Es gibt wohl kaum eine Zeit in unserem Land, in der das missionarische Engagement der Gemeinde Jesu so umfassend und vielfältig war wie in der Gegenwart. Denken wir doch mal an die unterschiedlichsten Arten, Menschen mit dem Evangelium, bekanntzumachen: da gibt es Satellitenübertragungen: Pro Christ und für die Teenager und Jugend das Jesus House; da werden vielfältige Glaubenskurse und Glaubensgesprächsabende angeboten; Gemeinden verschicken Bibelworte als SMS auf Handys; die christlichen Angebote und Präsentationen der Gemeinden im Internet steigen stetig an und diverse auf Gemeindefremde zugeschnittene Gästegottesdienste werden angeboten.
Auch die Zielgruppen, unter denen missionarisch gearbeitet wird, sind ganz
vielfältig:
Es gibt missionarische Vereinigungen, die unter Geschäftsleuten, Technikern
und Ausländern arbeiten. Die Organisation "Sportler ruft Sportler"
engagiert sich unter Sportlern und der Gideon-Bund - wie vor einiger Zeit hier
in Köln - verteilt neue Testamente in Schulen, Arztpraxen, Hotels und Gefängnissen.
Es ist gewaltig, was an Einsatz aufgebracht wird bis hinein in unsere Philippus-Gemeinde
vor Ort.
Aber es sind nicht die Massen von Menschen, die zur Überzeugung finden:
Ich beginne, Jesus in mein Leben mit einzubeziehen; lese die Bibel und lebe
innerhalb einer christlichen Gemeinde.
Woran liegt das? Sicherlich ließen sich die unterschiedlichsten Gründe
dafür finden.
Aber Jesus - so lesen wir im Predigttext - nennt uns einen ganz wichtigen Grund:
die größte missionarische Kraft einer Gemeinde, die stärkste
Außenwirkung und Ausstrahlung auch unserer Gemeinde, besteht nicht in
erster Linie in der Vielzahl missionarischer Aktionen, sondern in ihre Einheit.
Bevor Jesus wieder zurückkehrt in die himmlische Welt, zurückkehrt
zu seinem Vater, hinterlässt er seiner Gemeinde dieses sein Vermächtnis.
Und er hinterlässt es nicht nur den Jüngern und allen,
die damals an ihn glauben, sondern allen, die durch das Zeugnis seiner Jünger
von ihm hören werden und an ihn glauben. Und das reicht bis in unsere Gegenwart
hinein.
Jesus hinterlässt sein Vermächtnis auch uns und somit unserer Gemeinde.
Es ist Jesu tiefer Wunsch, dass die Gemeinde eine feste Einheit bildet. Deshalb
bittet Jesus seinen Vater darum, dass die, die zu ihm gehören wollen, alle
eins sind.
1. Das Vorbild für die Einheit der Gemeinde
Wenn wir von etwas reden, brauchen wir eine ganz bestimmte Vorstellung von dem,
worüber wir reden. Das ist auch so, wenn wir von "Einheit" sprechen.
Wenn deutlich werden soll, was "Einheit der Gemeinde" eigentlich bedeutet,
brauchen wir eine bestimmte Vorstellung von "Einheit in der Gemeinde".
Am besten ist es deshalb, wenn wir hiervon ein klares und deutliches Vorbild
vor Augen haben. Und genau so ein Vorbild für die Einheit in der Gemeinde
zeigt uns Jesus im Predigttext. Er sagt:
"Wie du, Vater, in mir ist und ich in dir,
so sollen auch sie in uns sein.
Sie sollen eins sein, wie wir eins sind."
Das Vorbild für die Einheit der Gemeinde ist also die Gemeinschaft, die Jesus mit Gott, seinem Vater, pflegt. Das Sehen auf diese vorbildliche Einheit möchte uns Orientierung und Hilfe sein. Wie gestaltet sich nun die Einheit von Gott, dem Vater und seinem Sohn? Diese vorbildliche Einheit erkennen wir, wenn wir unsere Bibel aufschlagen und darin lesen und forschen.
Bereits vor der Erschaffung dieser Welt lebte Jesus schon diese tiefe Einheit
mit dem Vater.
Und er wusste auch, dass er bald nach seinem Tod und seiner Auferweckung wieder
in diese Einheit mit seinem Vater zurückkommen würde. Das geschah
dann durch das Ereignis, das wir heute noch "Himmelfahrt" nennen und
feiern. Jesus kehrte wieder zurück zu seinem Vater in die himmlische Welt.
Aber auch während seiner Zeit hier auf der Erde hat Jesus diese tiefe
Einheit mit seinem Vater bewahrt. Schon im Alter von 12 Jahren hören wir,
wie Jesus die Einheit mit seinem Vater gesucht hat. Ihn zog es dort hin, wo
der Vater wohnt, wo er gelobt und angebetet wird, wo Gott den Gläubigen
dient und sie Gott dienen. Ihn zog es zu den Gottesdiensten ins Haus des Herrn.
Jesus selbst sagte es so zu seinen Eltern, die ihn überall suchten, nur
nicht im Tempel:
"Ihr hättet doch wissen müssen,
dass ich dort sein muss,
wo es um die Sache meines Vaters geht." (Joh. 2, 49)
Die Einheit von Vater und Sohn macht also aus, dass Jesus die Nähe und
Begegnung mit seinem Vater suchte.
Auch im Garten Gethsemane, als die Entscheidung bevorstand, den schweren Weg
ans Kreuz zu gehen, war es Jesus allein wichtig, das zu tun, was der Vater wollte.
Jesus wollte in der Einheit mit dem Willen seines Vaters handeln, ihm gehorsam
sein! Und so betete er:
"Vater, wenn es möglich ist,
bewahre mich vor diesem Leiden.
Aber nicht was ich will,
sondern was du willst, soll geschehen." (Lk. 22, 42)
Die Einheit von Gott, dem Vater und Jesus, seinem Sohn ist zudem bestimmt von
Liebe.
Das wird an zwei Stellen des Gebetes Jesu deutlich:
"Die Welt wird erkennen,
dass du meine Jünger liebst,
wie du mich liebst."
und:
"Du hast mich geliebt, längst bevor die Welt geschaffen wurde."
Nur ein einziges Mal wurde Vater und Sohn getrennt. Ja! Schier auseinandergerissen,
und zwar in dem Augenblick, als die Sünde der ganzen Welt auf Jesus lag!
Damals, als Jesus am Kreuz hing und voller Schmerzen und Entsetzen herausschrie:
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!" Dort am Kreuz
hat uns Jesus gezeigt,
was es bedeutet, wenn die Einheit mit Gott zerbricht; was es heißt, wenn
ein Mensch seine Bindung an Gott verloren hat, wieviel Elend und Verzweiflung
damit verbunden ist.
Gottes Bestimmung für den Menschen ist es, ihn mit hineinzunehmen in diese
wunderbare Gemeinschaft des Vaters mit seinem Sohn! Aber der Mensch geht seinen
eigenen Weg,
weg von Gott, in die Sünde, und bricht damit das Treueverhältnis zu
seinem Gott. Damit zerbricht die Einheit des Menschen mit Gott und auch die
Einheit unter den Menschen!
Dabei wollte es aber Gott nicht belassen. Deshalb hat der Vater den Sohn gesandt,
um uns wieder zurückzuholen in diese wunderbare Gemeinschaft mit Gott.
Das ist der Grund, warum Jesus für einige Zeit von seinem Vater getrennt
sein musste,
um alles auf sich zu nehmen, zu tragen und zu ertragen, was die Einheit mit
Gott zerstören kann.
Jesus hat somit am Kreuz die Voraussetzungen dazu geschaffen, dass wir wieder
hineinkommen können in die Gemeinschaft mit Gott. Und er hat die Voraussetzungen
geschaffen, dass Menschen untereinander wieder eins werden können wie der
Vater und der Sohn. Das Vorbild der Einheit in der Gemeinde ist also die Einheit
zwischen Gott, dem Vater und Jesus, seinem Sohn.
2. Die Kraft der Einheit der Gemeinde
Ein Vorbild zu haben ist die eine Sache, die gut und sinnvoll ist. Aber die
Kraft zu besitzen, dieses Vorbild auch zu verwirklichen und umzusetzen, ist
eine andere Sache - und das sehen wir auch in unserer Gemeinde.
Die Jünger Jesu hatten das Vorbild vor Augen. Sie haben gesehen, wie Jesus mit seinem Vater lebte. Doch sie haben sehr oft versagt. Die Gemeinden Jesu in der Welt - zu denen auch unsere Philippus-Gemeinde gehört - haben dieses Vorbild. Doch sie versagen ebenso. Auch ich persönlich versage an diesem Punkt. Nichtsdestotrotz ist es schmerzlich zu sehen, wieviel Uneinigkeit, wieviel Zerstrittenheit, wieviel Distanz doch gerade in der Gemeinde, gerade unter Brüdern und Schwestern vorhanden ist.
Ich möchte an einigen biblischen Beispielen zeigen, wodurch die Einheit der Gemeinde zerstört wird. Und vielleicht entdecken wir, wie das heute noch in Gemeinden der Fall ist.
Da ist Jakobus und Johannes. Sie streiten sich mit Jesus um die Vorragstellung
im Reich Gottes.
Dabei wird deutlich:Das Gerangel um Anerkennung, um Beachtung, um das krampfhafte
Durchsetzen egoistischer Vorstellungen und Meinungen um jeden Preis schafft
Uneinigkeit.
Da sind Evodia und Syntyche. (Phil. 4,2-3) Das sind zwei streitbare Damen in der Gemeinde Philippi, die es absolut nicht miteinander konnten. Auch bei "Geschwistern im Herrn" soll es das ja geben. Streit, Unversöhnlichkeit, die Schuld beim anderen suchen und nicht bei sich selbst und mangelnde Vergebungsbereitschaft zerstören die Einheit einer Gemeinde.
Und so ließe sich an noch mehr Beispiele aus der Bibel aufzeigen, wie die Einheit einer Gemeinde zerstört wird und die Außenwirkung und Ausstrahlung verloren gehen.
Nun stellt sich die Frage: Wo bleibt die Kraft, die eine Gemeinde zusammenhält
und das Allzumenschliche überwindet? Sie ist da!! Wenn Jesus von Einheit
spricht, dann will er nicht nur Vorbilder zeigen, sondern auch die Kraft geben,
das zu tun, was er vorlebt.
Jesus sagt: "Ich habe ihnen auch die Herrlichkeit gegeben, die du mir anvertraut
hast."
Und dann zeigt er auf, was diese Herrlichkeit ausmacht: Sie besteht darin,
"dass sie in mir bleiben und ich in dir."
Die Gemeinde Jesu ist keine Organisation; sie ist keine Interessengemeinschaft,
keine Sympathiegemeinschaft oder gar ein Fanclub. Die Gemeinde Jesu ist vielmehr
die Gemeinschaft derer, die Jesus Christus in ihr Leben aufgenommen haben, die
Gemeinschaft derer, in denen Jesus lebt. Menschen, die Jesus angenommen haben,
haben eine einmalige Gemeinsamkeit, die in der ganzen Welt ohne Vergleich ist.
Sie sind eins, weil derselbe Jesus Christus in ihnen wohnt.
Ist uns das überhaupt noch bewusst?
So könnte man die Gemeinde mit einem Kaleidoskop vergleichen. Ich habe
heute morgen eines mitgebracht. Bei diesem Kaleidoskop befinden sich viele bunte
Sterne, Monde, Rechtecke und Kreise in unterschiedlicher Größe und
durcheinander in einem geschlossenen durchsichtigen Gehäuse. Dreht nun
das Gehäuse um, fließt die rote Flüssigkeit mit den Sternen,
Monden und Kreisen von oben nach unten. Durch eine kleine Öffnung in dem
fernrohrartigen größeren Rohr sieht man dann ein harmonisches Ganzes.
Man sieht zwar keine Gleichheit bei den bunten geometrischen Figuren, aber eine
Vielfalt, die trotzdem eine Einheit, eine Schönheit und ein Gleichklang
in der Vielfalt ist. So ist es auch mit der Einheit in unserer Gemeinde:
Die Brüder und Schwestern sind zwar sehr unterschiedlich, aber wir sollten
es lernen, sie durch Christus hindurch zu sehen. Wir sollten Jesus Christus
selbst im Bruder und in der Schwerster sehen. Das kann ich nicht von mir aus!
Das kann ich mir aber von Christus schenken lassen und von und mit ihm lernen.
Wenn Gott, der Vater, und Jesus Christus, sein Sohn, tatsächlich in einem
Menschen lebt,
der dem Vater und dem Sohn den ersten Platz in seinem Leben eingeräumt
hat, dann könnte man das mit dem Bild eines magnetischen Kraftfeldes vergleichen.
Die christliche Gemeinde wäre dann eine Gemeinschaft von "magnetischen
Menschen". Jesus Christus, der in den Herzen der Gläubigen wohnt,
verbindet sie alle durch seine Kraft wie ein Magnet. Natürlich kann ich
die Kraft abschwächen, isolieren oder ihr widerstehen, damit sie nicht
zur Entfaltung kommt. Aber wo die Kraft Christi und die Gläubigen sich
miteinander ungehindert verbinden können, da entsteht ein gewaltiges Kraftfeld.
Dann geht eine große missionarische Wirkung von solch einer Gemeinde aus.
Da stehen dann nicht Menschen und menschliche Machenschaften, Egoismus und Individualismus
im Vordergrund, sondern der auferstandene und lebendige Jesus Christus steht
im Mittelpunkt.
"Dann wird die Welt erkennen, dass Christus von Gott gesandt ist."
Und das bringt Menschen, die das sehen, auf die Knie, führt zur Umkehr
und Neubesinnung und zu einem Leben mit Jesus.
Je näher wir bei Jesus sind, um so näher sind wir auch bei unseren
Geschwistern in der Gemeinde.
Deshalb ist es dran, unser Verhältnis zu Christus zu überprüfen.
Und dann die Beziehung zu denen, die auch zu Jesus gehören. Der Herr wird
uns dann zeigen, was sich bei uns und in unserer Gemeinde ändern muss,
damit die Kraft Christi zur Einheit in der Gemeinde wieder voll zur Entfaltung
kommt!
3. Die Vollendung der Einheit der Gemeinde
Über die Vollendung der Einheit der Gemeinde sagt Jesus: "Vater, ich
will, dass alle, die du mir gegeben hast, bei mir bleiben. Sie sollen an meiner
Herrlichkeit teilhaben." Die Einheit der Gemeinde ist hier auf Erden immer
gefährdet. Da brauchen wir uns selbst nichts vorzumachen.
Wir haben es ja auch gerade an biblischen Beispielen gesehen, und wir könnten
sicher eigene Erfahrungen aus dem Gemeindealltag ergänzen.Die Einheit wird
erst vollkommen, ja perfekt, sein,
wenn alle, die zu Jesus Christus gehören, auch einmal bei ihm sind. Jesus
will uns bei sich im Himmel, in seiner göttlichen Welt, haben! Was löst
diese Vorstellung bei uns aus?
Stellen wir uns einmal jemanden vor, der es mit jemand anderen der Gemeinde
absolut nicht kann,
den er nicht mag, und dem er möglichst aus den Weg gehen möchte. Er
sitzt vielleicht auf der anderen Seite der Kirche.So kann er steuern, dass sie
sich beim Verlassen der Kirche nicht begegnen oder gar die Hand geben müssen.
Und nun stellen wir uns bitte das vor, was Christus sagt: Er wird genau mit
dieser Person, die ja Jesus genauso liebt wie ihn selbst, die Ewigkeit verbringen,
für immer zusammensein. Dieser Gedanke ernüchtert uns, nicht wahr!?
Ich sage es noch mal: Die Gemeinde ist keine Wahlgemeinschaft! Aber wenn das so ist, dann sind unsere Kreise und Gruppen in der Gemeinde Übungsfelder, in denen die Einheit der Gläubigen praktiziert werden kann. Dann sind wir dort zum einen zusammen unter dem einenden Mittelpunkt: Jesus Christus, aber zum andern auch, um auch zusammen-zu-kommen und zusammen-zu-finden.
Wenn wir jetzt auch vielfach noch darunter leiden, dass es mit der Gemeinde
Jesu nicht so ist,
wie es sein sollte - in der Ewigkeit wir Christus mit der Gemeinde ans Ziel
kommen. Da wird es dann keine Trennung mehr geben. Die Einheit der Gemeinde
kommt zur Vollendung! Dort wird es zur Vereinigung zwischen Christus und seiner
Gemeinde kommen! In der Bibel wird diese Vereinigung mit einem Hochzeitsfest
verglichen. Nichts Zerbrochenes und nichts Gebrochenes wird es dann mehr geben
und Bedeutung haben, sondern eine tiefe unvorstellbare Gemeinschaft und Einheit
wird dann sein.
Wir haben gehört von der Einheit der Gemeinde Jesu - vom Vorbild, von
der Kraft und von der Vollendung dieser Einheit. Es wäre schön, wenn
dieses Gebet Jesu um die Einheit in unserer Gemeinde auch unser Gebet werden
würde.So wollen wir miteinander beten: "Herr Jesus Christus! ich bitte
dich für mich und für die, die in unserer Gemeinde an dich glauben
und dir vertrauen: lass uns eins werden. So wie du, Herr Jesus Christus, mit
deinem Vater eins bist, so lass uns auch mit dir und untereinander eins sein,
damit die Welt erkennt, dass du unter uns lebst und uns liebst."
Amen.
Pastor Rainer Strauß |