Ihr Lieben,
Was glaubst Du, wer Jesus ist? Im Konfirmandenunterricht nehmen wir gerade das
Glaubensbekenntnis durch. Satz für Satz versuchen wir, zu verstehen, was
in diesen so dicht formulierten Sätzen alles steht. Das meiste über
Jesus. Das ist der längste Abschnitt.
Mit den Konfirmanden habe ich den Eindruck, dass unser Glaubensbekenntnis vielleicht
der schwierigste Stoff von allen ist.
Am Ende stellen wir uns der Frage: Wer ist Jesus für uns heute? - Nicht
historisch, sondern ganz aktuell. Oder noch zugespitzt: Was glaubst Du, was
Jesus tun kann?
Muss man da Stellung beziehen? Wissen wir überhaupt genug? Ist dieser Jesus
nicht viel zu weit weg, viel zu wenig greifbar, als dass man diese Frage beantworten
kann?
Es sind seltene Momente im Leben, wo aus dieser theoretischen Frage etwas anderes
wird. Die Antwort auf die Frage nach Jesus könnte ein Rettungsanker sein,
wenn man innerlich im Chaos oder in Verzweiflung zu versinken droht.
Heute morgen hören wir von einer Frau, die emotional völlig erschüttert
war - und ihr wird gerade diese Frage gestellt: Wer ist Jesus für Dich?
Oder anders: Was glaubst Du, dass Jesus heute für Dich tun kann?
Martha hatte eben ihren Bruder beerdigt. Er war nach kurzer Krankheit plötzlich
gestorben.
Mitten in die üblichen sieben Tage Trauer hinein kommt der eine Mann, auf
den sie schon vor dem Tod so dringend gewartet haben: Jesus, ein guter Freund
und ein Wunderheiler. Wäre er doch nur rechtzeitig da gewesen!
Er, der Lazarus lieb hatte - er hätte doch was tun können, oder?.
Einen Teil der Geschichte haben wir gerade gehört: Jesus war weit weg,
als die Krise ausbrach. Und als er die Nachricht endlich bekam und in Bethanien
ankam, da war es zu spät. Lazarus war tot und begraben - seit vier Tagen.
Jesus hat in der Vollmacht Gottes diesen Toten noch einmal zurückgerufen
ins Land der Lebenden - dieses eine Mal hat er das wahr werden lassen, was viele
Trauernden im ersten Schock nach einem Tod dringender als alles andere erhoffen:
wenn man doch dieses Sterben rückgängig machen könnte! Nur für
einen Moment! Jesus konnte es - aber so, wie die Geschichte erzählt wird,
war das Wunder gar nicht die Hauptsache.
Denn bevor Lazarus aus dem Grab gerufen wurde, begegnete Jesus den Trauernden
- hier Martha, der einen Schwester. In diesem Gespräch leuchtet auf, worum
es im Tiefsten geht:
Johannes schreibt:
Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. Betanien
aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt. Und viele Juden
waren zu Martha und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders.
Als Martha nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber
blieb daheim sitzen. Da sprach Martha zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen,
mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du
bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder
wird auferstehen. Martha spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen
wird - bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich
bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch
wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus
bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Bei jeder Beerdigung zitiere ich die Sätze Jesu vom Leben trotz des Todes.
Als Trost und als Kampfansage an die Macht des Todes. Manchmal kommen sie mir
selber vor wie das leise Piepsen einer Maus, das vom Brüllen des Löwen
übertönt wird. Ja, sie sind wahr - aber der Tod ist doch auch eine
sehr starke Macht. Martha hat an die Auferstehung geglaubt - und war doch ganz
in der Trauer um ihren Bruder gefangen.
Nun ist es wohl eher so, dass die meisten heute morgen einigermaßen stabil
und in sich gefestigt hier sitzen. Wie Sie über Tod und Auferweckung denken,
was Sie glauben, das ändert wohl nichts daran, wie Sie den Nachmittag verbringen
werden. Wir fragen uns vielleicht: Wo ist der Bezug dieser Erzählung zu
meinem Leben, wenn ich nicht gerade auf dem Friedhof stehe? Was sagt uns diese
Begegnung, wenn wir nicht gerade betroffen sind, nicht den Schatten des Todes
so spüren, das uns fröstelt?
Zwei Gedanken dazu. Zuerst dies: Es gibt den Tod mitten im Leben
Da, wo jemand ohne Vision für sein Leben lebt. Wo man nichts mehr erwartet
oder erhofft.
Da hat jemand voller Elan an einer neuen Arbeitsstelle begonnen und stellt nach
einem Jahr mit Schrecken fest: meine Ideen sind hier gar nicht gefragt. Das,
was mir an meinem Beruf wirklich Freude macht, das ist hier erwünscht.
Und dann geht etwas verloren: man geht zwar weiter hin, denn jede Veränderung
wäre mit Anstrengung verbunden, aber im Grunde geschieht die Arbeit lustlos.
Von deiner Lebendigkeit ist etwas gestorben. Aus einem Beruf ist ein Job geworden.
Die Arbeitswelt nimmt für viele die meiste Zeit des Lebens ein. Wenn hier,
in Deinem Beruf der Tod ins Leben einbricht, dann wirkt sich das schon auf das
ganze Leben aus.
Tod im Leben.
Der Tod wirft seinen Schatten auch auf Beziehungen: Wenn zwei Menschen, die
einander mal viel bedeutet haben, heute sich nichts mehr zu sagen haben, dann
ist etwas zwischen ihnen gestorben. Neulich fragte ich eine alte Dame beim Geburtstagsbesuch
nach ihren Kindern: Ja, ich habe einen Sohn. Aber der kommt schon lange nicht
mehr!
Das Gespräch fand im Altenheim am Esstisch statt. Eine der Tischgenossinnen
wusste um dieses Drama und ergänzte: Seit er kein Geld mehr von seiner
Mutter bekommt, meldet er sich auch nicht. Die Macht des Todes mitten im Leben.
Es gibt unzählige Beispiele.
Der Tod macht einsam, er raubt uns den Lebensmut und lähmt den Elan.
Nicht erst dann, wenn unser biologisches Leben zu Ende geht.
Und jetzt hören wir noch einmal, das Jesus nicht nur etwas sagt, sondern
dass er uns fragt:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben,
auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr
sterben. Glaubst du das?
Glaubst Du, dass ich die Todeswirklichkeit besiegen kann in deinem Leben?
Bei Jesus gibt es Leben mitten im Tod. Das ist mein zweiter Gedanke:
Leben mitten in der Wirklichkeit des Todes.
Wenn wir den Tod als eine Wirklichkeit mitten im Leben begriffen haben, stellt
sich diese Frage nicht mehr nur am Grab. Dann will uns Jesus die Augen öffnen
für die geistliche Welt, die uns ständig umgibt. In der geistlichen
Welt haben die Worte Leben und Tod eine andere Bedeutung als in der sichtbaren
Welt.
Vor einer Woche sprach ich mit einer jungen Frau, die nach einigen Jahren in
ihrem Beruf gemerkt hat: Das ist es nicht. Mit dieser Arbeit werde ich nicht
auf Dauer glücklich.
Und sie hat was völlig Anderes angefangen - sie hat sich selbstständig
gemacht mit einer Dienstleistung, die es vorher nicht in Köln gab. Weil
sie spürte: Daran hab ich Freude.
Und ich spürte: Sie ist dem Leben neu auf die Spur gekommen.
Nicht jede sinnvolle Tätigkeit ist nun Leben im geistlichen Sinn. Aber
bei dieser Frau hab ich
Gespürt: ihre mutige Entscheidung entspricht ihrem geistlichen Interesse.
Sie sucht einen neuen Zugang zum Glauben und interessiert sich für unser
Gemeindeseminar. Ich bete, dass sie wirklich kommt und das die Abende für
sie eine entscheidende Erfahrung werden.
In diesem Gespräch hab ich auch bei mir selber eine Spur neuen Lebens entdeckt:
Es gibt nichts Schöneres und befriedigenderes im Leben eines Christen als
dies:
einen anderen Menschen begleiten auf seinem Weg zum Glauben. Das ist jede Mühe
wert.
Da lohnt sich auch Verzicht auf Freizeit und Mehrarbeit.
Es ist also ein doppelter Grund, dass wir das Gemeindeseminar wieder anbieten:
Es kann ein wichtiger Schritt auf dem Weg in den Glauben werden. Und es bietet
vielen Menschen in der Gemeinde die Gelegenheit, die Erfahrung zu machen, dass
die Begleitung Suchender zutiefst erfüllend sein kann und den eigenen Glauben
stärkt.
Auch wo Menschen sich versöhnen und nach einem Streit oder einer Trennung
neu miteinander beginnen, auch da setzt Jesus Leben neu frei. Nicht jedes Scheitern
einer Ehe muss zwangsläufig das Ende sein.
Wir denken das ja immer, weil wir es kaum je anders erleben.
Ich kenne Paare, wo es anders gelaufen ist - wo eine tiefe Krise nicht zur Trennung
geführt hat, sondern zu einem gegenseitigen Neu - Entdecken und gemeinsamen
Neu - Anfangen.
Jesus sagt in unser Leben hinein:
Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und
glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
Und er fragt mitten in die Todeserfahrungen unseres Lebens hinein: Glaubst du
das? Glaubst Du, dass von mir Leben ausgehen kann?
Wenn wir Jesus hier im Leben nicht sein verändernde Kraft zutrauen, dann
bleibt auch die Hoffnung auf die Auferstehung vage. Martha glaubte an die Auferweckung.
Trotzdem fragte Jesus sie: Glaubst Du das? Er fragte damals, ob ihr Glaube in
die Gegenwart hinein reicht.
Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die
Welt gekommen ist. Das war die Antwort. Sie beschreibt nicht die Hoffnung auf
eine ferne Zukunft, sondern ihr Vertrauen in der Gegenwart.
Es ist heute dieselbe Frage. Und wir sind eingeladen, in das Bekenntnis der
Martha einzustimmen: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn
Gottes, der in die Welt gekommen ist .
Wer das glaubt, den wird sein Glaube auch tragen - im Leben und im Sterben.
Amen!
Björn Heymer
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