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Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Markus 13, 31 Ev. Philippusgemeinde Köln Raderthal Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Markus 13, 31
Predigt zu Lukas 15, 17 - 21, 21. Sonntag nach Trinitatis (Reformationstag) 2004-- Drucken

Ihr Lieben,

heute beginne ich mit dem Bild, dass Sie alle vor Augen haben:
hier vor mir auf dem grünen Teppich: Hundert weiße Felder, wohl geordnet.
Nur eins fällt aus dem Rahmen - scheint auf Abwegen geraten zu sein.
Sehr einfach ist hier die Geschichte dargestellt, die wir eben gehört haben.
Jesus hat sie erzählt ein Hirte, der einem verlorenen Schaf nachgeht:
Hundert Schafe hat er in seinem Stall - und merkt auf einmal: eins fehlt ihm.
Wie er das merkt, ist mir schleierhaft. Ich habe noch nie einen Hirten erlebt, der seine Schafe gezählt hätte. Ich würde da sicher auch durcheinander kommen bei so viel Wolle.
Aber er merkt´s. Vielleicht stellt er eine Unruhe in der Herde fest, eine Traurigkeit bei seinen Schafen, die ihn auf die Spur bringt.
Und dann zieht er los, lässt die 99 zurück - nicht etwa im sicheren Stall, nein, in der Wüste überlässt er sie sich selbst. Bis er das Eine gefunden hat.
Jesus geht es nicht um Hirten und Schafe. Die Geschichte ist ein Gleichnis.
Und zwar eins, mit dem er mitten in einem Streit versucht, seine Gegner zu überzeugen.
Er will mit dieser Geschichte deutlich machen, warum er etwas tut, was die Frommen seiner Zeit überhaupt nicht verstehen, ja, worüber sie sich geärgert hatten: "Dieser Jesus nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Wie kann er dann noch fromm daherreden? Mit Leuten, die Gottes Gebote verletzt haben, mit denen haben wir doch nichts zu tun! Geschweige denn, dass wir Tischgemeinschaft mit ihnen hätten."
Und Jesus sagt:
Bei jedem Hirten wäre es doch klar, dass er sich Gedanken macht um die Schafe, die verloren gehen. Gott empfindet auch so wie ein Hirte.
Er leidet an jedem Menschen, der von seiner Liebe nicht erreicht wird.
Warum nur seid ihr so gleichgültig? Warum ist es Euch wichtiger, eure eigene Frömmigkeit zu pflegen - als Leuten nachzugehen, die Gott verloren haben?

Drei Dinge werden am Gleichnis des suchenden Hirten deutlich:
1. Sie gehören auch dazu!
Das steckte hinter dem Protest der Frommen: sind diese notorisch Gottlosen es überhaupt wert? Und klar - die Frage ist eigentlich keine Frage. Sie sind es nicht wert.
Nicht wert, damit ihre Zeit zu verschwenden. Nicht wert, ihnen Gastfreundschaft zu gewähren oder gar sie an den eigenen Tisch zu lassen. Oder ins Gemeindehaus oder in die Kirche.
Sind wir schon zu oft enttäuscht worden, wenn wir es mal gewagt haben, jemandem Freundlichkeit zu erweisen, der nicht einer von uns ist?
Oder ist es doch eher unsere Bequemlichkeit, die uns die Türen verschließen lässt?
Denn - daran erinnert Jesus uns heute zuerst mal:
Zöllner und andere Sünder sind immer nur zur Hälfte Verlorene. Ein verlorenes Schaf mag sich noch so weit entfernt haben von der Herde, es bleibt im Besitz des Hirten. Auch wenn es ihn schon lange nicht mehr nachfolgt, gehört es dazu, bleibt sein Eigentum.
Auch ein Mensch, der sich nie um Gott oder seine Gebote gekümmert hat - bleibt Sein Geschöpf. Bleibt ein von Gott geliebter Mensch.
Kein Getaufter verliert die Taufe. Und wenn er sich noch so daneben benimmt.
Wir tun immer so, als wenn die nicht Frommen nicht zu uns gehören - und das ist nur die halbe Wahrheit! In Gottes Augen hat jeder Einzelne von ihnen einen fest reservierten Platz hier in der Gemeinde.
In der volkskirchlichen Struktur, in der wir leben, haben wir das ja besonders anschaulich:
Die Philippus-Gemeinde hat 1900 Mitglieder. 1900 Menschen, die dazugehören.
Ohne Einschränkung. Wenn wir so tun, als wenn nur die zu uns gehören, die auch kommen, dann hätte die Philippus-Gemeinde faktisch kaum mehr als 150 Mitglieder.
Mit weitem Herzen gezählt vielleicht 250. Aber dann endet es.
1650 Menschen, getauft und evangelisch wohnen in Fußwegentfernung von uns.
Aus Gottes Blickwinkel haben sie alle einen festen Platz hier in der Philippus-Gemeinde, ob sie ihn einnehmen oder nicht. Rührt uns das irgendwie an?
Seit dem vergangenen Jahr machen wir Besuchsaktionen, bei denen wir in einzelnen Straßenzügen einmal alle evangelischen Haushalte besuchen. Die Verteiler des Gemeindebriefes tun das viermal im Jahr. Das sind erste Schritte dahin, um wahrzunehmen, wer gemeint ist mit dem einen verlorenen Schaf aus der Geschichte.
2. Die Verlorenen brauchen besondere Zuwendung und liebevolle Mühe
Das ist das zweite, was an diesem Gleichnis deutlich wird.
Der Hirte wäre kein guter Hirte, wenn er sich auf den Standpunkt stellte:
Die Schafe wissen ja, wo der Stall ist - die Tür ist auch offen - wenigstens am Sonntagmorgen für zwei Stunden. Sollen sie doch kommen.
Der Hirte lässt die 99 allein zurück. Und zwar noch nicht mal im sicheren Stall - in der Wüste lässt er sie stehen. Das eine Schaf ist ihm so wichtig, dass er alle Mühe darauf verwendet, es zurückzuholen. Diese radikale Einseitigkeit ist es, die damals die Pharisäer geärgert hat.
Wir verstehen die Reformation, an die wir heute wieder denken, nicht, wenn wir diese radikale Liebe zu den Verlorenen nicht verstehen und teilen.
Martin Luther hat sich nicht damit begnügt, abzuschaffen, was seiner Meinung nach falsch war. Er war ein sehr kreativer Denker, bewegt von der Vision, dass viele Menschen im Volk eine befreiende Erfahrung mit Gott machen und in ihrem Glauben froh und gewiss werden.
Heute erinnere ich an ein Missionsprojekt, das er angestoßen hat - und mit dem er damals auch Viele in der Kirche mächtig irritiert und geärgert hat. Luther fing zu Weihnachten 1525 damit an, Gottesdienste in deutscher Sprache zu feiern.
Und er hat nicht nur die Sprache verändert - das allein war den Frommen schon ungewohnt genug - er hat auch die gesamte Stimmung der Gottesdienste erneuert.
Er begann, neue Lieder zu dichten und zu komponieren - mit Melodien, die auf Hochzeiten und Jahrmärkten gepfiffen wurden.
Er holte Instrumente in die Kirche, die da nicht reingehörten.
Seine deutsche Messe - das war ein völlig neuer Gottesdienst.
Gott sei Dank wusste Luther etwas von der Macht der modernen Medien und nahm sie sehr gezielt in den Dienst. Zu seiner neuen Gottesdienstform gab es bald ein Buch.
Und im Vorwort schrieb er sehr grundsätzlich, was sein Anliegen mit all dem war:
"Gottesdienst muss öffentlich in der Kirche vor allem Volk gehalten werden. Denn darunter sind viele, die noch nicht glauben und noch keine Christen sind. Ja, der größte Teil steht da und gafft, um etwas Neues zu sehen, gerade als ob wir mitten unter den Türken oder Heiden auf einem freien Platz Gottesdienst hielten. Darum findet im Gottesdienst eine öffentliche Reizung zum Glauben statt."
Gottesdienste sind öffentliche Veranstaltungen mit missionarischem Charakter. Denn am Sonntagmorgen in den Kirchen können Menschen erleben, was es mit dem Evangelium auf sich hat. Deshalb muss der Gottesdienst modern und verständlich sein.
Luther hat die lateinische Messe nicht abgeschafft. Darin war er zu Hause. Sie hatte den großen Vorteil, dass man sie in ganz Europa problemlos mitfeiern konnte und Lateinschüler lernten über den Gottesdienst die Grundlagen des Lateinischen.
So weit, so gut. Aber: viele Leute, vor allem die Jugendlichen, verstanden nichts, weil sie kein Latein konnten. In der Messe fehlte die klare verständliche Predigt und auch die liturgischen Stücke erschlossen sich nur dem, der schon lange dabei war und sich mit der Bedeutung vertraut gemacht hatte. Darum begann er, einen neuen Gottesdienst zu entwickeln.
Den jeder verstehen konnte. In dem eine fröhliche Stimmung herrschte. In dem das Evangelium so richtig aufleuchten konnte.
Das sind die Wurzeln unseres vertrauten Gottesdienstes. Nur ist seither etwas tragisches passiert: aus der modernen und klar verständlichen Form wurde eine Tradition.
Und die wirkt auf die Heiden unserer Tage mindestens so rätselhaft wie das Latein zu Luthers Zeiten. Auch wenn das allermeiste auf deutsch ist in unserer Liturgie.
Texte von Chorälen, die vor 400 Jahren gedichtet wurden, versteht man nicht so wie ein Lied im Radio. Und gar Sätze wie "Christe, du Lamm Gottes..."?
In einem Gottesdienst, der Leute zum Glauben reizen will, müsste so was übersetzt werden.
Heute feiern wir sinngemäß die lateinische Messe zu Luthers Zeiten erweitert durch die Predigt. Ein missionarischer Gottesdienst für Kirchenferne - der fehlt uns weitgehend.
Wie der aussehen müsste? Noch einmal Luther:
"Um der Leute willen, die noch keine Christen sind, muss man lesen, singen, predigen, schreiben und dichten und wo es behilflich und förderlich dazu wäre, wollte ich lassen mit allen Glocken dazu läuten und mit allen Orgeln dazu pfeifen und alles klingen lassen, was klingen könnte."
Die Orgel war damals kein Instrument der Kirche, sondern der Unterhaltungsmusik. Und Luther empfiehlt nicht nur die Orgel. Alles, was klingen kann, soll in diese Gottesdienste mit hineingenommen werden.
Die deutsche Messe von Luther heute, das wäre ein sehr moderner Gottesdienst, der gezielt in der Sprache, Kultur und Ausdrucksweise von Menschen gefeiert wird, die noch nicht glauben.
Ein Kennzeichen der deutschen Messe bei Luther war damals übrigens, dass er viele Menschen daran beteiligte.
Heute würde Luther vermutlich eine Abhandlung über Familiengottesdienste, Abendgottesdienste, über Bands und Gospelchöre, über sing and pray und Anspiele veröffentlichen.
Mehr davon brauchen wir - das ist der bleibende Auftrag des großen Reformators.
3. Die Freude im Himmel ist größer über Umkehr als über Selbstgerechtigkeit
Jesus ging es nie um Streit. Er war zutiefst davon überzeugt, dass sein Dienst den Himmel zum Jubeln bringt. Wenn das keine Motivation zur Mission ist!
Wer einmal in die Augen eines Menschen geschaut hat, der sich für Jesus entschieden hat, der ahnt, wovon ich hier rede. So viel erscheint uns unendlich mühsam und beschwerlich, was in der Gemeinde alles zu tun ist. Weil wir das Ziel nicht im Blick haben.
Die drei Steinmetze auf der Baustelle taten alle dasselbe: sie hatten eine oft eintönige Arbeit, anstrengend, laut und gefährlich. Ihnen flogen Splitter in die Augen, sie schluckten Staub und husteten oft den ganzen freien Tag hindurch. Auf die Frage, was sie tun, antwortete der Erste:
"Was tue ich schon? Ich behaue Steine. Tagein tagaus. Irgend wovon muss man ja leben. Und im Übrigen tut mir das Kreuz weh!"
Der zweite ließ zumindest etwas von Berufsethos durchklingen: "Ich bin Steinmetz. Ich bearbeite die Steine so, dass sie sich zu einem Bogen zusammenfügen. Manchmal haue ich auch einen Wasserspeier aus einem Stein."
Der dritte aber ließ seinen Hammer einen Moment sinken. Er strahlte übers ganze Gesicht:
"Ich baue an einer Kathedrale. Meine Begabung dient dazu, dass etwas entsteht zur Ehre Gottes."
Alle drei taten dasselbe. Der dritte hatte verstanden, was er tat.
Es gibt viele Formen, an der großen Suchbewegung Gottes mitzuarbeiten. Entscheidend ist nicht, was wir tun, sondern ob wir wissen, wozu es dient.

Amen!

Björn Heymer