Ihr Lieben,
in Israel kannte man die Bibel - und nahm sie ernst.
Das 35. Kapitel im Jesaja - Buch enthält folgende Versprechen Gottes:
Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln
und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller
Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von
Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unsres
Gottes. Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden
Knie! Saget den verzagten Herzen: "Seid getrost, fürchtet euch nicht!
Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und
wird euch helfen. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der
Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der Stummen wird frohlocken. (...) Die Erlösten des HERRN
werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über
ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen
wird entfliehen.
Als Jesus lebte, stand diese Verheißung aus - und es wurde dringend erwartet,
dass Gott sein Versprechen wahr macht.
Klar, dass die Leute aufhorchten, wenn auf einmal ein Taubstummer wieder ganz
normal sprechen kann. Das galt nicht nur als irgendeine Wunderheilung.
Wo ein Taubstummer plötzlich geheilt war, da war es so, als wenn plötzlich
vom Himmel ein gigantischer Posaunenchor erschallt.
Wenn das passiert, dann erfüllt Gott, was er versprochen hat - sein Rettungswerk
für Israel,
die Heilszeit bricht an. Und das war gebunden an eine Person:
Wer das tut, der ist der von mir bevollmächtigte Gesandte, der gesalbte
Messias, der neue König für Israel. Wenn Taube wieder hören -
und die Stummen wieder sprechen.
Dann seht auf zum Himmel, weil sich Eure Erlösung naht!
Warum auch immer die Leute damals den Taubstummen zu Jesus brachten - mit seiner
Heilung wird einmal mehr unterstrichen, was bei der Taufe Jesu am Jordan geschah:
Da erklang eine gewaltige Stimme vom Himmel:
"Seht auf diesen einen! Das ist mein geliebter Sohn. Hört auf ihn!"
So hat Gott den Menschen Jesus bestätigt.
Vielleicht seufzt Jesus deshalb auf, als er diesen Kranken in seinen Armen hält:
Weil er weiß: Wenn Gott jetzt diesem Einen Heilung schenkt, dann geschieht
viel mehr als dass einem Menschen neues Leben geschenkt wird. Dann wird meine
Identität und mein Auftrag einmal mehr den Leuten deutlich - mit wieder
der Gefahr, das alles misszuverstehen.
Denn es war noch zu früh. Die ganz besondere Sendung Jesu, die ihm im Ringen
mit dem Teufel in der Wüste klar geworden war, das war zu hoch für
das Volk.
Leiden und Scheitern - als Weg der Erlösung - das konnte noch keiner begreifen!
Stattdessen jubelten die Leute ihm immer wieder dann zu, wenn er als strahlender
Sieger erschien. So wie hier: die Heilung wurde als Kampf und Sieg gegen dunkle
Mächte verstanden. Ein Gefangener wird befreit, weil Jesus der Stärkere
ist.
Das sagt uns diese Geschichte aus dem Evangelium über Jesus:
Er ist in Wahrheit der von Gott bevollmächtigte Retter und Heiland. Er
hat Vollmacht, über Geister zu gebieten und Kranke zu heilen.
In Jesus hat Gott erfüllt, was er vorher versprochen hat.
Sagt uns die Geschichte aus etwas über uns?
Wo wären wir in diesem Geschehen?
Meistens nehmen wir doch die Haltung der Zuschauer ein - die sind neugierig
und gespannt, was Jesus tut. Es ist unser Kopf-Interesse an Jesus.
Nur: den Zuschauern entzieht sich Jesus, so gut er kann. Gottes Handeln erträgt
nicht gut Zuschauer. Damals nicht und heute auch nicht.
Wo immer jemand sich hinstellt und behauptet, er könne Gottes Handeln aufweisen
- der setzt sich der kritischen Nachfrage aus - und sind nicht alle Wunder mehrdeutig?
Damals haben die Zuschauer immerhin Gott gelobt - nur, dass ist nicht entscheidend.
Viele loben Gott gelegentlich, wenn sie spüren, dass sie bewahrt wurden.
Aber die Geschichte will uns zu etwas Anderem einladen:
In der alten Kirche wurde eine Taufliturgie gebraucht. Und die gibt uns einen
Hinweis, wohin wir eigentlich gehören in diesem Geschehen:
Damals - und in der katholischen Kirche bis heute - wird am Ende einer jeden
Taufe diese Heilungsgeschichte aufgegriffen. Dabei wird sie nicht einfach nur
erwähnt, sondern gleichsam dramatisch nachgespielt:
Der Täufer berührt den Getauften - wie Jesus es tat - an den Ohren
und an den Lippen und ruft das Wort Hefata aus. Tu dich auf!
Was bedeutet dieser Ritus? Jedenfalls nicht irgendeine Zauberei, sondern die
Unterstreichung dessen, was in der Taufe geschieht:
Taub und stumm ist ein Mensch, der nicht an Gott glaubt.
Er vernimmt nichts vom Reden Gottes, er versteht die Bibel nicht und erlebt
nie, dass Gottes Wort ihn in seinem Gewissen trifft.
Auch im Anblick der Schöpfung kommt er nicht auf den Gedanken, Gott zu
loben.
Das Weltbild von Menschen, die nicht an einen Schöpfer glauben ist arm.
Weil sie vielleicht spüren, wie wunderbar all das ist, was uns umgibt -
aber keine Adresse haben, wen sie dafür loben könnten.
Und entsprechend sind Menschen ohne Glauben auch stumm. Wer nie etwas von Gott
vernimmt, der betet auch nicht.
Höchstens als angewöhntes Ritual. Aber mit Gott spontan reden, das
kennt ein Mensch ohne Glauben nicht. Taub für das Reden Gottes und stumm,
wenn es um die Antwort geht.
Für eine solche Art von Taubstummheit brauchen Menschen Heilung.
Und darum wurde in alter Zeit am Ende der Taufe gebeten: dass eine Mensch die
Sinne geöffnet werden, Gott zu erkennen.
Das Anliegen haben wir auch. Im Zuspruch an den Getauften bitten wir:
Gott gebe, dass Du den Herrn Jesus lieb gewinnst und dich in deinem Leben nie
schämst, dich zum Gekreuzigten und Auferstandenen zu bekennen.
Heilung durch Jesus geschieht durch Berührung - jedenfalls hier ganz intensiv.
In einem Schutzraum des Verborgenen fasst Jesus genau dort an, wo der Schaden
liegt:
An den Ohren und an der Zunge.
Das ist ein Bild dafür, dass wir nur dann heil werden, wenn wir uns innerlich
berühren lassen.
Das kann heute geschehen, wenn wir das Mahl empfangen. Wohl die innigste Berührung,
die uns angeboten ist. Das kann durch einen Segen geschehen, den wir erbitten
oder empfangen.
Jesus berührt uns mehr als einmal, um uns heil zu machen.
Weil Er uns dabei haben will, wenn sein Reich anbricht.
Amen!
Björn Heymer
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