Unwissenden suchte.
„Rabbi“
fragte demütig der große Gelehrte den einfachen Zimmermann, „was
muss man tun, um das Himmelreich zu sehen?“
Und Jesus antwortete
ihm: „Du musst von neuem
geboren werden, du musst dein Leben neu beginnen - in Armut, so, als
wenn du nichts wüsstest.“
Da
verstand Nikodemus, dass er das Kind von Bethlehem wiedergefunden
hatte.
Ihr Lieben, wenn die
Begegnung mit dem Kind in der Krippe zu unserer Neugeburt führt,
dann haben wir heute Grund zum Feiern.
Wenn der Geburtstag
des Jesus aus Nazareth bei uns zu einem Tag der Neugeburt wird¸
Dann kommt die vielen
Feiern von Weihnachten heute zum Ziel.
Amen!
Björn Heymer
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