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Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an. (1. Samuel 16, 7) Ev. Philippusgemeinde Köln Raderthal Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an. (1. Samuel 16, 7)
Predigt zu Jesaja 54, 7 - 10, Laetare 2002

Liebe Gemeinde,

vor ein paar Tagen traf ich nach einem Hausbesuch drüben im Hochhaus im Fahrstuhl auf drei Menschen, die auch runterfuhren. Ein älterer Herr machte gerade die Bemerkung:

„So ist das im Leben – es geht immer bergab!“

Ein Scherz mit Tiefgang. Eine Bemerkung, die etwas über das Lebensgefühl verrät.

Trifft das zu – es geht immer bergab? Es wird alles schlechter – früher war alles besser?

Gerade bei älteren Menschen höre ich so etwas immer wieder.

Die eigenen Lebenskräfte gehen zurück, man hat ja schon allerhand schlimmes erlebt im Leben, man braucht ja nur die Tagespresse zu verfolgen und überhaupt:

das Klagen fällt meistens leichter als das Loben - obwohl einen das manchmal erst recht runterzieht.

Die Passionszeit ist in der Kirche die Jahreszeit, in der Leiden, Schmerzen und Kummer besonders Raum haben. Wir erinnern uns an den Leidensweg unseres Herrn – und bringen das innerlich zusammen mit eigenen Leiderfahrungen oder mit dem Leiden bei Anderen.

Nur – im Unterschied zum trostlosen Klagen auf dem Grundton: „Es geht immer bergab!“ weiß die Bibel von Trost. Heute ist Trost das Thema der Predigt.

Als Israel am Tiefpunkt seiner Geschichte angekommen war, trat Jesaja auf, um im Namen Gottes Worte des Trostes zu sagen. Ich lese aus Jesaja 54 die Verse 7 bis 10:

Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,

aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.

8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen,

spricht der HERR, dein Erlöser.

9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor,

dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten.

So habe ich geschworen,

dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.

10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,

aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,

und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,

spricht der HERR, dein Erbarmer.

Was für große und schöne Worte! Vor allem der letzte Satz ist ein beliebter Tauf- oder Konfirmationsspruch. „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade nicht...“ Ein starkes, ein mutiges Bild. Wie schön!

Zu Anlässen wie Taufe, Trauung etc., da tut es auch gut, so was als Ermutigung zu hören.

Nur: Als wir am Mittwochabend zusammensaßen, fielen uns hierzu erst einmal eine ganze Reihe von Einsprüchen ein:

Israel hat doch nach Jesaja noch oft Leiden, Tod und Vertreibung erlitten. Haben diese Wortes des Trostes sich überhaupt als glaubwürdig erwiesen?

Die älteste Handschrift des Buches Jesaja wurde in Qumran gefunden – dort lebte in der Zeit Jesu eine Gruppe frommer Menschen, die sich in die Wüste zurückgezogen hatten, um ganz nach Gottes Willen zu leben. Die haben diese Worte doch auch gelesen und geglaubt. Trotzdem wurden sie alle im Jahr 68nChr. von römischen Soldaten totgeschlagen. Hätte Gott das nicht verhindern müssen? Wie glaubwürdig sind solche Worte noch, nach der Zerstörung des Tempels, nach den Pogromen des Mittelalters und der Neuzeit, nach Auschwitz?

Die Frage ist alt und sie bewegt uns heute doch auch immer wieder: Warum hat Gott das zugelassen? Warum greift Er nicht ein, um Leid zu verhindern?

Wie ist das von Gott her zu verstehen, dass für Israel kein Frieden in Sicht ist – wo doch Gott hier ausdrücklich sagt:

So habe ich geschworen,

dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will

und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen

Und es betrifft auch uns: Wir haben doch in den vergangenen Wochen immer wieder gehört:

Die Gemeinde Jesu Christi ist mit hinein genommen in die Bundestreue Gottes.

Warum werden dann doch Jahr für Jahr ganz legal zehntausende Kinder bei Abtreibungen getötet und warum kam jetzt das Gesetz zur Produktion von Stammzellen durch, obwohl doch viele gebetet haben?

Und sobald wir nachdenken, fallen uns Schicksale ein, wo uns tröstende Worte im Halse stecken geblieben sind.

So schön diese Trostworte bei Jesaja klingen, wenn es einem gut geht und man sie eigentlich nicht braucht, so schwer wird es, wenn es ernst wird, wenn wir nach echtem Trost suchen.

Es ist ein Geheimnis um Worte wie diese. Weshalb Israel sie nie verworfen – trotz aller schweren Erfahrungen?

Was ist Trost von Gott her?

Was es offenbar nicht ist, lässt sich leicht sagen: Gott gibt jedenfalls nicht die Garantie der Leidensfreiheit. Auch der Lebensweg des Glaubenden kann schwer sein.

Eine erste Antwort auf die Frage nach Trost im Leid gibt uns Jesaja selbst.

Was war den geschehen aus Gottes Sicht, wenn es zu Leid kommt?

Gott hat einen Moment lang nicht hingeschaut. Er hat sein Volk für einen Augenblick sich selbst überlassen. So wie ich vor vier Wochen kurz mal nicht aufgepasst habe und genau da unsere Tochter Heinke die Auffahrt runter gerannt ist und ins Stolpern geriet. Alle Eltern kennen das – manchmal hat es schlimme Folgen, wenn man mal kurz nicht aufpasst.

Wer ist dann Schuld? Hätte man es verhindern können? Hat Gott einen Fehler gemacht, seine Aufsichtspflicht vernachlässigt, als Israel besiegt, geplündert, erschlagen und der Rest vertrieben wurde?

Bei Kindern mag man noch sagen, ja, die Eltern haben versagt.

Aber Israel war selber verantwortlich für die Katastrophe. Politische Fehleinschätzungen, Hören auf die falschen Ratgeber und der Hochmut, zu meinen, man habe sie Lage im Griff – das hat dazu geführt, dass der Krieg verloren war, dass einem das Elend des Besiegten traf.

Wenn man genauer hinschaut, dann sind bei sehr vielen Unglücksfällen, auch bei vielen Krankheiten Menschen verantwortlich dafür.

Wenn wir nach Trost suchen, dann müssen wir unsere Anspruchshaltung aufgeben, es müsse uns doch eigentlich gut gehen, weil wir gut sind und handeln.

Wir sollten uns eher angewöhnen, staunend zu fragen: Warum hat´s uns so oft nicht getroffen?

Im Autoverkehr, oder auch beim Thema Nr. 1, bei der Gesundheit.

„Dass unsre Sinnen wir noch brauchen können

und Händ und Füße, Zung und Lippen regen,

das haben wir zu danken seinem Segen.“ eg 447,3

Das hat Paul Gerhard gedichtet – wir singen es hin und wieder, aber glauben wir das eigentlich?

Oder sind wir doch zutiefst davon überzeugt, dass uns Leidensfreiheit eigentlich zusteht?

In der brisanten Frage der Stammzellenforschung wird diese Frage in gewisser Weise auf die Spitze getrieben: Was jetzt per Gesetz erlaubt wurde, heißt konkret: menschliches Leben künstlich zu erzeugen, nur um es auszubeuten und damit wieder zu töten – mit dem Anspruch, damit Krankheiten behandeln zu können, die bisher hinzunehmen waren.

Die Kirchen haben in der Diskussion dazu betont. Es gibt kein Menschenrecht auf leidensfreies Leben. Der Anspruch auf Behandelbarkeit von Krankheiten kann nicht höher gestellt werden als der Schutz anderen menschlichen Lebens. Auch wenn das bedeutet, dass man Leiden hinnehmen muss.

Trost bei Gott findet nur der, der sagen kann: „Ja, Gott, Du bist heilig. In deiner Hand steht Ende und Beginn von allem. Habe ich so viel Gutes empfangen – sollte ich darum das weniger Gute nicht auch annehmen?“

Wer so Gott als Herrn über Leben und Tod anerkennt, der kommt auf die Spur zum Trost.

Gott verweist zurück auf seinen ersten Bund mit den Menschen: mit Noah und den anderen Überlebenden hat er ausgemacht: Solange die Erde steht, sollen nicht aufhören, Sommer und Winter, Saat und Ernte, Frost und Hitze, Tag und Nacht.

Die Treue, mit der Gott an diesem Versprechen festhält, ist es, die das Leben überhaupt ermöglicht. Bei allen Unglücken und Nöten – Gott hält daran fest, dass das Leben weitergeht.

Wenn das einer zugesprochen bekommt, der einfach nicht mehr weiterweiß, kann das schon trösten. Im Volksglauben ist daraus der schlichte Spruch geworden:

Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.

Schön, wenn jemand das so erlebt. Nur – die Frage nach Trost muss tiefer greifen.

Denn es gibt ja doch auch das Andere.

Dass sich die Finsternis nicht mehr lichtet, dass einer so verzweifelt ist, dass er den Glauben nicht mehr findet.

Wir stoßen spätestens jetzt an die Grenze zwischen Leben und Tod.

An diese Grenze ist Gott selber mit seiner Not auch gelangt. Jesus ging auch den Weg ins Leid – er sah dem schmachvollen Tod des Verbrechers ins Gesicht, verlassen, geschmäht, verraten und gequält. Als Jesus am Kreuz verblutete, da hat Gott noch einmal einen Moment weggesehen, er hat seinen Sohn für einen Moment verlassen – so schreit Jesus es heraus, als sogar der Himmel sich verfinsterte.

Der Zuspruch: Ich werde dich wieder sammeln, versammeln bei mir, der findet seine Erfüllung zutiefst vor dem Thron Gottes und erst da!

Hätte Jesus nichts gewusst von einem Ankommen bei Gott, er wäre trostlos verzweifelt und zu Recht! Wenn es ein Leben nach diesem Leben nicht gäbe, dann wären wir die elendsten aller Menschen – hat Paulus geschrieben. Dann hätten wir uns böse betrogen – uns selber und alle, die uns vertraut haben.

Der tiefste Grund echten Trostes liegt jenseits der Todeslinie.

Das ist nicht Vertröstung, sondern Trost, wo wir an die Grenze des Lebens stoßen.

Der Bund, den Jesus für uns aufgerichtet hat in seinem Blut, das ist der Bund des Friedens, der nicht hinfällt. Das will die Quelle des Trostes sein, wenn nichts auf Erden mehr tröstet.

Und weil das so unglaublich ist für den, der selber an der Grenze steht, der durchgeschüttelt wird von der Anfechtung, deshalb brauchen wir einander als Zeugen der Bundestreue.

Wer die Worte des Jesaja heute hört, ohne selber in der Krise zu sein, der höre sie so wie der Prophet damals: als ein Auftrag!

Das sollen wir weitersagen, wo das Lebensgefühl herrscht, das der Mann im Fahrstuhl so flapsig-treffend in den Satz zusammenfasste: „Es geht im Leben immer bergab.“

Auch auf die Gefahr hin, für humorlos gehalten zu werden, hab ich darauf geantwortet: „Nein, das glaube ich nicht! Ich glaube daran, dass es nach oben geht!

Amen!

Björn Heymer