Ihr Lieben,
Jahr für Jahr feiern wir das Pfingstfest und es kommt mir vor
wie auf der Gänsefarm, von der der dänische Philosoph Sören
Kirkegaard in einem Gleichnis erzählt.
Einmal in der Woche kamen da die Gänse am Morgen zusammen. Ein
älterer Gänserich, der redegewandt war, stieg auf einen Zaun
und schnatterte zu den Gänsen.
In den höchsten Tönen schwärmte er von den Taten der
Vorfahren, die einst zu fliegen wagten. Er lobte den Schöpfer,
der ihnen Flügel gab. Und er erinnerte sie daran, dass Gänse
dazu berufen seien, ihre Flügel auszubreiten, sich in die Lüfte
zu erheben und über den Weiten des Landes zu schweben.
Wenn er von fernen Ländern und großen Heldentaten der Altvorderen
berichtete, waren die Gänse zu Tränen gerührt. Und er
schärfte ihnen ein, was ihre Berufung sei:
Es den Vorfahren gleichzutun, selber die Schwingen auszubreiten, sich
zu erheben und den Luftzug des Windes um sich zu spüren. Am Ende
gab es rauschenden Applaus -
Und alle gingen wieder zurück in ihren Stall. Nur eines taten sie
nie:
Sie begannen nicht, selber zu fliegen. Sie gehen zu ihrem Mittagsmahl.
Denn das Korn ist gut und der Hof ist sicher.
Wir hören Jahr für Jahr von der verändernden Kraft des
Geistes Gottes. Wir singen:
Komm, Heiliger Geist, setz unsre Herzen in Brand!
Und dann? - gehen wir zurück in unsere Lebensräume - und alles
bleibt, wie es war.
Vielleicht ist die Sehnsucht neu wach geworden - dieses manchmal schmerzhafte
Gefühl.
Es könnte doch Vieles ganz anders sein im Leben.
Und dann setzt sich die Schwerkraft doch wieder durch:
Eine unerklärliche Müdigkeit, lange bevor wir überhaupt
begonnen haben!
Bedenken stiegen in uns hoch, dass wir uns übernehmen oder blamieren
könnten.
Und so leben wir, als wenn es den Geist Gottes nicht gäbe.
Könnte es sein, dass es in diesem Jahr 2005 hier in der Philippus-Kirche
anders ist?
Könnte es sein, dass heute Morgen etwas Bedeutendes geschieht?
Damals, als Petrus und die Anderen von ganz ähnlicher Schwere in
den Gliedern und im Gemüt erfüllt waren, da entstand ganz
unerwartet ein großes Rauschen, und der Glanz der Herrlichkeit
Gottes leuchtete sichtbar auf. Lukas berichtet:
Sie alle trafen sich regelmäßig an einem Ort, um gemeinsam
zu beten. (
) Plötzlich kam vom Himmel her ein Brausen wie
von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem
sie sich versammelt hatten. Zugleich sahen sie etwas wie ein züngelndes
Feuer, das sich auf jedem Einzelnen von ihnen niederließ. So wurden
sie alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und redeten in fremden
Sprachen - jeder so, wie der Geist es ihnen eingab.
In diesem Moment wurde klar:
Jetzt lässt Gott nichts mehr, wie es war.
Er hat diese Leute ergriffen - und alle Sprachlosigkeit fiel von ihnen
ab.
Alle Menschenscheu und alle Bedenken.
Pfingsten ist seither das große Fest der Ermutigung.
Nun können wir Ermutigung nicht selber machen.
Genauso wenig wie die Gänse auf der Farm des Kirkegaard fliegen
konnten:
Kein noch so redegewandter Gänserich hat die Macht, aus Hofgänsen
Wildgänse zu machen.
Wie gut, dass wir keine Gänse sind!
Das ist die eine Wahrheit, die aus der Pfingstgeschichte leuchtet:
Menschen kann und will der Geist Gottes verwandeln.
Er hat es damals getan - und er tut es seither immer wieder.
Ihr, die Eltern und Paten von Nele habt einen Taufspruch ausgesucht,
der in der Pfingstgeschichte auftaucht. Petrus war ja aufgetreten und
hat die erste christliche Predigt gehalten. Draußen, auf der Straße.
Er hat darin einen Psalm zitiert - den 16. Psalm.
In diesem Psalm redet einer - 500 Jahre vor Ostern - von der Macht Gottes
über den Tod.
Und darin heißt es auch:
Du zeigst mir den Weg, der zum Leben führt.
Du beschenkst mich mit Freude, denn du bist bei mir.
Gott zeigt den Weg, der zum Leben führt! Da geht es nicht um Lebenskunst,
um erfülltes Leben hier. Es geht um die Ewigkeit. Kurz vorher heißt
es:
"Du wirst mich nicht dem Tod und der Verwesung überlassen"
Ganz eindeutig: es geht um Leben, das auch jenseits des Todes weitergeht.
Gott zeigt den Weg auf, der zu diesem Leben führt.
Dieser Weg hat einen Namen. Und auf diesen Namen taufen wir gleich die
Nele:
Es ist Jesus, der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Wer das sagen kann: Du, Gott, du zeigst mir den Weg, der zum Leben
führt.
Den hat der Geist von Pfingsten ergriffen.
Taufe - und die Erfahrung mit diesem Geist, der in uns den Glauben weckt
- das gehörte in der alten Kirche unlösbar zusammen.
Und am Ende des Pfingsttages wird ja auch von einem großen Taufgottesdienst
berichtet.
Da haben Viele neu in dieses Bekenntnis eingestimmt:
Du, Gott, du zeigst mir den Weg, der zum Leben führt.
Du beschenkst mich mit Freude, denn du bist bei mir.
Mit diesem Taufspruch wünscht ihr der kleinen Nele das Beste, was
einem Menschen passieren kann: dass sie - um das Gleichnis von den Gänsen
aufzunehmen - zu einer Wildgans wird: zu einem Menschen, der seine Berufung
erkennt und annimmt:
Seine Flügel auszubreiten und sich tragen zu lassen vom Wind.
Um Länder, ja Welten zu entdecken, jenseits von Zaun und Futtertrog.
Der Wind - das ist ein anderes Bild für den Geist Gottes.
Und wie der Wind die Gänse tragen kann, so setzt der Geist Gottes
uns in Bewegung,
schenkt uns ganz neue Einsichten und bringt uns an Orte, die wir allein
nie erreicht hätten. Mit dem einen Ziel: schließlich in der
Gegenwart Gottes zu leben.
Schon bis dahin wird es ein spannendes Leben sein.
Wer es einmal erlebt hat, daß etwas gelingt, was man sich selber
vorher nicht hat vorstellen können, der ahnt, um was es geht.
Zu erleben, das die eigenen Grenzen noch lange nicht Gottes Grenzen
sind - das weckt eine Freude in uns, die wir nicht machen können.
Wieder - wir können das alles nicht produzieren, wovon die Bibel
hier spricht.
Wir können es entdecken und das Staunen neu lernen.
Petrus und die Anderen haben eins getan, um Raum für den Geist
Gottes zu schaffen:
Sie trafen sich regelmäßig, um gemeinsam zu beten.
Es klingt so einfach und ist doch entscheidend, ob Pfingsten für
einen weiterhin unbegreiflich bliebt - oder zur Leben verändernden
Erfahrung wird:
Lasst uns mit Anderen zusammenkommen und beten.
Amen!
Björn Heymer
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