Liebe Gemeinde !
hat uns das vergangene Jahr näher hingebracht zu Christus?
Die Losung für das Jahr 2001 war eine Einladung, ihn zu suchen in unserem Leben:
„In
Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis:“
Jetzt, in diesen letzten Stunden des Jahres 2001 fragen wir uns:
Was ist gewesen? Was hat dieses Jahr gebracht? Was war besonders in 2001?
Vielleicht geht dieses Jahr in die Geschichte ein als das Jahr, in dem Undenkbares schreckliche Wirklichkeit wurde:
In den USA wird der erste geklonte menschliche Embryo präsentiert. Der erbitterte Streit um die Verfügbarkeit menschlichen Lebens geht in eine weitere Runde. Zumindest die Stammzellenzüchtung wird international mehr und mehr anerkannt und voran getrieben.
Um BSE und Schweinepest ist es schon wieder merkwürdig still geworden – die öffentliche Diskussion scheint nicht mehr als ein oder zwei große Themen zu verkraften und da wurde die Problematik unserer technisierten Nahrungsmittelerzeugung eben verdrängt. Als wenn es nicht mehr wichtig sei, wie gesundheitsgefährdend unser Essen ist, wenn im Rhein Krokodile gesichtet werden oder in einem Baggersee ein Killerwels angeblich Dackel verschlingt.
Und dann kam der 11. September. Dass Flugzeuge entführt werden – ok! Auch Abstürze hat es immer gegeben. Aber dass Flugzeuge von Selbstmordattentätern zu Waffen missbraucht werden und innerhalb weniger Stunden die Zentralen der wirtschaftlichen und militärischen Macht in Schutt und Asche legen, und das vor laufender Kamera - das war bis dahin einfach undenkbar.
In der Schweiz und in Indien wurden Parlamentssitzungen von Amokläufern oder Terroristen gestürmt, in Genua wurde ein Demonstrant während des G-8 Gipfels erschossen, in der Nähe von Toulouse explodiert eine Düngemittelfabrik und verwüstet einen ganzen Stadtteil.
Erdbeben in Indien und Mittelamerika, Buschfeuer in Australien – man könnte die Liste fortsetzen.
Im Jahr 2001 ist vieles anders geworden als es vorher war!
Vor allem der internationale Terrorismus hat bis in die private Lebensgestaltung Unzähliger in den Industrienationen Auswirkungen gehabt. In der ersten Zeit danach ging kaum einer ohne Herzklopfen in ein Hochhaus, Fernreisen wurden abgesagt oder man vermied es zumindest, mit dem Flugzeug zu fliegen. Fluggesellschaften, Hotels oder Reiseveranstalter kamen in Existenznot und mussten Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen.
Für alle gilt seither: das Leben ist nicht so sicher wie wir immer gedacht haben!
Diese Erkenntnis ist eine Last und eine Chance zugleich.
Unser Leben ist sehr zerbrechlich. Das wissen wir alle tief in uns lange.
Neu ist, dass diese Erkenntnis aus dem Unbewussten ins Bewusstsein gerissen wurde.
Ja, es ist ein unglaubliches Geschenk unseres gütigen Gottes, dass wir leben können!
Jeder Tag kann zu einem kleinen Fest des Lebens werden für den, dessen Uhr noch nicht abgelaufen ist.
Gerade die Erschütterung unseres Sicherheitsdenkens sollte uns dankbar machen:
Dankbar für unsere Gesundheit heute, dankbar dafür, dass wir unseren Ehepartner noch haben, dass die Kinder leben und gesund sind.
Für mich gehörten die Telefonate der Menschen, die ihren sicheren Tod vor Augen hatten, zu dem Beeindruckendsten, was von den schrecklichen Ereignissen des 11. September berichtet wurde. Menschen, die ihren Angehörigen noch ein letztes Mal versicherten: Ich liebe Dich und Euch! Angesichts der Sterblichkeit allen Lebens wird klar, was wirklich wichtig ist.
Nicht Geld und Gut, sondern Beziehungen, die das Leben wert machen, gelebt zu werden.
In Christus liegen die Schätze der Erkenntnis verborgen – ja, in all dem Schrecklichen haben viele in ihrem Glauben auch Trost gefunden.
Das Andere, was mit dem Terror deutlich wurde: das Böse ist eine sehr reale Macht!
Es ist mehr als die böse Tat Einzelner. In diesem Jahr hat das Böse als Macht sich deutlicher gezeigt als früher: Die Bibel sagt an vielen Stellen, dass der geistliche Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen sehr real ist. Die Schlachtfelder, auf denen dieser Kampf tobt, sind nicht irgendwo weit weg.
Es sind Herz und Verstand der Einzelnen. Was vor und seit dem 11. September deutlich wurde ist das Ergebnis, wenn sich diese Schlacht zum Bösen wendet.
- Böse war die Bereitschaft der Terroristen, sich lange auf diese Anschläge vorzubereiten und willentlich selber in den Tod zu gehen – nur um möglichst viele Menschen mit zu töten.
- Böse war auch, wenn Menschen unmittelbar nach den ersten Meldungen auf den Straßen feierten und damit das Leiden und Sterben Tausender verspotteten.
- Böse war aber auch, dass Geschäftemacher es wagten, aus dem Chaos noch Profit zu schlagen: Hotelpreise wurden willkürlich erhöht, Benzin wurde überteuert verkauft.
Schließlich bin ich davon überzeugt, dass auch die Bereitschaft, Krieg gegen ein ganzes Land zu führen, um im wesentlichen einen Mann zu jagen, böse ist.
Immer die Anderen? Ja, die auch. Aber das Böse steckt auch in uns!
Was ist es, dass im vergangenen Jahr erst durch die Diskussion um den Kosovo-Einsatz deutscher Soldaten und jetzt durch den Krieg in Afghanistan offenbar jeder Gedanke an Gewaltverzicht, an Pazifismus und Friedensdienst verschwunden ist?
Wie wenig wurde überhaupt der Gedanke gewagt, auf die Terroranschläge nicht mit Vergeltung und Krieg zu reagieren?
Wie anders würde unsere Welt aussehen, wenn alle Menschen eine globale Auszeit nehmen würden und den Lehren Jesu folgen?
Wir haben es im vergangenen Jahr mehr denn je aufgegeben, das ernsthaft zu prüfen, was Jesus über Ursprung und Dynamik von Gewalt gesagt hat.
Und das bei dieser Jahreslosung:
„In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis!“
Da, und nicht bei der Vernunft der Militärstrategen und Weltpolizisten.
Die Mächte des Bösen haben uns seit Generationen so getäuscht, dass wir denken, immer weitere Vergeltungsschläge würden schließlich die Meinungsverschiedenheiten beenden.
Aber war das je erfolgreich? Was erleben wir in Israel in diesen Tagen:
Die Politik der Vergeltung lässt die Spirale der Gewalt nur noch schneller drehen.
Jesus hat vor 2000 Jahren sehr deutlich angekündigt, dass Kriege alles bisher da Gewesene übersteigen werden, wenn wir weiterhin Böses mit Bösem vergelten.
Keiner hat das Risiko gewagt, herauszufinden, wohin es geführt hätte, auf Vergeltung zu verzichten, wie Jesus es überdeutlich empfohlen hat.
Es waren doch keine leeren Worte, die Jesus gesagt hatte. Er selber hat sie gelebt. Er ist daran gescheitert – nach menschlichen Maßstäben. Und hat doch gerade durch die Schwachheit die Welt überwunden.
Der 11. September hat bei uns allen deutlich gemacht, von welcher Macht wir uns leiten lassen.
Vielleicht haben wir noch nicht erkannt, wie sehr wir Spielball der geistlichen Mächte sind.
Vielleicht halten wir immer noch den Menschen ohne Glauben für fähig und willig zum Guten.
Vielleicht ist heute, mit etwas Abstand zum Geschehen Zeit, Buße zu tun, wenn wir zurückdenken und noch einmal auf die Jahreslosung hören.
„In
Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“
Vielleicht haben wir genau diese Verheißung nicht ernstgenommen, als wir auf die Schreckensnachrichten zu reagieren hatten.
Vielleicht haben wir uns mitnehmen lassen von den vollmundig geäußerten Standpunkten der Mächtigen dieser Welt.
Vielleicht haben wir den Schatz in Jesus Christus noch gar nicht entdeckt.
Leicht erschließt er sich nicht. Das ist wohl wahr.
Es ist verborgen, dass in Christus Weisheit und Erkenntnis zu finden sind.
Griechen eine Dummheit, Juden ein Ärgernis – so war es damals. Und heute scheint es nicht besser zu sein.
Trotzdem, Gott sei Dank, besteht kein Grund zum Aufgeben.
Gott kann ja auch aus Unglücken, Katastrophen oder Notlagen etwas Gutes entstehen lassen.
Haben wir seit dem 11. September eine neue Offenheit für die Frage nach Glauben gespürt?
Unser Gemeindeseminar im November schien, bei aller Bescheidenheit, auch davon geprägt gewesen zu sein.
Mir ist aufgefallen, dass die Frage, die in all dem Leid gestellt wurde, kaum war:
„Warum lässt Gott das zu?“ – sondern eher:
„Wo ist Gott in dieser Not?“ Menschen haben begonnen zu beten.
Manche sind in Gottesdienste gegangen, die schon lange nicht mehr da waren.
Manche Gespräche waren weniger oberflächlich.
Vielleicht schenkt Gott ein neues Aufhorchen bei Menschen.
Wenn wir mehr hinhören, was Jesus uns sagt, dann werden wir auch mehr zu sagen haben, wenn Menschen uns fragen.
Ich habe seit dem September für die Zukunft der Kirche nicht weniger Hoffnung, sondern mehr. Die Kölner Allianz - Gemeinden sind näher zusammen gerückt. Auch das war 2001.
Wer weiß, vielleicht hat Gott hier in unserer Stadt durch uns etwas Großes vor.
Amen!
Björn Heymer