Predigt am 1. Juli 2007 über Johannes
8, 3 - 11 -
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es ist die
Mustergeschichte für die kritische Bibelforschung.
Denn niemand kann
sagen, wo genau sie herkam, wer sie als Erster erzählt hat.
Als das Neue
Testament zusammengestellt wurde, da hatten die Abschreiber ihre
Probleme.
Manche setzten sie in
das Lukas – Evangelium – an unterschiedlichen Stellen.
Andere ins Johannes
– Evangelium, aber ganz an den Schluss.
In den meisten
Handschriften findet die Geschichte sich in Johannes Kapitel 8.
Wer Theologie
studiert, der lernt an dieser Geschichte die Grundlagen der sog.
Textkritik.
Offenbar wurde das
Folgende schon sehr früh erzählt – und alle hielten es für echt
Jesus.
Aber: die Geschichte
ist sperrig. Sie passt nicht so ganz in eines der vier Evangelien
hinein.
Eine seltsame
Geschichte jedenfalls: Ich lese:
Aber
einige Schriftgelehrte und Pharisäer brachten eine Frau zu Jesus,
beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und
sprachen zu ihm:
„Meister,
diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose
aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was
sagst du?“
Das
sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten.
Aber
Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Als
sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach
zu ihnen:
„Wer
unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“
Und
er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als
sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten
zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
Jesus
aber richtete sich auf und fragte sie:
„Wo
sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?“
Sie
antwortete:“ Niemand, Herr.“
Und
Jesus sprach:
„So
verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht
mehr.“
Gehört haben wir
vermutlich alle schon einmal davon.
Eine Frau war auf
frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden.
Es hatte eine
Gerichtsverhandlung gegeben. Keine Frage, die Schuld ist klar.
Das Urteil war gefällt:
Tod durch Steinigung.
Die härteste Strafe,
die verhängt werden konnte. Warum so hart?
Weil die Ehe in der
Bibel als ein Abbild des Bundes zwischen Gott und Israel galt, wurde
Ehebruch wie Gotteslästerung und Bruch des Sabbatgebotes angesehen.
Diese Vergehen galten
nicht als Privatsache, sondern berührten das Fundament des
Glaubens.
Deshalb war diese
harte Strafe vorgesehen.
Tod durch öffentliche
Steinigung - zu vollstrecken durch die Zeugen und die Richter.
Aber diesmal
unterbricht etwas die grausame Normalität:
Jesus war in der Nähe
– er lehrte anders über Gott. Und das Volk hörte ihm zu.
Das ärgerte die
Richter. Seine Art der Schriftauslegung passte ihnen nicht.
Zu
lasch! Zu wenig streng. Er sprach von Gottes Liebe zu den
Verlorenen.
Und
zu wenig vom drohenden Gericht.
Ein Softi –
Evangelium? Wo bleibt der Ernst?
Es ist heute nicht
wirklich anders:
Wenn Menschen Jesus für
sich entdecken, dann bewegt sie oft seine bedingungslose Liebe.
Bei
Jesus brauche ich nichts vorzuweisen. Hier darf ich erstmal so sein,
wie ich bin.
Und je länger
Menschen sich dann mit Gott und dem Glauben beschäftigen, desto
strenger werden sie oft. Und dann werden immer häufiger diese Erzählungen
zitiert.
„Jesus
hat doch auch die Händler aus dem Tempel gejagt. Er war doch auch
zornig!
Und
seine Gerichtsreden erst. Wir müssen doch den Ernst des drohenden
Gerichts sagen.“
Die Botschaft der
freien Gnade – wir halten sie auf Dauer kaum aus.
Im Kopf natürlich-
da ist uns das klar. Aber tief im Herzen?
Da haben Viele
Probleme mit Gottes freier Gnade. Recht
muss doch Recht bleiben!
Und
wo Sünde getan wurde, da muss auch das Urteil erlaubt sein!
Jesus erscheint hier
auf geradezu verstörende Weise anders.
Als er gefragt wurde,
antwortet Jesus erstmal gar nicht. Er schweigt.
Dann schreibt er
etwas in den Sand. Uns wird nicht verraten, was es war.
Aber die Geste allein
verrät etwas:
Der Erzähler betont:
Jesus schrieb mit dem Finger;
und: er schrieb auf die Erde,
in den Staub.
Als Gott dem Mose die
Gebote gab, da heißt es genauso: Er
schrieb sie auf - mit dem Finger.
Was immer Jesus in
den Staub schrieb – mit dieser Geste beansprucht er göttliche
Vollmacht!
Vielleicht war es das
erste Gebot.
„Ich
bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der
Knechtschaft, geführt habe.“
Und was passiert:
Die Leute sind
verwirrt. Sie fragen nach: Was
meinst Du? Was soll das?
„Wer
unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“
Und Jesus schreibt
weiter in den Staub. Setzt er die Gebote fort?
Hält er ihnen den
Spiegel vor?
Was treibt uns
eigentlich an, dass wir über Andere richten?
Diese Frage stellt
Jesus. Und sie ist ihm wichtiger als die andere Frage:
Ob das gefällte
Urteil richtig oder falsch ist.
An der Schuld der
Frau wird keinen Moment lang gezweifelt.
Aber das ist nicht
wichtig!
Von einem
chassidischen Rabbi wird folgender Spruch überliefert:
Die
große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden, die er begeht.
Die
Versuchung ist groß und seine Kraft ist klein.
Die
große Schuld des Menschen ist,
dass
er jederzeit umkehren kann und es nicht tut. zitiert
in eg nach 589
Warum urteilen wir über
Andere?
Ist es nicht zutiefst
deshalb: Wir urteilen, weil wir Betroffene sind?
Wir ereifern uns,
weil jemand etwas getan hat, was uns nicht gleichgültig lässt.
Was uns aufregt –
weil wir es allzu gut kennen.
Warum diese Schar von
Männern – versammelt um eine wehrlose Frau –
mit den Felsbrocken
schon in der Faust?
Woher diese
Aggressivität gerade beim Thema Ehebruch?
Waren sie alle auch
Betroffene? Gilt hier besonders der Satz:
Man
regt sich über die Fehler Anderer besonders auf, die man von sich
selber so gut kennt?
Da, wo wir besonders
hart urteilen, zeigen sich oft die Abgründe unserer eigenen Seele.
Wenn uns die
Geschichte heute etwas sagen soll, dann zuerst dies:
Wo sich in Dir ein
Urteil regt, da achte sehr gut auf Dich selber, bevor Du
verurteilst.
Wo einer mit einem
Finger auf einen Anderen zeigt, da weisen drei Fingen auf einen
selbst!
Von Jesus ist keine
tiefenpsychologische Ansprache überliefert, aber dies:
„Sie
gingen alle weg, einer nach dem Anderen, die Ältesten zuerst.“
Man hört buchstäblich
die Steine auf die Erde fallen.
Die Mitläufer –
das werden die meisten sein – machen es den Richtern nach.
Und schließlich
steht die Frau allein vor Jesus.
Was für ein Moment.
Sie hatte den sicheren Tod vor Augen. Gelähmt vor Angst – und
jetzt?
Jetzt entlässt Jesus
sie in die Freiheit.
„So
verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht
mehr.“
Wie hören wir das?
Spätestens jetzt
entdecke ich, wie schnell ich auch zu den selbst ernannten Richtern
gehöre.
Immerhin – Jesus
sagt nicht: „War nicht so
schlimm!“ Die Sünde bleibt Sünde.
Und ich merke, dass
ich erleichtert bin.
Weil ich es nicht gut
aushalten würde, wenn Jesus ihre Tat nicht als Sünde bezeichnet hätte.
Gut, auf die
Vollstreckung des Urteils mag ich verzichten, aber das Urteil muss
bleiben.
In meinem Herzen
bleibe ich der Richter.
Und damit nicht annähernd
vom Geist Jesu erfüllt und bewegt.
Was unterscheidet
Jesus von meiner inneren Haltung?
Jesus denkt immer von
der Zukunft her –
während wir uns von
dem Gewesenen bestimmen lassen.
Da war Schuld –
also muss dem auch Strafe folgen. Wenn auch nur in meinem Herzen.
- Wie viele gefällte
Urteile über Andere, über uns selbst - tragen wir in unserem
Herzen mit uns herum?
- Und wie sehr lassen
wir uns in unserem Tun davon bestimmen?
Es ist die zweite
Erkenntnis, die wir heute gewinnen könnten:
Wer von Jesus lernt,
der beginnt, von der Zukunft her zu denken.
Der fragt in der
Begegnung mit Anderen nicht zuerst: Was hat diesen Menschen geprägt?
Sondern: Was hat Gott
mit diesem Menschen noch vor? Was hat Er in ihn hineingelegt?
Wo liegt sein
Potenzial.
Wer so fragt, der überlässt
das Urteilen dem einen Richter, Gott.
Und der eröffnet
hier Wege in die Zukunft.
Vom Tisch des Herrn
gehen wir alle mit der Aufforderung Jesu weg:
„Ich
verdamme dich nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“
Amen!
Björn Heymer
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