Predigt am 18. Februar 2007 über Lukas
18, 31 - 43 -
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durch die Stadt ziehen die
Karnevalszüge –
und passend dazu hören wir
auf zwei Geschichten am Wegesrand:
In Beiden geht es um
Blindheit und geöffnete Augen.
Das Erste ist ein „unter
26 Augen Gespräch“ von Jesus mit seinen Jüngern.
Er will sie vorbereiten auf
seinen Weg „hinauf nach Jerusalem“
ans Kreuz.
Es ist ein theologisches
Lehrgespräch –
über den Retter, den Gott
gesandt hat und sein Schicksal. Ich lese aus Lukas 18:
Jesus
nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen:
„Seht,
wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden,
was
geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
Er
wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und
misshandelt und angespien werden, und die Heiden werden ihn geißeln und töten;
und
am dritten Tage wird er auferstehen.“
Sie
aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen,
und
sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
Wir hören hier hinein in
eine Lektion Bibelauslegung durch Jesus.
Seine spezielle Deutung der
Propheten. Und die klang absolut ungeheuerlich – wenn man nicht den
Schluss schon kennt. Man fragt sich: Woher
hatte Jesus das? Woher nimmt er die Kühnheit, ganz verstreute Themen aus
verschiedenen Propheten so zusammen zu sehen?
Aus der Fülle
prophetischer Bücher, mit denen ein Rabbi sich damals beschäftigte, hat
Jesus drei Aussagen ganz gezielt zusammengestellt – und dabei viel
Anderes weggelassen.
Zuerst der Menschensohn – das ist eine Gestalt aus einer Vision im Buch
Daniel.
Daniel sah einen, der vor
den Thron Gottes gebracht wurde.
Dort bekam dieser „wie
ein Menschensohn“ Macht übertragen über Völker und Königreiche.
Sehr kühn von Jesus, wenn
er von sich sagt:
„Wer
mich verstehen will, der muss wissen: Ich bin dieser von Gott Bevollmächtigte.“
Das wussten seine Jünger
schon.
Die Selbstbezeichnung „Menschensohn“
hatte Jesus schon früher gewählt.
Dann beschreibt Jesus
etwas, was gar nicht im Zusammenhang des Menschensohnes bei Daniel zu
finden ist. Dass der Menschensohn missverstanden wird, dass man ihn
verspotten, quälen und schließlich töten wird – all das hat kein
Schriftgelehrter vor Jesus erwartet.
Der Menschensohn – das
war die mächtige Rettergestalt für Israel.
Aber nicht einer, der
scheitert.
Der Weg ins Leiden, das
Nicht verstanden und gehört werden,
das war das typische
Schicksal der Propheten.
Der Menschen, die Gott
beauftragt hat und die an diesem Auftrag zu leiden hatten.
Der Menschensohn aber würde
doch nicht ein Prophet sein.
Schon verständlich, dass
die Jünger nicht hinterher kamen bei dem, wovon Jesus redete.
Und dann fügt Jesus in
dieses neue Bild vom Retter noch ein Thema ein.
Die rätselhafte Ankündigung:
am dritten Tag wird er auferstehen.
Woher hatte Jesus das nur
wieder? Weder in Daniel 7, noch in Jesaja 53, wo vom Leiden des
Gottesknechts geredet wird, ist kein Wort von Auferweckung zu finden.
Höchstens ganz verschlüsselt
eine Andeutung in Jesaja 53:
Am
Ende wird er das Licht schauen und die Fülle haben – nach seinem Tod.
Das ja.
Aber kein Wort von
Auferweckung.
Geschweige denn von dieser
präzisen Angabe „am dritten Tag“.
Bei Hosea gibt es einen
Hinweis. Hosea sagt einmal allgemein:
„Gott
macht lebendig nach zwei Tagen.“
Aber da ist nichts vom
Menschensohn oder vom leidenden Gottesknecht gesagt.
Der Zusammenhang gibt es
einfach nicht her, das auf den Menschensohn zu beziehen.
Jesus hat die Hoffnung der
Auferweckung eher aus dem Buch Jona geschöpft.
Einmal hatte er erklärt:
„Diesem
Geschlecht wird kein Zeichen gegeben – außer dem Zeichen des Jona.“
Jona war auf hoher See ins
Meer geworfen worden – für die Menschen der Antike ohne wenn und aber
der Todesrachen. Dann der große Fisch, der ihn verschluckte – und ans
rettende Ufer brachte. Jona bekam sein Leben noch einmal neu geschenkt -
nach drei Tagen!
Aus dieser Geschichte hat
Jesus den Mut geschöpft, seinen Weg zu gehen.
Weil Jona sein Leben noch
einmal neu bekam, sagte Jesus Ja zu seinem Weg.
Also, mich wundert nicht,
dass die Jünger mit völligem Unverständnis reagierten.
Heute sind wir da einfach
etwas weiter.
Wir kennen die
Passionsgeschichte – mit den Tiefen und mit dem Ausgang des leeren
Grabes.
Nur: Was sagt uns diese
Notiz von der Jüngerunterweisung heute noch?
Ich höre da vor allem zwei
Fragen an mich:
1.
Wie gehe ich mit Aussagen in der Bibel um, die ich heute nicht verstehe?
Und 2.
dies: Bin ich – wie Jesus - bereit, für die Wahrheit zu leiden?
Welche Hoffnung trägt
mich?
Die Jünger waren offenbar
blind für ein vertieftes Verständnis der Wege Gottes.
Trotzdem haben sie ihren
Weg mit Jesus nicht in Frage gestellt. Sie sind bei Jesus geblieben.
Es gibt bei Johannes eine
Notiz, dass dies alles andere als selbstverständlich war.
Da sagt Thomas, als Jesus
den Entschluss fasst, nun doch nach Jerusalem zu gehen:
„Na
gut, dann lasst uns mit ihm gehen und mit ihm dort sterben.“
Ganz so kam es dann nicht,
aber die reale Bedrohung bestand.
Darin sind die Jünger mir
eine bleibende Herausforderung:
Sie haben an ihrer Berufung
festgehalten – auch, als es anstrengend und gefährlich wurde.
Treue ist einer der Namen
Gottes. Auch und gerade in Durststrecken des Glaubens.
Jesus hat den Weg ins
Leiden nicht gescheut. – Das ist Fakt.
Dennoch vermeiden wir oft
peinlich alles, was uns irgendwie Nachteile einbringen könnte.
- Wir schweigen, wenn der
Glaube lächerlich gemacht wird.
- Wir tarnen uns durch
angepasstes Verhalten, durch angepasste Kleidung und Meinungen.
- Wir vermeiden die
Begegnung mit Menschen, die anders sind, die nicht anerkannt sind.
All das haben die Jünger
Jesu auch getan – und es war und ist doch falsch.
Es entspringt nicht dem
Geist Jesu – sondern dem Geist dieser Welt.
Kommt
mit, wir gehen hinauf nach Jerusalem – lädt Jesus uns heute ein.
Wahrlich kein Spaziergang,
sondern die Zumutung, im Leiden an der Seite Jesu zu bleiben.
Und dann – auf diesem Weg
nach Jerusalem – passiert etwas Erstaunliches.
Ich lese weiter aus Lukas
18:
Es
begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am
Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging,
forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth
gehe vorbei.
Und
er rief: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Die
aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen.
Er
aber schrie noch viel mehr: „Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Jesus
aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam,
fragte er ihn: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“
Er
sprach: „Herr, dass ich sehen kann.“
Und
Jesus sprach zu ihm: „Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.“
Und
sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott.
Und
alles Volk, das es sah, lobte Gott.
Die Geschichte kennen wir
wohl alle! Markus nennt den Namen dieses Geheilten:
Bartimäus! Der so laut
gerufen hat. Der Ruf – das ist das Besondere an gerade dieser Heilung.
Übrigens stimmen wir in
jedem Gottesdienst in genau diesen Ruf des Bartimäus ein:
Jesus,
du Sohn Davids, erbarme Dich meiner! Erbarme Dich! Eleison!
Aus dieser Erzählung hat
die Kirche seit ganz früher Zeit in jedem Gottesdienst zitiert.
Weil die Menschen gewusst
haben: Wir brauchen es, dass uns die Augen aufgehen.
Für die geistliche
Wirklichkeit um uns herum sind wir nämlich blind.
Und wir sind Bettler –
wenn wir unser Vermögen nach der Währung berechnen, die im Himmel zählt.
Blinde Bettler.
Aber hoffentlich erfüllt
von der Gewissheit: Jesus könnte uns da helfen.
Darum sind wir gekommen.
Weil in Gottesdiensten aus Blinden Sehende werden.
Seltsam: auch bei Bartimäus
gab es rund um Jesus offenbar Menschen, die Andere von Jesus wegdrängen
wollen. Was ist das nur? Jesus musste sich immer wieder dagegen
durchsetzten:
Als Eltern kleine Kinder zu
ihm brachten – als eine große Sünderin zu ihm wollte – hier nun ein
Bettler am Straßenrand.
Immer wieder sind da
Fromme, die sich zwischen Jesus und die Hilfesuchenden stellen.
Die Jesus für sich haben
wollen und Andere wegdrängen.
Hier stoßen
unterschiedliche Bewertungen von Menschen aufeinander.
Wir Menschen wägen
offenbar unwillkürlich ab: nützt mir dieser Andere oder nicht?
Und wenn nicht, dann denken
wir:
Der
ist nicht nur für mich nicht wertvoll – so ein Mensch stört überhaupt
– er hat eigentlich gar kein Recht, da zu sein. Zumindest nicht in
meiner Nähe, nicht hier, in unserer Gemeinde.
Bartimäus war arm – wer
ihn in seiner Nähe duldete, der musste früher oder später etwas tun.
Andere sind einsam – wenn
wir uns nicht abgrenzen, müssen wir vielleicht Zeit opfern.
Es gibt Menschen, die haben
einen schlechten Ruf. Wenn wir uns mit denen einlassen, dann fangen die
Leute an, schlecht über uns zu denken.
Aber genau das wollen wir
vermeiden oder?
Jesus hatte solche Bedenken
nicht.
Das immerhin ist ein Anstoß,
den wir auch im Karneval entdecken können:
Man wird hinein genommen.
Ohne Vorurteil und Ausgrenzung.
Alle tragen eine Maske –
und werden so angenommen, wie sie sind.
Bartimäus hat seine Hilfe
von Jesus erwartet – und er hat bekommen, was er gesucht hat.
Deshalb reiht er sich ein
in den Zug der Jünger – hinauf nach Jerusalem.
Erst jubelnd, dann sicher
auch sehr still. Seine Freude hatte einen echten Grund:
Die heilsame Begegnung mit
Jesus. Das ist besser als Karneval.
Amen!
Björn Heymer
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