Predigt am 21. Januar 2007 über
Römer 12, 1 - 8
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was ist ein Gottesdienst?
Eine Veranstaltung am Sonntag Morgen – in der Kirche – oder?
Manch einer wird vielleicht
ergänzen:
Gottesdienst?
Das ist: Wir dienen Gott, indem wir ihm zur Ehre singen und beten.
Nein,
sagen Andere – Gottesdienst –
das heißt: Gott dient uns! Er spricht zu uns.
Er
tröstet uns. Er macht uns wieder Mut für die kommende Woche.
Dass wir Gottesdienst
feiern dürfen, das ist ein großes Vorrecht. Eine wunderbare Sache.
Auf jeden Fall sind Ort und
Zeit ziemlich klar, oder?
Gottesdienste zu feiern ist
nichts besonderes, nichts, was nur Christen täten.
Die Feier des
Gottesdienstes gehört in jede Religion. Und seit jeher war und ist bis
heute klar:
Man geht dazu an einen
heiligen Ort. Meist zu festen Zeiten.
Denn Gottesdienst feiert
man in einer Gemeinschaft – und oft wird ein Opfer dargebracht.
Wir ganz anders klingt das,
was Paulus an die Christen in Rom schrieb!
Was wir da eben von ihm gehört
haben, das entsprach - und entspricht bis heute - überhaupt nicht dem
allgemeinen Verständnis von Gottesdienst.
Paulus sagt: Euer Gottesdienst soll anders
sein als Heiden ihn feiern:
Nicht
an einem heiligen Ort!
Nicht
zu festgelegten Zeiten!
Nicht
mit Opfern, die ihr eurem Gott darbringt.
All
das liegt hinter Euch. Denn So feiern die, die von Gott etwas
Entscheidendes nicht wissen.
Die Heiden feiern ihre
Gottesdienste aus einem Grund:
Im Tiefsten haben Menschen
Angst vor den Gottheiten –
und suchen Wege, diese
unbekannte Macht günstig zu stimmen, sie zu besänftigen.
Deshalb bringen sie Opfer.
Das lassen sie sich viel kosten – an Geld, an Arbeit, an Zeit.
Wer
noch so denkt, - meint Paulus - der
hat nicht begriffen, was in Christus geschehen ist!
Seit Jesus gibt es eine
ungeheuer befreiende Wahrheit über Gott:
Niemand braucht sich noch
irgendwas zu erarbeiten oder bei Gott abzutrotzen!
Gott hat die Rechnung, die
zwischen Ihm und uns offen war, längst bezahlt.
Deshalb kann ein
christlicher Gottesdienst nie eine Leistung sein, mit der wir punkten könnten.
Nie etwas, womit wir Gott einen Gefallen tun würden.
Wie dann? Was wäre ein
Gottesdienst im Sinne Jesu:
Hingabe!
Ganze Hingabe des Lebens in einen Dienst.
Davon spricht Paulus:
Ich
ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr
eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig
ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser
Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr
prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige
und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem
unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu
halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das
Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
Hingabe an einen Dienst in
der Gemeinde – das ist Gottesdienst, wie Paulus ihn versteht.
Modern übersetzt bedeutet
das: Jeder Christ ein Mitarbeiter.
Früher oder später stellt
sich für jeden in der Gemeinde die Frage:
Was ist meine Aufgabe hier
in der Gemeinde? Wo ist der Bereich, wo ich mich engagiere?
Wie trage ich dazu bei,
dass die Botschaft des Evangeliums Menschen erreicht?
In der Gemeinde Jesu sind
die Zuschauerränge meistens nur dünn besetzt.
Vor zwei Tagen habe ich
eine schockierende Geschichte aus Amerika gelesen:
Sie hätte wohl ebenso in
Bremen oder Köln passieren können:
1964 in einem Stadtteil von
New York:
in Queens wird eine junge
Frau namens Kitty Genovese auf
offener Straße erstochen.
Dreißig Minuten lang wurde
sie von einem Angreifer gejagt und dreimal attackiert.
Achtunddreißig Nachbarn
sahen aus den umliegenden Fenstern zu. Niemand eilte zu Hilfe. Niemand
rettete sie. Niemand rief die Polizei. Sie sahen einfach zu.
Schrecklich! Warum hat
niemand eingegriffen?
Diese Frage stellt sich in
unserer Gesellschaft immer öfter:
Woran liegt es, dass immer
wieder erschütternde Dinge passieren –
und viele schauen zu und
greifen nicht ein.
Psychologen haben dieses Phänomen
genau untersucht. Sie haben gefragt:
Weshalb greifen Menschen in
Notsituationen ein? Wann tun sie das, und wann nicht?
Sie haben Situationen
nachgestellt und beobachtet, wie die Leute reagieren.
Ein Ergebnis: Es war nicht
entscheidend, wie ernst die Situation war oder wie laut einer um Hilfe
schrie. Auch der Charakter der Zuschauer, ihre Bildung oder soziale
Herkunft spielten kaum eine Rolle. Entscheidend war, wie viele Zeugen es
bei einem Ereignis gab.
Je mehr Leute zugegen
waren, desto weniger griffen ein, um zu helfen.
Wenn einer allein stand,
griff er /sie deutlich eher ein – als aus einer Gruppe heraus.
Woran das liegt? Wir sind
seit Jahren daran gewöhnt, Zuschauer zu sein. Wir bekommen täglich
Katastrophen ohne Ende vorgeführt, sitzen in unseren Sesseln – und tun
nichts.
Stürme, Überschwemmungen,
Brände, Selbstmorde, Gewaltverbrechen, Hunger – eine Welt zu angucken.
Wir lassen uns unterhalten – oder auch schockieren.
Nur eins tun wir nicht: Wir
können nicht eingreifen – also lassen wir es.
Und dieses täglich geübte
Verhalten wenden wir dann auch im wirklichen Leben an.
Mit dem Ergebnis: wir
bleiben Zuschauer. Wir lassen uns nicht selber ein.
Und zwar umso eher, je mehr
wir Teil einer Gruppe sind.
Gilt das auch in der
Gemeinde?
Bleiben wir da auch die
wohlmeinenden oder kritischen Zuschauer?
Gerade, wenn Andere auch da
sind. Von denen wir schnell denken: Wahrscheinlich ist jetzt jemand
Anderes gemeint – aber doch nicht gerade ich!
Paulus hat Gemeinde total
anders gesehen – bei ihm gab es keine Zuschauer!
Denn
wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder
dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber
untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben
nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben,
so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene
er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben,
so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der
Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue
er's gern.
Gemeinde, das ist eine
Gruppe von Menschen, die etwas verbindet:
Sie wissen sich verbunden
darin, dass Jesus ihnen das Leben neu geschenkt hat.
Da gibt es sehr
unterschiedliche Menschen – mit unterschiedlichen Gaben.
Manche können gut reden
– Ding erklären und die Wahrheit überzeugend vermitteln.
Andere kriegen kaum den
Mund auf – aber sind ein Ausbund an Zuverlässigkeit, wenn es um
praktische Dinge geht.
Wieder Andere haben Zeit
und können gut zuhören – und sich die Dinge merken, die ihnen
anvertraut werden. Sie vermögen es, Menschen zu trösten.
Es gibt die Managertypen.
Denen fällt es leicht, eine Sache anzustreben und ein Ziel auch zu
erreichen. Manche sprudeln nur so vor Ideen, die Andere mitreißen.
Auch Freigiebigkeit ist
eine Gabe, oder Gastfreundlichkeit. Und, und, und.
Es gibt eine Fülle von
Begabungen!
Eine nennt Paulus hier –
die ist nicht gerade beliebt: Die Gabe der Ermahnung.
Das ist die Fähigkeit, zu
erkennen, wo jemand sich falsch verhält – und das mutig und liebevoll
anzusprechen.
Im Griechischen hat dieses
Wort nicht so sehr den negativen Klang wie in unserer Sprache.
Da geht es um Herausrufen.
Gemeint ist: man erkennt: einer hat sich verrannt.
Sein Leben steckt in einer
Sackgasse. Er schadet sich oder Anderen. Und Ermahnung ist:
Jemanden da raus zu rufen.
Paulus tut das mit den Christen in Rom.
So beginnt er: Ihr lieben Brüder, ich ermahne Euch! In Eurem Leben ist was falsch!
Es fehlt Euch an Hingabe.
Die Gabe der Ermahnung will
keiner haben –
denn man braucht eine Menge
Mut, so was zu tun.
Paulus zählt hier Gaben
auf, mit denen die Gemeinde entwicklungsfähig ist.
Wo sie noch nicht da ist,
wo sie von Gott her sein könnte.
Ist das ein Ruf an uns?
Wir erleben, dass Viele in
der Gemeinde gerne dabei sind – sich auch hier und da engagieren.
Und gleichzeitig bei Vielem
zuschauen, wie Andere es machen.
Gerade bei
Leitungsverantwortung ist es immer schwerer, Menschen zu finden, die es
machen wollen. Unsere Gottesdienste sind noch sehr stark Zuschauerlastig.
Und das hat eine ganz
fatale Folge:
Zuschauer werden mehr und
mehr unbarmherzig – weil sie ja nie einen Fehler machen.
Ich muss an die
Spruchweisheit denen, die in vielen Büros hängt:
Wer viel Arbeitet, macht
viele Fahler. Wer wenig arbeitet, macht wenig Fehler.
Und wer wenig Fehler macht,
der wird befördert.
Klar, dass dieser Spruch
nicht wahr ist. Trotzdem: wir scheuen das Fehlermachen, oder?
Dabei sagen Andere: Wer nie
Fehler macht, der arbeitet unterhalb seiner Möglichkeiten.
Vielleicht sollten wir ganz
anders über Fehler denken:
Vielleicht sollten wir
Fehler freudig begrüßen – sind sie doch oft ein Zeichen vollen
Einsatzes.
Oder sogar Zeichen, dass
einer mehr leistet, als gut für ihn ist. Dann müssten wir Fehler noch
anders sehen: nämlich als Signal, dass einer Hilfe oder Entlastung
braucht.
Nur wer sich engagiert,
gibt Gott die Chance, Erfahrungen zu machen.
Der erlebt hautnah, wie der
Heilige Geist eingreift.
Für Zuschauer bleibt das
eher rätselhaft.
Darum ermahnt Paulus seine
Leser: Kommt raus aus der Zuschauerrolle!
Lasst
Euch ein. Übernehmt Aufgaben in der Gemeinde – Euren Gaben gemäß.
Eine Möglichkeit dazu
haben sich Einige ausgedacht.
Nachher am Ausgang wird ein
Projekt vorgestellt, wo viele mitmachen können und sollen.
Das Projekt Geldvermehrung.
Die Idee ist: wer mitmacht,
bekommt eine Summe Geldes anvertraut und kann versuchen, dieses Geld zu
vermehren.
Um am Ende einen höheren
Betrag wieder der Projektleitung zurückzubringen. Wie?
Indem er mit diesem Geld
genau das tut, was er besonders gut kann – und was Geld einbringt.
Das biblische Vorbild hat
Jesus erzählt – wir haben es vorhin gehört.
Dahinter steht das, wozu
Paulus uns freundlich ermahnt:
Bringt Eure Gaben ein zum
Wohl der Gemeinde.
Damit die Weitergabe des
Evangeliums gefördert wird.
Inge Herrig und Susanne
Gries werden gerne die Einzelheiten beim Kirchenkaffee erklären.
Manche Ideen sind schon da
– Andere werden sicher noch kommen.
Entscheidend wird gar nicht
so sehr das Ergebnis sein – sondern die Erfahrung:
Wir wagen gemeinsam etwas
– für eine gute Sache.
Und wer weiß? Vielleicht
erleben wir unterwegs eine ganz neue Form der Gottesbegegnung.
Amen.
Björn Heymer
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