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Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an. (1. Samuel 16, 7) Ev. Philippusgemeinde Köln Raderthal Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an. (1. Samuel 16, 7)

12. Sonntag nach Trinitatis - 2. September 2001 - Predigt zu: Markus 8, 22-26

Liebe Gemeinde,

eben in der Lesung haben wir gehört, wie Jesus auf eine etwas drastische Weise einen Taubstummen wieder zum Hören und Reden brachte: Er umfasste die Ohren mit seinen Händen und gab dem Stummen einen Kuss auf den Mund, um dann ein Machtwort zu sprechen. Die dann erfolgte Heilung wird beschrieben wie die Befreiung eines Gefangenen. Gerade diese drastische und genaue Schilderung ist die besondere Spezialität des Evangelisten Markus. Für die Predigt heute ist uns aus dem gleichen Evangelium eine ganz ähnliche Geschichte vorgeschlagen. Markus berichtet von der Heilung eines Blinden, die am Ortsrand einer Kleinstadt am Nordufer des Sees Genezareth in Galiläa geschah: Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. 26 Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf! Markus 8,22-26

Was tun wir heute mit diesen Wundergeschichten? Sie sind lange her und Lessing stellt mit vollem Recht die Frage: "Wie kann aus einer zufälligen Geschichtswahrheit eine heute noch gültige Vernunftswahrheit werden?" Also: Was bedeutet eine solche alte Geschichte für uns heute? Wir könnten streiten, ob die Heilungen durch Jesus historisch glaubwürdig sind oder nicht. Und selbst wenn wir es glauben und ihm zutrauen, was hilft uns das heute?. Eine solche Art von Heilung hat kaum einer von uns erlebt. Jedenfalls nicht so, nicht durch Jesus oder durch jemanden, der in der Vollmacht Gottes Kranke heilt. Dabei ist die Schilderung durchaus nah dran an der Wirklichkeit: Ich war am Freitag im Antonius-Krankenhaus und habe einen Herrn besucht, der an seinem noch verbliebenen Auge am grauen Star operiert worden war. Auch er sah nach der Operation erst mal gar nichts - nach einem Tag konnte er schemenhaft wieder sehen -": Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen." Und der Arzt hat ihm versprochen, nach einer Woche wäre sein Blick wieder klar. Als ich das hörte, musste ich sofort an die Markus-Geschichte denken. Diese Übereinstimmung in den Einzelheiten, das hat mich beeindruckt. Wir können annehmen: Jesus hat wirklich diesem Menschen wieder zum Sehen verholfen - Schritt für Schritt, mit Geduld und Spucke gewissermaßen. Und doch noch einmal die Frage: Was tun wir heute mit diesen Wundergeschichten? Vielleicht trauen wir Jesus das zu, staunen und verstehen beim Hören neu: In diesem Mann ist wirklich Gott selber am Werk - gewesen oder gar noch heute. Das wäre doch schon was. Vielleicht führt uns diese Geschichte sogar ins Gebet: in die Anbetung des Schöpfers, der mitleidet am Schmerz seiner Menschen. Und in die ernsthafte Fürbitte für Leute, die wir kennen und denen wir eine wundersame Heilung wünschen. Beides kann ich mir gut vorstellen und kenne es auch von mir. Nur: So hören wir gewissermaßen wie auf Vorrat: Wir nehmen das zur Kenntnis und das mag uns innerlich vorbereiten auf eine Krise, die vielleicht einmal eintritt. Oder in die ein anderer gerät, den wir vielleicht dann ermutigen könnten. Das wäre so etwas wie ein Eichhörnchen - Glaube. Wir studieren die Bibel und sammeln dabei geistliche Vorräten für schlechte Zeiten. Oder wir hören eine Predigt und denken dabei im Stillen sofort an jemand anderen - der meistens leider heute gerade nicht da ist. Kennen Sie das. So oder so, wir weichen damit doch aus. Was ist mit uns? Wir sind nicht blind, wir brauchen kein Wunder. Oder doch? Was sagt uns Gott heute mit dieser Geschichte? Uns, die wir jetzt hier Gottesdienst feiern. Wir können erfahren, wie Jesus mit Menschen umgeht - auch, wie er mit uns umgeht, wenn wir ihn nur lassen. Einige Züge möchte ich herausstreichen: Zuerst einmal dies: in keiner anderen Geschichte gibt es diese auffallende Verzögerung. Erst nach und nach gewinnt der Blinde sein Augenlicht wieder. Jesus hat offenbar Zeit und Geduld, wenn er einen Menschen heil macht. Dann: Jesus führt den Blinden weg aus der Umgebung, die doch nur sein Bestes will. Die Leute, die ihn zu Jesus bringen, stören offenbar den Heilungsprozess. Dabei haben sie es doch gut gemeint! Oft kann bis heute eine Heilung erst dann beginnen, wenn sich einer herausrufen lässt - Es gibt offenbar Beziehungsgeflechte, die krank machen, aus wenn es noch so gut gemeint ist. Wo Heilung nur zu finden ist, wenn man mal rausgeht, Abstand sucht, sich von Jesus "hinaus vor das Dorf" führen lässt. Nebenbei - das ist auch der Weg in die Einsamkeit, besser, in die Zweisamkeit mit Jesus. Die anderen Menschen sieht der Genesende erst mal nur von ferne. Dann lässt sich der Blinde den Kuss von Jesus gefallen. Ein Akt unüberbietbarer Nähe und Intimität. Kein Wunder, dass Jesus dazu die Einsamkeit aufsucht. Es gibt eine Dimension des Umgangs mit Jesus, die keine Zuschauer verträgt. Was im viel zitierten stillen Kämmerlein zwischen Gott und einem Menschen geschieht, kennt keine Normen und ist nur schwer beschreibbar. Es bleibt ein Geheimnis. Wie der Weg dieser Heilung, den Jesus mit dem Blinden geht. Dann legt Jesus ihm die Hände auf - das ist die Berührung des Segnens - hier eine Berührung ohne Worte. Jesus mag zu Gott gefleht haben - keiner hat das gehört. Wir in der evangelischen Kirche haben es verloren, auf Gesten, Zeichenhandlungen oder Berührungen zu vertrauen. Ich stehe hier und - mache Worte. Wenn das alles wäre in einem Gottesdienst, dann wäre es kein Wunder, wenn nichts Heilsames ausgehen würde von dieser Stunde am Sonntagvormittag. Wie gut, dass wir gleich das Mahl miteinander feiern. Brot und Wein, ausgeteilt nach dem Wort Jesu - werden zu einer Berührung, die unsere Seele heil machen kann. Und Jesus segnet diesen Menschen nicht nur einmal - das Auflegen der Hände geschieht zweimal. Heilung passiert hier nicht spontan, sondern auf einem Weg.

Das stellt an uns zwei Fragen:

1. Was erwarten wir auf unserem geistlichen Weg mit Jesus? Erwarten wir überhaupt etwas? Jesus will uns heil machen. Er will unsere Augen öffnen für die blinden Flecken in unserer Wahrnehmung. Unser Weltbild, auch unser frommes, auch unser Verstehen der Bibel sind kaum mehr als das schemenhafte Erkennen. Luther hat am Ende seines Lebens gesagt, er habe bei all seinem Bibelstudium vielleicht den Zipfel des Mantels Gottes einmal berührt. Und das war sicher keine rhetorische Bescheidenheit. Er blieb offen für Neues, solange er lebte und glaubte. Erwarten wir noch etwas von Jesus? Und 2. die andere Frage: Wie viel Zeit geben wir Jesus? Es ist nicht eine moderne Ausdrucksweise, es ist wirklich so: die entscheidenden Veränderungen im Leben geschehen in Prozessen. Ungeduld ist keine der Tugenden des Heiligen Geistes - eher Beharrlichkeit. Wer von uns auf seinem Weg irgendwann resigniert hat, den will Jesus heute neu ermutigen: So wie Jesus mit diesem Blinden einen Weg gegangen ist, so will er mit uns seinen Weg gehen. Bleib dran oder lass dich neu einladen. Jesus berührt uns mehr als einmal, um uns heil zu machen. Heute im Mahl, morgen vielleicht durch einen Segen, den wir erbitten oder empfangen. Amen!

Björn Heymer