Predigt am 18. November 2007 über Jeremia
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Ihr Lieben,
manchmal kann man
sich fragen, weshalb bestimmte Abschnitte nicht längst aus der
Bibel gestrichen wurden.
Die Worte des
Propheten Jeremia, die wir eben gehört haben, gehören dazu.
Sie trösten nicht,
sie ärgern. Sie stören – und zwar gerade die Frommen, gerade
die, die sich um die Weitergabe der Bibel immer gekümmert haben.
Hören wir noch
einmal genau hin. Gott beauftragt den Propheten Jeremia.
Sprich
zu ihnen: So spricht der HERR:
Wo
ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde?
Wo
ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?
Warum
will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für?
Sie
halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren
wollen.
Ich
sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden.
Es
gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche:
„
Was hab ich doch getan!“
Sie
laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.
Der
Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit,
Turteltaube,
Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen
sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.
Als der Prophet
auftrat, wurde er wegen solcher Predigten ins Gefängnis geworfen.
Und ehrlich gesagt
– ich mach mir heute auch ein bisschen Sorge wegen dieser
Botschaft.
Es ist ja so:
Wir sind bei harten
Worten, bei Worten der Wahrheit, gewohnt, sie als Opfer zu hören.
Heute, am
Volkstrauertag, denken wir an die Opfer von Kriegen und Gewalt.
Und dabei sind wir
uns sicher, dass wir auf der richtigen Seite sind – oder?
Wir führen keinen
Krieg. Wir tun niemandem Unrecht.
Wir schaden auch
keinem anderen Menschen.
Wir doch nicht! Wir
leben ehrlich. Wir leben bescheiden.
Wir gönnen dem
Anderen, was er oder sie hat – ohne Neid oder Eifersucht.
Wir feiern unsere
Gottesdienste. Und wenn es dabei um Buße oder Umkehr geht – dann
sind die Anderen gemeint. Weil wir doch alles richtig machen, oder?
Nein, sagt Gott. So
ist es nicht!
Es gibt nur einen
Grund dafür, dass diese Sätze des Jeremia alle Bestrebungen der
Zensur überdauert haben:
Sie sind wahr und sie
betreffen Gottes Volk. Sie meinen uns! Nicht irgendwen.
Wir fallen – und
stehen nicht wieder auf.
Wir machen Fehler,
und wir stehen nicht dazu.
Wir verletzen Andere
– und gehen weiter, als wenn nichts wäre.
Blind wie ein Hengst,
der in sein Verderben in der Schlacht rennt – kehren wir nicht ab
von einem falschen Weg, den wir mal eingeschlagen haben.
Und dann lässt Gott
Gericht geschehen – damals und heute auch.
Immer, wenn Menschen
nicht Buße tun.
Gottes Gericht ist,
wenn Gott seinem Volk den Schutz entzieht.
Damals kamen übermächtige
Feinde, belagerten die Stadt, plünderten das Land und töteten
Viele. Jeder Andere hat geklagt, auch Gott angeklagt.
So wie wir auch
klagen, wenn es uns schlecht geht.
Jeremia hatte den
Mut, einen Zusammenhang zu benennen:
Die Not, die uns
heute trifft, hat einen Grund. Und der ist das Festhalten am
falschen Weg.
Das klang dann so –
unmittelbar vor unseren Worten heute:
Zu
dieser Zeit, spricht der HERR, wird man die Gebeine der Könige von
Juda, die Gebeine seiner Fürsten, die Gebeine der Priester, die
Gebeine der Propheten und die Gebeine der Bürger Jerusalems aus
ihren Gräbern werfen und wird sie hinstreuen der Sonne, dem Mond
und dem ganzen Heer des Himmels, die sie geliebt und denen sie
gedient haben, denen sie nachgelaufen sind, die sie befragt und
angebetet haben. Sie sollen nicht wieder aufgelesen und begraben
werden, sondern Dung auf dem Felde sein. Und alle, die übriggeblieben
sind von diesem bösen Volk, werden an allen Orten, wohin ich sie
verstoße, lieber tot als lebendig sein wollen, spricht der HERR
Zebaoth.
Gottes Gericht
vollzieht sich durch Menschen – indem etwas geschieht, was
Menschen eben tun:
Und das kann durchaus sehr schmerzhaft und schädlich sein.
Christen sind es
hoffentlich gewohnt, Gott täglich zu danken für alle Bewahrung, für
alles Gute, was ihnen widerfährt.
Nur: was tun wir,
wenn es uns mal anders geht? Wenn wir unvermittelt krank werden?
Oder auf einmal eine
ganze Fülle von Sorgen sich auftun?
Oder sonst etwas
geschieht, was uns die Freude am Leben raubt?
Es ist sehr heikel
– und im Grunde kann nur jeder für sich selber einen solchen
Zusammenhang herstellen, wie Jeremia es hier tut:
Euer Ergehen hat
einen klaren Grund: Gott hat seinen schützende Hand zurückgezogen.
Deshalb ist der
Stress bei der Arbeit nicht mehr auszuhalten.
Deshalb häufen sich
die Krankheiten.
Deshalb kriseln oder
zerbrechen Ehen.
Und in einer
Gemeinde: deshalb misslingen Projekte, die alle für wichtig halten.
Deshalb fehlen plötzlich
in Scharen die Mitarbeiter.
Kann es sein, dass
solche Anzeichen auch in unserer Gemeinde zur Umkehr rufen?
Haben wir vielleicht
zu lange an falschen Wegen festgehalten – wie damals Israel.
Die Frage müssen wir
uns stellen – und zwar ehrlich.
Ohne die
beschwichtigende Antwort längst zu kennen glauben.
Umkehr – ist das
entscheidende Wort bei Jeremia.
Umkehr heißt: Neues
denken, alte Standpunkte prüfen und Fehler benenne und lassen.
Die Kreissynode vor
einer Woche hatte vor allem dies Eine zum Thema:
Wie können wir
sparen und noch mehr sparen, damit wir weitermachen können wie
bisher.
Geordneter Rückbau
ist die Devise. Impulse zur Umkehr oder Erneuerung, die in den
vergangenen Jahren kamen, sie werden heute schon wieder als Träumereien
verworfen.
Ganz ähnlich war es
zu hören auf einer Versammlung rheinischer Pfarrer in dieser Woche.
Buße, Umkehr und
Neuanfang – das sind keine Fragen, die ernsthaft bedacht werden.
„Sie
halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren
wollen.“
Das ist das tiefe
Problem: dass Menschen nicht umkehren wollen.
Nicht, dass Fehler
gemacht wurden und heute noch gemacht werden.
Hört Ihr! Fehler
machen ist nicht das Problem.
Menschen fallen hin
– und eigentlich stehen sie wieder auf.
Menschen gehen in die
Irre – und kehren um. So wäre es normal.
Fehler zu machen –
das ist ausdrücklich erlaubt.
An erkannten Fehlern
festzuhalten – dagegen lässt Gott seinen Propheten reden.
Gibt es Dinge, wo wir
wissen, dass wir nicht nach dem Willen Gottes gehandelt haben –
oder entschieden haben? Und wir halten daran fest?
Es
gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab
ich doch getan!
Wenn das so ist, dann
entzieht Gott seinen Schutz.
Vor ein paar Tagen
fragte mich eine Frau aus der Gemeinde, wie ich einen Satz verstünde,
den Martin Luther gesagt haben soll:
„Anfechtungen
sind Umarmungen Gottes“ – ich hab lange darüber
nachgedacht.
Anfechtungen – das
sind im frommen Sprachgebrauch die Dinge, die uns das Glauben schwer
machen. Krankheiten; Misserfolge; oder auch Mutlosigkeit oder
Kleinglaube, der sich wie ein Schleier über meinen Glauben legt.
Der meine Gebete erstickt.
Wie kann das von Gott
sein?
Mir ist dann
eingefallen, was ich immer wieder mit meinen Kindern erlebe:
Wenn Heinke ihren
Bruder Till übel weh getan hat, dann läuft sie meist weg von Papa
oder Mama. Jedenfalls, wenn einer von uns sie darauf anspricht. Das
scheint normal zu sein.
Das lasse ich aber
nicht zu. Ich greif sie mir dann und umarme sie – halte sie
wirklich fest.
Da mag sie noch so
toben, kratzen, um sich schlagen.
Ich umarme sie –
bis sie merket: Sie hat etwas Schlimmes getan. Das wird nicht übergangen.
Aber auch das kann sie merken:
Ich bin bei ihr. ich
will ihr nichts Böses. Ich will, dass sie umkehrt und sich versöhnt.
Irgendwann kommt bei
ihr dann der Punkt, wo sie ehrlich reden kann.
Wo sie zugeben kann,
dass sie was falsch gemacht hat.
Und wo sie dann auch
hingeht und um Verzeihung bittet.
Vielleicht sind
manche Schmerzen, die wir durchleiden, solche Umarmungen Gottes.
Seine harte Therapie,
damit wir die Sünde nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Damit wir umkehren
und uns in seine Arme werfen.
Umkehr von falschen
Wegen – das sollte der Normalfall sein im Volk Gottes.
Wege der Umkehr sind
gesegnete Wege.
Wir ahnen, wie es
sein könnte, wenn wir auf die ersten Sätze hören:
Wo
ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde?
Wo
ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?
Ja, so soll es sein!
Fallen – und wieder aufstehen.
Fehler machen – und
dazu stehen.
Ein Lied erzählt die
Geschichte von einem Mann, der mit seinem Leben unzufrieden ist.
Er versteht nicht,
weshalb er so schwer zu tragen hat.
Er flucht und
schimpft. Und kommt an der Mauer eines Klosters vorbei.
Da drinnen – so träumt
er – da muss es wohl besser sein. Die Mönche scheinen so viel
zufriedener zu sein als ich. Was mag ihr Geheimnis sein?
Dann öffnet sich das
Tor, ein Mönch tritt heraus: Er fragt ihn:
Was ist anders bei
Euch? Wie lebt ihr da drinnen?
Einspielung
des Liedes „Wir fallen hin“ von Cae Gauntt
Wir
fallen hin, stehen auf, fallen hin, stehen auf. Wir fallen hin,
stehen auf,
denn
wir Frommen sind nur Menschen. Die fallen hin, stehen auf.
Amen!
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